Energie:Wie sich die Industriestaaten von Moskaus Gas unabhängig machen können

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Seit Russland seine Gaslieferungen nach Europa gestoppt hat, sind die Preise für Energie in die Höhe geschossen. Ohne Preisbremsen sollten sich Verbraucherinnen und Verbraucher auch in München deshalb auf eine Verdoppelung der Kosten einstellen. (Foto: Heinz Gebhardt)

Die G-7-Länder könnten bis 2025 mehr Erdgas einsparen, als sie aus Russland importieren. Das zeigt eine Studie im Auftrag von Greenpeace. Einfach wird das aber nicht.

Von Michael Bauchmüller

Der Berliner "Euref-Campus" ist ein einziger Blick in die Zukunft. Rund um den historischen Gasometer stehen hier Bürogebäude, in denen es mehr Sensoren gibt als Lichtschalter. Für die Wärme sorgt ein Blockheizkraftwerk, das Biomethan verbrennt, auf den Straßen gibt es nur Elektroautos.

Effiziente Gebäude neben einem Gasometer - es ist ein idealer Ort für ein Treffen der Energie-, Klima- und Umweltminister der Industriestaaten-Gruppe G7. Und deshalb wehen hier an diesem Donnerstagmorgen auch die Fahnen der sieben im Wind, und davor stehen die beiden deutschen Minister für Klima und Umwelt, zwei Grüne: Robert Habeck und Steffi Lemke. Habeck spricht von einer "Notlage der Versorgungssicherheit", die es zu bewältigen gelte. "Was wir erleben, ist eine Beschleunigung der ökologischen Transformation." Weg von den verflixten fossilen Rohstoffen, die den Westen in Abhängigkeit von Russland gebracht haben. Die Ukraine ist, jenseits von Klima- und Artenschutzkrise, auch auf dem Euref-Campus das große Thema.

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Wie sich diese Abhängigkeit verringern ließe, dazu erscheint just an diesem Morgen auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), erstellt im Auftrag von Greenpeace: Danach könnten die sieben Industrieländer beim Gas schon bis 2025 rund 18 Prozent ihres Verbrauchs einsparen. Unterm Strich wäre das sogar mehr Erdgas, als Russland im Jahr exportiert.

Der Schlüssel zum Energiesparen: Die Sanierung von Gebäuden

Die Wissenschaftler haben sich dazu die drei Bereiche angeschaut, in denen das meiste Gas verbraucht wird, in allen G-7-Ländern: die Industrie, die Stromerzeugung - und eben Gebäude. Sie könnten, was die kurze Frist angeht, der Schlüssel sein. 80 Prozent der gesamten Einsparmöglichkeiten fanden die DIW-Leute hier. Gasheizungen ließen sich durch elektrische Wärmepumpen austauschen, bestehende Heizsysteme können noch optimiert werden. Die Raumtemperatur setzt die Studie um ein Grad tiefer an, und dann sollen auch noch jährlich drei Prozent aller Gebäude saniert werden. Es sind anspruchsvolle Bedingungen, die aber einen doppelten Zweck erfüllen könnten. Schon für die Erreichung ihrer Klimaziele, so heißt es, müssten die Staaten deutlich mehr in die Sanierung ihrer Häuser stecken - oder diese durch höhere Standards einfordern.

Die Bedingungen in den sieben großen Industriestaaten sind denkbar unterschiedlich. Die Wärmepumpe etwa spielt in Japan jetzt schon eine große Rolle, in Großbritannien dagegen kaum. In Deutschland und den USA ist sie gerade erst im Kommen, allerdings vor allem in Neubauten. Japan verbraucht auch relativ wenig Gas in der Industrie - dafür aber mehr Kohle. In Kanada und den USA dagegen stellt Gas um die Hälfte der Industrie-Energie. Beide Staaten sind auch als einzige Netto-Exporteure von Gas. Alle anderen G-7-Staaten müssen es einführen. Und was das russische Gas angeht, liegen Deutschland und Italien weit vorn. Deutschland braucht viel Gas für seine Industrie, Italien für die Stromerzeugung. Frankreich und Großbritannien sind da deutlich weniger abhängig.

Was allerdings alle eint, sind Klimaziele. Beim G-7-Gipfel in Carbis Bay im vorigen Jahr gelobten die Staaten, in den 2030-er Jahren ein "überwiegend dekarbonisiertes Stromsystem" erreichen zu wollen. Alle haben mehr oder weniger ambitionierte Vorgaben für diese Dekade. Doch angesichts der Energiekrise bestehe nun "die Gefahr, dass neue Gasvorkommen erschlossen werden oder andere fossile Energien das Gas ersetzen", mahnt die DIW-Studie. Das Ziel, die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen, gerate in Gefahr.

Umso wichtiger sei es, alle Potenziale auszuschöpfen. In der Industrie ließen sich zwar nicht mal eben Produktionsprozesse umstellen - aber der Verbrauch von energieintensivem Plastik und Glas ließe sich senken. Beides wird gern und reichlich für Verpackungen verwendet. Auch mineralische Dünger ließen sich nicht von heute auf morgen weniger mineralisch erzeugen - aber sorgsamer einsetzen.

Bis 2025, so rechnet die Studie vor, ließen sich so insgesamt 264 Milliarden Kubikmeter Erdgas einsparen - mehr als jene 250 Milliarden Kubikmeter, die Russland per Pipeline oder als Flüssigerdgas in die Welt verkauft. "Die G-7-Staaten können einen großen Teil ihres Gasverbrauchs sparen, so das Klima schützen und die Welt sicherer machen", sagt Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner. "Vor allem aber können sie dem Rest der Welt zeigen, dass sie das 1,5-Grad-Ziel wirklich ernst nehmen."

Am Berliner Euref-Campus haben die Minister dafür gut 36 Stunden Zeit, und es ist weiß Gott nicht die einzige Krise, mit der sich die Energie-, Umwelt- und Klimaminister befassen müssen. Bei dem Treffen, das bis diesen Freitag geht, will Umweltministerin Lemke auch deutliche Bekenntnisse der sieben im Kampf gegen das Artensterben, und dann soll es, was etwa die Weltmeere angeht, auch noch um die "Verschmutzungskrise" gehen. Ihr Wunsch sei, sagt Lemke vor den wehenden Fahnen des Campus, dass die G7 "die globalen Krisen gemeinsam lösen". Und das im doppelten Sinne.

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