Meeresbergbau:Raubbau in der Tiefsee

Meeresbergbau: Mysteriöse Tiefsee: ein Viperfisch, fotografiert im Pazifik in einer Tiefe von über 1000 Metern

Mysteriöse Tiefsee: ein Viperfisch, fotografiert im Pazifik in einer Tiefe von über 1000 Metern

(Foto: AFP)

Am Meeresgrund liefert sich Deutschland einen Wettlauf um die wertvollsten Ressourcen. Ein Forschungsprojekt zeigt: Der Mensch kann in der Tiefsee ungeahnte Schäden anrichten.

Von Christopher Schrader

Im Sommer 2015 brach das deutsche Forschungsschiff Sonne von Ecuador nach Westen auf, in Richtung auf das offene Meer. Ziel war ein Fleck im Pazifik: 7 Grad 4 Minuten Süd, 88 Grad 28 Minuten West, weit und breit nichts als Wasser. Was diese Stelle im sogenannten Peru-Becken auszeichnet, lag vier Kilometer unter dem Kiel in der Tiefe: ein Areal von zehn Quadratkilometern Meeresboden, das deutsche Forscher 1989 umgepflügt hatten. Das bis heute einzigartige Projekt namens "Discol" sollte untersuchen, was Tiefseebergbau in der fragilen Lebensgemeinschaft dort unten anrichten könnte.

Als die Forscher am 30. Juli 2015 mit der Sonne ankamen, hatte seit einer letzten Kontrolle 20 Jahre zuvor kein Mensch mehr die Pflugspuren angesehen. Im vergangenen Jahr tauchten Roboter in die Tiefe, kartierten den vernarbten Boden, erhellten die Dunkelheit mit Scheinwerfern, nahmen Proben und schickten Filme nach oben. "Eigentlich sah es noch genauso aus wie 1996", erzählt Gerd Schriever von der Firma Biolab, der damals wissenschaftlicher Leiter mehrerer Expeditionen war und diesmal als Berater mitfuhr. "Damals hatte die Wiederbesiedlung erst begonnen, und viel ist seither auf den ersten Blick nicht passiert. Die Spuren des Pfluges waren so gut zu erkennen wie zuvor."

Das 1989 umgegrabene Sediment ist immer noch viel heller als der Untergrund

Auch Antje Boetius kannte die Pflugspuren in der Tiefe schon. Die Meeresbiologin hatte auf einer früheren Fahrt ins Peru-Becken Daten für ihre Diplomarbeit gesammelt. Heute ist sie Professorin und teilt ihre Zeit zwischen dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und dem Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen auf. Sie hat eine von zwei Expeditionen der Sonne zum Peru-Becken im vergangenen Sommer geleitet - und staunte: "Wo damals der Boden aufgekratzt wurde, sind manche Arten auch nach 26 Jahren nicht zurückgekehrt. Nicht einmal Bakterien haben die Pflugspuren wieder vollständig besiedelt." Meeresboden in 4150 Meter Tiefe ist schließlich ein nährstoffarmer, kalter und finsterer Lebensraum unter enormen Druck. Und noch etwas fiel Boetius auf: Noch immer könne man das helle Sediment erkennen, das der Pflug aus 20 Zentimeter Tiefe emporgeschaufelt und auf die dunklere Oberfläche geworfen hatte. "Warum ist das eigentlich noch nicht nachgedunkelt?", fragt sie.

Es gibt viele solche unbeantworteten Fragen über die Tiefsee, und bei der Suche nach Antworten stehen die Wissenschaftler in einem Wettlauf mit der Industrie. Tiefseebergbau gilt für rohstoffarme Industrieländer wie Japan, Südkorea und auch Deutschland als ein Weg, sich beispielsweise von Metallimporten weniger abhängig zu machen. Die Südseestaaten Tonga und Nauru sehen darin die Route zum Wohlstand. Angesichts der gestiegenen Marktpreise erkunden aber auch Nationen wie China und Russland, die heute mit Rohstoffexporten viel Geld verdienen, die Bodenschätze am Meeresgrund.

