Autodesign:Die Autos von morgen, von Oldtimern inspiriert

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Der Volvo P1800 aus den 60er-Jahren (oben) gefällt noch immer. Die Coupé-Studie von 2013 (unten) übernimmt viele Stilelemente. (Foto: PR)

Auf dem Weg in die Zukunft blicken selbst mutige Autodesigner ins Museum. Um die alten Formen zu modernisieren, müssen sie jedoch ein paar Tricks anwenden.

Von Joachim Becker

Wahre Schönheit ist erstaunlich wirkmächtig. Am drögen Design lag es jedenfalls nicht, dass die Straßenkreuzer ausgestorben sind. Formale Anleihen an Düsenjäger, Raketen und Motoryachten trieben bizarre Stilblüten. Das waren keine Autos, sondern (T-)Raumschiffe, die eher zufällig auf amerikanischen Highways gelandet sind. Die Epoche der breiten Kühler-Mäuler und riesigen Heckflossen endete in der Eiszeit der ersten Ölkrise. Selbst Coupés wurden aerodynamisch, energieeffizient, sicher - und langweilig. Kein Wunder, dass den verrückten Alten noch immer die Herzen zufliegen. Und Designer nach Inspiration in den 50er- und 60er-Jahren suchen.

Stellt man sich Straßen als Laufstege vor, dann fällt die Gegenwart durch Fantasielosigkeit auf. Moderne Massenware muss nicht individuell, sondern vor allem markentypisch sein. Wie bei Matrjoschka-Puppen wird ein Look durch alle Autogrößen dekliniert. Wenn überhaupt, dann funktioniert der stilistische Stillstand nur bei einem kleinen Modellangebot. Im Elektrozeitalter steigt die Variantenvielfalt jedoch rasant. Mercedes will bis 2022 mehr als zehn reine Elektroautos auf den Markt bringen - zusätzlich zur bisherigen Palette. Audi führt in den nächsten beiden Jahren inklusive der e-tron-Stromer 20 neue Modelle ein. Charakterstarkes Design wird als Unterscheidungsmerkmal immer wichtiger. Zumal Teslas Erfolg eine simple Botschaft transportiert: E-Mobile müssen nicht vernünftig, sondern stark und gefällig sein, um Anklang zu finden.

Der Hybrid-Sportler zitiert den Volvo P1800

Der Weg in die Zukunft führt nicht selten am Museum der jeweiligen Marke vorbei. Zum Beispiel in der Arbeit von Marc Lichte (Audi) und Thomas Ingenlath (Volvo). Die beiden kommen aus der Schule von Helmut Warkuß. Zeitloses Design war das prägende Prinzip des langjährigen Audi- und VW-Designchefs. Modische Spielerein wie bei den französischen Marken waren ihm ein Graus. Ausgerechnet seine beiden Meisterschüler besinnen sich nun auf die expressiven Stilmittel der 50er- und 60er-Jahre. "Es ist die Pflicht eines Fahrzeugdesigners, Charakteristika zu reflektieren und zu integrieren, die untrennbar mit der Geschichte des Unternehmens verwoben sind", betont Thomas Ingenlath.

2019 geht der Polestar 1 in Serie - allerdings nur in einer Auflage von 500 Exemplaren. (Foto: REUTERS)

Nach seiner Karriere bei Audi, Skoda und VW brütete Ingenlath ein Jahr lang über der Essenz von Volvo. Berühmt-berüchtigt für ihr kantiges Design, hatten die Schweden auch zarte Zweitürer gebaut. Hier setzte Ingenlath 2013 an: Sein Coupé Concept war ein Herzensbrecher mit italienischem Schmelz. Der Sportwagen verlieh den klaren, natürlichen Formen der Nordlichter spielerische Leichtigkeit. Dank des neuen Designs stieg auch der Absatz von Volvos Serienmodellen sprunghaft. Mutig geworden, gründeten die Schweden in diesem Jahr Polestar als Marke für luxuriöse Elektroautos - und machten Ingenlath zu ihrem Chef. In Shanghai hat er nun den Polestar 1 vorgestellt: Ein Zwilling seiner Coupé-Studie von 2013, die eigentlich ein Einzelstück bleiben sollte.

Ingenlath hätte den Hybrid-Sportler auf kühlen Futurismus trimmen können. Angesichts der üppigen Leistung von 600 PS und 1000 Nm Drehmoment wäre auch ein Pseudo-Rennwagen denkbar gewesen. Stattdessen erinnert das Coupé an die Straßenkreuzer - zumindest in ihrer geschrumpften europäischen Version: Das aufrechte Heck und die umlaufenden Karosseriekante in Hüfthöhe sind Zitate des Volvo P1800: "Das ist eine Ikone, die für ihre betörende Form bekannt ist", philosophiert Ingenlath, "basierend auf ihrer glorreichen Vergangenheit schaffen wir eine Zukunft, in der sich pure Schönheit zu einem Teil unserer Identität entwickelt." Starke Worte im Stammbuch eines Technik-Überfliegers, der aber nur 500 Mal pro Jahr gebaut wird.

