Krisenhilfe der Notenbanken:EZB-Chef Draghi widersteht dem Druck der Börsianer

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"Einige Mitglieder hätten es heute vorgezogen, die Zinsen zu senken - aber nicht viele", sagt Mario Draghi. Die Euro-Krise verschärft sich, doch der Chef der Europäischen Zentralbank lehnt zusätzliche Maßnahmen zur Konjunkturförderung ab und sieht die Politik am Zug. Anleger reagieren enttäuscht - und richten ihre Hoffungen jetzt auf die US-Notenbank.

Oliver Klasen

An den Finanzmärkten werden bereits die düstersten Szenarien vorweggenommen: Die heftigen Kursverluste der vergangenen Wochen signalisieren, dass die Anleger mit einer deutlichen Verschärfung der Wirtschaftskrise rechnen. Die spanischen Banken brauchen viele Milliarden Euro, Griechenland droht aus der Euro-Zone zu fliegen und in den USA deutet alles auf eine neuerliche Abschwächung der Konjunktur hin.

Was könnte nun Erleichterung verschaffen? Die Anleger hoffen auf die Notenbanken dies- und jenseits des Atlantik. Die Fed in New York und die EZB in Frankfurt gelten als die "Lenders of last resort" (zu deutsch: Kreditgeber der letzten Instanz). Wenn nichts mehr geht, können sie eingreifen - etwa durch die Bereitstellung billigen Geldes für die Wirtschaft.

Börsianer hatten seit Tagen auf neue Hilfen wie zum Beispiel weitere langfristige Billig-Kredite für die Finanzbranche spekuliert. Doch der Chef der EZB, Mario Draghi enttäuscht die Erwartungen zunächst: Den Leitzins in der Eurozone belässt er bei einem Prozent. Das habe der Rat der Zentralbank beschlossen.

Was Draghi sagt - und was er nicht sagt

Offenbar fürchtet die EZB, ein beherzteres Eingreifen könne den nötigen Spardruck von den Regierungen in der Eurozone nehmen, insbesondere in Griechenland, wo am 17. Juni Neuwahlen anstehen. Ohnehin helfen niedrige Zinsen nur gegen die Symptome der Krise, nicht aber gegen deren Ursachen. Die jahrelang niedrigen Zinsen in den USA gelten sogar als einer der Auslöser der dortigen Immobilienkrise und damit der weltweiten Finanzkrise. Denn Minizinsen sorgen für billige Kredite, und begünstigen die Entstehung von gefährlichen Blasen. Außerdem können sie den Anstieg der Verbraucherpreise beschleunigen.

Die 1,0 Prozent in der Eurozone sind bereits ein historisch niedriger Wert, allerdings liegen die Zinssätze in großen Volkswirtschaften wie den USA, Großbritannien und Japan noch niedriger. Einige Beobachter hatten mit einer noch weiteren Senkung gerechnet: Immerhin knapp ein Viertel der vom Wirtschaftsdienst Bloomberg befragten Experten erwartete eine Rücknahme des Leitzinses um 0,25 Prozentpunkte. 32 der 44 interviewten Ökonomen prognostizieren allerdings, dass die EZB die Zinsen unverändert lässt. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters hatten am vergangenen Mittwoch noch 62 von 73 befragten Analysten damit gerechnet, dass es für weitere Schritte der Zentralbank im Juni noch zu früh sein dürfte.

Doch selbst wenn die Währungshüter den Zinssatz jetzt unverändert gelassen haben - von ihrer monatlichen Sitzung geht trotzdem erhebliche Wirkung aus. Denn was EZB-Chef Draghi sagt - und auch was er nicht sagt - wird von den Finanzmärkten genau registriert. Bei seinem Pressestatement erklärte er, dass die Banken in der Eurozone sich auch in Zukunft auf unbegrenzte Liquidität der EZB verlassen können. Vor Ausbruch der Krise hatte die EZB lediglich so viel Liquidität ins Finanzsystem gepumpt, wie sie für richtig hielt. Jetzt kündigte Draghi an, die sogenannte Vollzuteilung bei den Hauptrefinanzierungsgeschäften mit den Banken bis mindestens Mitte Januar 2013 zu verlängern.

Ursprünglich wäre die Rundumversorgung für das Bankensystem bis Mitte Juli befristet gewesen. Wegen der massiven Refinanzierungsprobleme der Banken in vielen Ländern der Euro-Zone hatten Analysten jedoch mit der Verlängerung dieser Maßnahme gerechnet.