Besonders Manganknollen faszinieren die Experten. Die kartoffelgroßen Metallknubbel enthalten neben dem in der Stahlindustrie begehrten Mangan, von dem es auch an Land viel gibt, Kupfer, Kobalt und Nickel sowie Spuren von selteneren Elementen wie Tellur oder Molybdän. Unmengen der Knollen liegen zum Beispiel auf dem vier bis fünf Kilometer tiefen Meeresboden der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone (CCZ), die sich im Pazifik von Mexiko aus Tausende Kilometer nach Westen erstreckt. Die Internationale Meeresbodenbehörde ISA in Kingston auf Jamaika hat dort 13 Erkundungslizenzen an verschiedene Nationen und Konsortien vergeben.

Deutschland visiert den Meeresbergbau in der Südsee an

Meeresbergbau: Roter Tintenfisch, gesichtet vor Australien

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(Foto: AFP)

Für Deutschland hat sich die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover einen Claim von insgesamt 75 000 Quadratkilometern gesichert, das ist mehr als die Fläche Bayerns. Dass in den kommenden fünf Jahren die industrielle Förderung von Manganknollen beginnt, hält man zwar bei der BGR derzeit für ausgeschlossen. Aber ernst wird der Meeresbergbau durchaus genommen: Es gibt Pläne für einen riesigen Kollektor, der die Knollen vom Meeresboden erntet. Das Wirtschaftsministerium lässt prüfen, was ein Pilotversuch kosten würde. Und die Ende 2014 in Dienst genommene Sonne hat 2015 volle fünf Monate mit der Erkundung von Manganknollen verbracht: Von Mitte März bis Mitte Juni war das Schiff in der CCZ, August und September im Peru-Becken. Es geht um viel Geld, der geschätzte Wert des Metalls allein in den beiden wirtschaftlich interessantesten Teilen des deutschen Lizenzgebiets liegt nach heutigen Weltmarktpreisen bei mindestens neun Milliarden Dollar.

Um das mögliche deutsche Tiefsee-Bergwerk vor Mexiko zu erkunden, war Carsten Rühlemann von der BGR seit 2008 siebenmal dort; im April geht es wieder los. "Wir möchten ein Teilstück für einen Test auswählen, mit dem man die Umweltfolgen des Abbaus abschätzen kann. Und es so detailliert erkunden, dass ein künftiger Tiefseebergbau dort beginnen könnte", sagt er. Dazu sammeln die Forscher neben Manganknollen auch Daten über all die Wesen, die im oder auf dem Boden leben.

Spuren menschlicher Eingriffe gibt es auch in der CCZ bereits. 1978 hatte eine US-Firma mit einer Art Baggerschaufel Streifen in den Meeresboden gezogen. Mit vier Zentimetern Sediment hatte das Gerät auch die Manganknollen eingesammelt. 2004 haben Wissenschaftler an der Stelle zum Beispiel Fadenwürmer untersucht: Wo die Schaufel gegraben hatte, gab es 26 Jahre später deutlich weniger Würmer und deutlich weniger Artenvielfalt.

Neben Plastiktüten und Coladosen fand sich ein Tiefsee-Tintenfisch, der jahrelang Eier ausbrütet

Das deutsche Discol-Projekt von 1989 war jedoch das größte derartige Experiment, und das einzige außerhalb der CCZ. Damals hatten die Forscher einen acht Meter breiten Pflug kreuz und quer umhergezogen und etwa ein Fünftel des Untergrunds umgegraben. Die Manganknollen blieben zwar im Boden, wurden aber verschoben oder verschüttet, und die aufgewirbelten Sedimente senkten sich auf unberührte Flächen. "Bei einer vollständigen Simulation des Abbaus würden die Knollen entfernt und hinterher der Abfall, metallische Schlämme, wieder eingeleitet - auf riesigen Flächen", sagt Antje Boetius. Das ist auch deshalb problematisch, weil auf den Knollen viele Lebewesen den einzigen sicheren Halt finden. Werden die Metallbatzen aus dem Sediment gezogen, haftet an ihnen ähnlich viel Untergrund wie am Wurzelballen einer Gartenpflanze.