Seit dem Tesla Roadster gibt es keinen leistungsstarken Elektro-Zweitürer mehr. Aus gutem Grund. Auch Volvo muss tief in die Technik-Trickkiste greifen, um dieses Design-Einhorn auf die Straße zu bringen. Faszinierend an den Coupés der 50er- und 60er-Jahre sind ihre filigranen Dachholme. Sowohl der P1800 als auch der BMW 2000 CS, die Mercedes Pagode oder der NSU Prinz 4 begeistern mit schwebenden Glashäusern - die keinem Crash-Test oder Überschlag standhalten würden. Fast so konsequent wie bei den BMW i-Modellen wird der Polestar-Karosserie daher mit hochfesten Karbon-Teilen verstärkt. Das ist noch immer extrem teuer, ermöglicht aber ähnlich dünne Holme wie bei den Traumwagen der Vergangenheit. Willkommener Nebeneffekt des Kohlefaser-Aufbaus: Die Gewichtsersparnis von 230 Kilogramm kann das Mehrgewicht der Batterien mit 34 Kilowattstunden Kapazität komplett kompensieren.

Offensichtlich lässt sich zum geplanten Verkaufsstart 2019 nicht mehr Akkukapazität in einem 4,50 Meter langen Coupé unterbringen. Zumindest dann nicht, wenn es halbwegs alltagstauglich sein soll - und die Proportionen den historischen Vorbildern entsprechen müssen. Tesla hat die sportlich niedrige Dachlinie zum Prestigemaß des Elektrozeitalters gemacht. "Das Auto mit der Batterie hochbocken, das kann jeder", bestätigt Audi-Chef-Designer Marc Lichte, "das neue Premium bei Flachbodenautos wie Limousinen und Coupés wird die niedrige Dachhöhe sein - bei einer vernünftigen Reichweite."

Es lässt sich trefflich streiten, wie zukunftsweisend der elektrische Radius des Polestar 1 von 150 Kilometern ist. "Das ist das Doppelte der durchschnittlichen Fahrstrecke pro Tag", insistiert Ingenlath. Nicht zuletzt aus gestalterischen Gründen startet die Elektromarke also mit einem Plug-in-Hybrid. Auch BMW muss noch einige Jahre warten, bis die Energiedichte der Zellen hoch genug ist, um ein rein elektrisches Coupé an den Start zu bringen.

Auch der neue Audi A7 Sportback weist Formen auf, die man aus dem Bootsbau kennt. (Foto: Audi AG)

Stilbildend war der Chevrolet Corvair

Die neuen Modelle sind Vorreiter und Nachzügler zugleich: Audis neuer A7, die Gran Lusso Studie von BMW (2013), der kommende BMW 8er und der Polestar 1 markieren eine Wende zum Retro-Futurismus im Automobildesign. Stilbildend war Ende der 50er-Jahre der Chevrolet Corvair. Mit seinem nahezu rechtwinkeligen Heck und der umlaufenden Karosseriekante in Hüfthöhe erinnert auch der Polestar 1 nicht ganz zufällig an das Yacht-Design seines Vorfahren. Der Corvair löste einen formalen Erdrutsch aus: Die neue Klasse von BMW, der Fiat 1300 oder der NSU Prinz 4 brachen mit den runden, zum Teil barocken Formen der Nachkriegszeit.

Doch die angedeutete Chrom- und Flossen-Ära war in Europa bald wieder Geschichte. Heute sind die Spuren im Automobildesign aber wieder unübersehbar. Beim neuen Audi A7 neigen sich die Außenkanten der Fahrzeugfront nach vorne, ähnlich eines Yachtbugs. Wie im Bootsbau ist auch das Heck des A7 Sportback eingezogen. Das vom Vorgängermodell stammende, klassische Bootsheckmotiv ist in der neuen Generation deutlich stärker ausgeprägt.

Autodesign entwickelt sich nun von innen nach außen

Seit den 60er-Jahren ist die umlaufende Bootsreeling ein wiederkehrendes Designmotiv. Als "Wäscheleine", Schattenfuge oder Gürtellinie hat sie unser Bild sportlicher Fahrzeuge geprägt. Mercedes versucht dem Prinzip der klaren Kante durch skulpturale Formen zu entkommen. Audi geht mit der IAA-Studie Aicon einen anderen Weg: "Bisher haben wir Autos vom Package und von der Skulptur her aufgebaut und dann ein Interieur integriert", sagt Marc Lichte. Bei autonomen Fahrzeugen werde dieses Primat des Exterieurs durch neue Erlebniswelten im Innenraum ersetzt. "Die breiteste Stelle im Aicon liegt auf Augenhöhe", erklärt Lichte, "dadurch wirkt er vom Raumgefühl großzügiger als ein VW-Bus."

Trotz der Höhe von 1,55 Meter soll das raumfunktionale Gefährt wie ein Sportwagen aussehen. Dafür nutzen die Designer einen optischen Trick. Sie verschieben die Gürtellinie nach oben ins Glashaus: Nach außen gewölbte Scheiben und klare Kanten auf den seitlichen Fensterflächen - das haben sich selbst die Straßenkreuzer nicht getraut.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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