Mobilität:Die wahren Konkurrenten der Autokonzerne heißen Post und Bahn

Mobilität: Der Streetscooter der Post und der Kleinbus Loki der Bahn

Der Streetscooter der Post und der Kleinbus Loki der Bahn

(Foto: dpa/imago)

Die Mobilität der Zukunft wird nicht bloß in Kalifornien oder China geprägt, sondern auch in Aachen und Berlin. Und zwar von zwei Staatskonzernen, die unter vielen Vorurteilen leiden.

Kolumne von Ulrich Schäfer

Bislang glaubte man ja, die neuen Herausforderer der deutschen Autoindustrie säßen vor allem in Kalifornien oder Fernost - und nicht in Aachen oder Berlin. Im Silicon Valley arbeiten Google, Uber und Co. an der Zukunft des Fahrens, auch in China basteln immer mehr Hersteller an selbstfahrenden Autos oder der Elektromobilität. Vor allem Tesla galt lange als Inbegriff der Innovation. Das Unternehmen aus dem amerikanischen Westen hatte schon vor Jahren erkannt, dass es in Zeiten des Klimawandels und steigender Spritpreise für E-Autos einen großen Markt geben wird, während man sich in Wolfsburg, Ingolstadt, Stuttgart oder München zu lange dem Glauben hingegeben hat, dass der Verbrennungsmotor die beste aller Lösungen sei.

Doch mittlerweile schicken sich auch zwei große Unternehmen aus Deutschland an, den etablierten Autoherstellern Konkurrenz zu machen: Sie zeigen, wie man E-Autos erfolgreich in Serie bauen, wie man autonome Fahrzeuge zu Testzwecken auf die Straße bringen und wie man moderne Mobilitätskonzepte für die Städte entwickeln kann.

Es handelt sich dabei um zwei Unternehmen, von denen man dies nicht erwartet hätte. Beide sind im weitesten Sinne Staatskonzerne, der eine, die Deutsche Bahn, ist noch heute komplett in Staatsbesitz, der andere, die Deutsche Post, war es viele Jahrzehnte lang, heute hält der Bund gut 20 Prozent der Aktien. Beide stammen nicht aus der Autoindustrie und galten einst als nicht sonderlich innovativ, ja, es hält sich bis heute vielerorts das Vorurteil, sie seien immer noch Behörden.

Doch Pustekuchen! Die Deutsche Post ist einer der größten E-Autoverkäufer in Deutschland. Sie baut in Aachen seit eineinhalb Jahren einen Lieferwagen mit Elektroantrieb: den Streetscooter. Mehr als 3500 gelbe Kleintransporter rollen mittlerweile über die Straßen, sie tragen das Logo von DHL, der Paketmarke des Bonner Unternehmens. Vor Kurzem kündigte der Konzern an, dass nun auch andere Unternehmen den Elektroflitzer kaufen können. Schon bald will die Post in Aachen und in einem zweiten Werk, das bei Düren entsteht, bis zu 20 000 Streetscooter jährlich fertigen.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, hat auch damit zu tun, dass die anderen deutschen Autohersteller (und auch anderswo) nichts Passendes im Angebot hatten oder nicht willens waren, es zu entwickeln. In Aachen dagegen, nicht allzu weit von Bonn entfernt, fanden die Kundschafter der Post ein kleines Unternehmen, welches zwei Hochschulprofessoren gegründet hatten: Günther Schuh und Achim Kampker von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. Sie hatten sich von 2010 an mit der Frage beschäftigt, wie ein kleiner E-Transporter wohl aussehen könnte, der vor allem kurze Strecken zurücklegt.

Sie nutzten dabei eine Innovationstechnologie, die auch im Silicon Valley sehr beliebt ist: das sogenannte Design Thinking. Dabei geht es im Kern darum, sich wirklich in die Köpfe der Kunden hineinzuversetzen und deren Bedürfnisse zu erspüren. Mit anderen Worten: Sie taten etwas, was auch die deutschen Autohersteller hätten tun können. Die Post fühlte sich bestens verstanden und erwarb im Dezember 2014 gleich die ganze Firma. Günther Schuh, der umtriebige Professor, gründete mit dem Erlös wenig später das nächste Start-up: Mit E-Go will er einen Kleinwagen mit E-Motor bauen, einen Kurzstrecken-Flitzer für den Privatgebrauch, im Frühjahr beginnt die Serienproduktion.

Der Wettbewerb rund ums Auto verändert sich rasant

Die Deutsche Bahn denkt in eine etwas andere Richtung als die Post, aber auch sie arbeitet sich in Bereiche vor, die bislang den Autokonzernen vorbehalten waren: In Bad Birnbach bei Passau testet die Bahn seit Kurzem einen fahrerlosen, autonomen Kleinbus namens Ioki, der im Linienverkehr Kurgäste transportiert - er schafft vorerst nur 15 Kilometer pro Stunde, und auch das Design wirkt recht klobig. Doch das ist ja erst ein Anfang. Denn die Bahn strebt an, nicht nur Züge zu betreiben, sondern auch Lösungen für den individuellen Nahverkehr zu entwickeln: Autos, die man per App bestellen kann, für kurze Fahrten in den Städten. Um das zu testen, wird die Bahn in Hamburg demnächst 100 elektrische Kleinbusse einsetzen, welche die Fahrgäste abholen und dann zum Bahnhof bringen. Noch soll ein Fahrer dies tun, später will die Bahn autonome Fahrzeuge schicken.

Man mag darüber lächeln und entgegnen, die Bahn solle erst mal ihre Probleme auf der ICE-Strecke Berlin - München lösen oder auch im Regionalverkehr zwischen Freising und München. Tatsächlich aber zeigen die beiden Beispiele, wie sich der Wettbewerb rund ums Auto verändert. Dreierlei lässt sich daraus lernen.

Erstens: Die Grenzen zwischen den Mobilitätsbranchen verschwimmen zusehends. Der Logistikkonzern Deutsche Post wird zum Autohersteller, der damit seine eigenen Lieferketten optimiert, während Daimler mit Mytaxi zum Taxivermittler und mit Car2go zum Autovermieter wird.

Zweitens: Mit dem E-Antrieb sinken die Eintrittshürden beim Autobau. Natürlich sind Federungen, Chassis und Design auch künftig wichtig, aber mindestens so bedeutsam wird die digitale Vernetzung von verschiedenen Verkehrssystemen sein. Wer das beherrscht, hat einen Vorteil. Denn immer häufiger werden die Menschen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln hin- und herwechseln.

Und drittens schließlich: Selbst Unternehmen, die lange als träge galten, haben in einer sich rasant wandelnden Welt der Mobilität eine Chance, neue Märkte zu erobern - wenn sie mutig ihr altbekanntes Terrain verlassen und sich in fremde Gebiete vorwagen.

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