Karte

Als die Wissenschaftler von der Sonne aus jetzt im Peru-Becken nachschauten, fielen ihnen neben Plastiktüten, einigen alten Bierflaschen und Coladosen die großen kriechenden oder schwimmenden Tiere auf. Diesen war die Rückkehr noch am leichtesten gefallen. Viele sind trotz der Dunkelheit, in der sie leben, sehr bunt: orange Seeanemonen, Seesterne in Pink, Seegurken grün und stachelig, violett und glatt oder schneeweiß mit Tentakeln. Auch einen kalkweißen Tintenfisch fanden die Forscher. Die Art klebt ihre daumennagelgroßen Eier an die Stiele von Seelilien und schlingt den Körper um das Gelege. "Vier bis sechs Jahre brüten sie, und wenn die Jungen schlüpfen, stirbt das Elterntier", sagt Boetius. Viel mehr weiß man noch nicht über diese Spezies.

Wer die Manganknollen wegräumt, nimmt vielen Tieren den Lebensraum

Klar ist immerhin, dass sie die Seelilien zur Fortpflanzung braucht und diese nur auf Manganknollen Halt finden. Wer also die Metallknubbel wegräumt, nimmt auch den rätselhaften Tintenfischen den Lebensraum. Zwar sieht die Meeresbodenbehörde ISA vor, dass neben jeder künftigen Mine unberührte Areale bleiben, aus denen das Leben in die zerfrästen Gebiete zurückkehren kann. Doch wie lange das dauert und ob es überhaupt gelingt, weiß noch niemand. "Wir können ja noch nicht einmal genau definieren, welche Funktionen der Meeresboden wieder erfüllen muss, damit wir von einer Heilung sprechen können", sagt Boetius.

Vorhersagen über die Umweltfolgen von Bergbau in der CCZ werden auch dadurch erschwert, dass der Untergrund dort anders ist als im Peru-Becken. "In unserem Lizenzgebiet", sagt Carsten Rühlemann, "ist der Boden bis in einige Meter Tiefe von Sauerstoff durchdrungen." Im Peru-Becken reiche der Sauerstoff nur zehn Zentimeter tief. Werde der Boden dort aufgewirbelt, gelangten vermutlich gelöste Metalle ins Bodenwasser; diese Gefahr drohe in der CCZ eher nicht. Allerdings sehen die Bergbaupläne vor, die Manganknollen in der Tiefe zu zerkleinern und die Bruchstücke an die Oberfläche zu pumpen. Der Knollenstaub in dem Wasser, das dann zurück in die Tiefe geleitet wird, könnte wegen der Metalle auch dort zur Gefahr für Lebewesen werden. Um solche Effekte zu studieren, haben Mitglieder von Boetius' Expedition Seegurken mit dem Roboter in Käfige gesetzt und mit Metallschlamm berieselt. Die Seegurken versuchten zu fliehen.

"Nach dem, was wir bislang wissen, halte ich einen Tiefseebergbau durchaus für vertretbar", sagt Carsten Rühlemann. "Es wird aber vermutlich eine öffentliche Debatte darüber geben müssen, wenn die Ergebnisse der Umweltstudien vorliegen." Eigentlich hat diese längst begonnen: Die Organisation Brot für die Welt lehnt Tiefseebergbau ab, die Umweltgruppe WWF betont die Risiken, der Bundesverband der Industrie hingegen die Chancen. Im Sommer 2015 forderten US-Forscher im Magazin Science, die weitgehend unbekannte Tiefsee schleunigst ausreichend vor kommerzieller Nutzung zu schützen.

Antje Boetius teilt die Forderung. "Wir könnten doch die Investitionen umleiten und zuerst das Recycling der Metalle an Land deutlich verbessern", schlägt sie vor. "Damit gewinnen wir ein paar Jahrzehnte Zeit, um die Lebensgemeinschaften der Tiefsee besser zu verstehen und Schutzkonzepte zu entwickeln." Vielleicht zeigen sich bis dahin auch in dem 1989 umgepflügten Versuchsfeld Erholungseffekte.

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