Kohleausstieg:Vergoldete Dreckschleudern

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Aktivisten protestieren in Berlin vor dem Reichstag gegen das vom Bundestag verabschiedete Kohleausstiegsgesetz. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Die Kohleindustrie wird mit viel Geld verabschiedet. Das kehrt das Verursacherprinzip auf obszöne Weise um: Wieder einmal zahlen nicht die Profiteure der alten Wirtschaft für deren Folgen.

Kommentar von Philipp Bovermann, Berlin

Heute hat der Bundestag den Kohleausstieg beschlossen. Er läutet damit die Totenglocken für einen Energieträger, ohne den es die Industrialisierung nicht gegeben hätte, der tief in die DNA der globalen Wirtschaft eingeschrieben ist - so tief, dass sich mancher eine moderne Gesellschaft ohne ihn nicht vorstellen kann. Eigentlich also ein Ereignis, das noch weit epochaler als der Beschluss des Atomausstiegs im Jahr 2011 sein könnte. Warum ist er es nicht?

Um das zu erklären, muss man den Blick auf jene Energieträger richten, welche die Kohle seit einiger Zeit recht erfolgreich aus dem Markt drängen. Regenerativ erzeugter Strom wird immer günstiger, ebenso Gas, für die Spitzenlast. Zugleich wird das Verfeuern von Kohle zunehmend teurer, weil der Preis der Zertifikate im europäischen Emissionshandel steigt.

Genau das war schließlich die Idee dieses Systems: Schmutzige Energie so teuer zu machen, dass sie sich irgendwann nicht mehr rechnet. Nun ist es endlich soweit. Viele Braunkohlekraftwerke sind bereits nicht mehr profitabel; bei denen, die noch ihre Fixkosten decken können, schmilzt der Puffer zu den roten Zahlen mit jedem weiteren Jahr. Das Ende der Kohle ist gekommen. Aber das sogenannte Kohleausstiegsgesetz leistet dafür beinahe gar nichts.

Was groß wie ein Beschluss daherkommt, ist in erster Linie eine Reihe von finanziellen Abfederungen. 40 Milliarden fließen in die betroffenen Regionen, damit dort, wo heute gebaggert und verfeuert wird, morgen nicht nichts ist. Außerdem sind Entschädigungen für Menschen vorgesehen, die durch das Ende der Kohle ihren Job verlieren. Dagegen spricht nichts, im Gegenteil. Allerdings sollen auch die Besitzer der unrentablen und vielfach bereits abgeschriebenen Dreckschleudern großzügig entlohnt werden, mit 4,3 Milliarden Euro.

Die Kohleindustrie wird also mit einem goldenen Handschlag verabschiedet, gerade in dem Moment, da sie das Renteneintrittsalter erreicht. Das kehrt das Verursacherprinzip auf obszöne Weise um: Die Konzerne, die jahrzehntelang auf Kosten des Klimas und der Gesundheit der Menschen Profite machen durften, auf Kosten nachfolgender Generationen, werden dafür rückwirkend nun auch noch entlohnt. Wieder einmal zahlen nicht die Profiteure der alten Wirtschaft für deren Folgen, sondern die Allgemeinheit kommt für einen Kohleausstieg auf - im Rahmen eines Gesetzes, das etwas zum politischen Erfolg zurechtbiegt, was der Markt bereits regelt.

Man hätte den Markt, den viele Klimaaktivisten nicht mögen, weil er angeblich die Wurzel allen Übels ist, einfach machen lassen sollen. Stattdessen werden heute mit den Kraftwerksbetreibern die Verträge unterschrieben. Sie zementieren einen Abschaltungspfad bis 2038, der wohl schon bald von der Realität - von verschärften Emissionsgrenzwerten - überholt sein wird. Kein anderes Land in Westeuropa hat vor, nach 2030 aus der Kohle auszusteigen. SPD-Chefin Saskia Esken verteidigte das Gesetz auf Twitter mit dem Argument, "Lieber kein Kohleausstieg als dieser Kohleausstieg" sei ja wie "Lieber nicht regieren als falsch regieren" und damit "natürlich nicht richtig". Was soll man dazu sagen? Vielleicht, dass es durchaus eine gute Idee sein kann, nicht falsch zu regieren.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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