Zu einer möglichen Zinssenkung in den kommenden Monaten sagte Draghi jedoch nichts - und enttäuschte damit die Anleger. Der deutsche Aktienindex Dax, der nach fünf Tagen Talfahrt am Vormittag noch zwei Prozent im Plus war, büßte am Nachmittag den größten Teil seiner Gewinne wieder ein und notierte nur knapp über der psychologisch wichtigen Marke von 6000 Punkten.

"Einige Mitglieder hätten es heute vorgezogen, die Zinsen zu senken - aber nicht viele", so der EZB-Chef. Ob die Zentralbank im Juli anders handelt und die Zinsen nach unten anpasst, halten Experten für offen: "Die EZB hält sich sehr bedeckt, Signale für eine anstehende Zinssenkung kann man nicht ausmachen", sagt Ökonom Rainer Sartoris von HSBC Trinkaus. "Die indirekte Botschaft Draghis lautet: Wir haben erst einmal genug getan, nun ist die Politik an der Reihe."

Argumente für weitere Krisenmaßnahmen der Zentralbank gibt es indes genug: Nach der Wachstumsprognose der EZB steuert der Euroraum auf eine leichte Rezession zu. Demnach geht die Zentralbank davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in den Euro-Ländern um 0,1 Prozent sinken wird. 2013 soll sich die Wirtschaft allmählich wieder erholen und um ein Prozent wachsen. Allerdings dürfte die Bankenkrise in Spanien auch in den kommenden Wochen die Schlagzeilen beherrschen und selbst in starken Ländern wie Deutschland zeigen sich zunehmend konjunkturelle Schwierigkeiten.

Auch in den USA gibt es Spekulationen um ein stärkeres Eingreifen der Notenbank zur Wachstumsförderung. An diesem Donnerstag wird sich Ben Bernanke, der Präsident der US-Notenbank Fed, bei einer Anhörung vor einem Ausschuss des US-Kongresses erklären. Es geht dabei zwar nicht um eine Zinssenkung. Der Leitzins, der in den Vereinigten Staaten als Zielsatz angegeben wird, liegt ohnehin schon in dem Korridor zwischen null und 0,25 Prozent. Dennoch werden die Worte von Bernanke mit Spannung erwartet. Von seinem Auftritt erhoffen sich die Investoren Hinweise auf den Zustand der Konjunktur - einige setzen auch auf weitere Hilfen durch die US-Notenbank.

Allerdings dämpften führende Fed-Mitglieder derartige Hoffnungen. "Der Ausblick für 2012 hat sich bislang nicht deutlich verändert. Eine Änderung der Geldpolitik zu diesem Augenblick wird keine Abhilfe in Europa schaffen", sagte der Fed-Präsident von St. Louis, James Bullard, am Dienstag.

"Falls die Fed nicht handelt, drohen der Wirtschaft langfristige Schäden"

Sein Kollege Richard Fisher aus Dallas äußerte sich ähnlich: "Ich kann keine weitere quantitative Lockerung unterstützen", erklärte er. Auch Warren Buffett, der mit seinem Investmentfirma Berkshire Hathaway über ein Milliardenvermögen wacht, sieht keine Anzeichen für eine Rezession in den USA - jedenfalls so lange die Schuldenkrise in Europa nicht über den Atlantik übergreift. "Sie haben eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Fiskalpolitik, keine gemeinsame Kultur und keine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik - das müssen die Europäer in Einklang bringen", so Buffet.

Chicago-Fed-Chef Charles Evans forderte dagegen am Dienstag weitere Konjunkturhilfen: "Falls die Fed jetzt nicht handelt, drohten der Wirtschaft langfristige Schäden", sagte er.

Laut der jüngsten Reuters-Umfrage rechnen inzwischen 35 Prozent der befragten Händler mit einer Verlängerung der sogenannten "Operation Twist", die eigentlich im Juni auslaufen soll. Dabei handelt es sich um eine Umschichtung des Anleiheportfolios, bei der kurzfristige durch langfristige Anleihen ersetzt werden. Durch diesen Schritt könnte die Fed die langfristigen Zinsen drücken und so die Wirtschaft ankurbeln.

Bis zur nächsten Sitzung der Fed dauert es noch zwei Wochen. Noch sind nicht alle Verantwortlichen bei der Notenbank davon überzeugt, dass die Krise auf dem US-Arbeitsmarkt tatsächliche neue Stützungsmaßnahmen rechtfertigt. Analysten wie Tom Porcelli von RBC Capital Markets sind jedoch fest davon überzeugt, dass die Fed bei der Konjunkturförderung aktiv wird: "Die Börsen fallen, und das war die letzte Hürde für die Fed. Alle anderen Kriterien für ein Eingreifen sind längst erfüllt".

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