Hartz-IV-Reform:Der Traum von 41 Euro mehr

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Sozialministerin von der Leyen muss die Hartz-IV-Sätze neu berechnen. Auch wenn die Beträge wohl nicht auf Anhieb steigen werden, bleibt ihr genug Spielraum, um gegen den Verdacht der sozialen Kälte anzugehen.

Thorsten Denkler, Berlin

Mal sehen, ob FDP-Chef Guido Westerwelle jetzt wieder seine verbale Keule herausholt und von anstrengungslosem Wohlstand sowie spätrömischer Dekandenz schwadroniert. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nämlich will die Berechnung der Hartz-IV-Sätze auf eine völlig neue Grundlage stellen. Dabei herauskommen könnten moderat höhere Regelsätze.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will die Berechnung der Hartz-IV-Sätze auf eine völlig neue Grundlage stellen, doch das kann dauern. (Foto: dpa)

Anfang des Jahres war Westerwelle derart ausfallend geworden, weil im Anschluss an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder alle mehr Geld gefordert haben - so jedenfalls kam ihm das vor. Das Gericht hatte moniert, dass die Berechnung der Geldleistungen für die 1,7 Millionen Kinder in Hartz-IV-Bezug nicht nachvollziehbar sei. Sie würden einfach behandelt wie kleine Erwachsene, also Hart-IV-Regelsatz minus Kinderabschlag.

Wenn von der Leyen jetzt eine Neuordnung der Berechnungsgrundlage will, dann setzt sie schlicht um, was das Bundesverfassungsgericht damals entschieden hat. Kurz nach dem Urteil hatte sie die Marschroute vorgegeben: Es werde nicht zwingend mehr Geld geben, dafür aber wohl Sachleistungen und Gutscheine für die Teilhabe an Sport und Kultur.

Dabei soll es auch bleiben. Ein Ministeriumsprecher stellt allerdings klar, Gutscheine und Sachleistungen würden nicht vom Regelsatz abgezogen. Das seien dann Zusatzleistungen. Die Idee: Mit Gutscheinen für Musikunterreicht oder den Sportverein ist das Geld gebunden. Es kann nicht in Zigaretten oder neue Spiele für die Playstation investiert werden.

Gegen diese Art der Bevormundung laufen einige Sozialverbände Sturm. Solange aber kein Geld da ist, um mit einem Heer von Sozialarbeitern Problemfamilien klarzumachen, das Kinder Priorität haben, dürfte dies ein akzeptabler Kompromiss sein.

CDU-Frau von der Leyen muss nicht nur die Regelsätze für Kinder transparenter machen, sondern gleich für alle 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger. Bisher sind die Hartz-IV-Sätze an die Entwicklung der Renten gekoppelt. Das hat dazu geführt, dass Hartz-IV-Familien nicht mal ein Inflationsausgleich zu Verfügung steht.

Bei allen Debatten, ob mehr Geld allein zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt: Faktisch sank in den vergangenen Jahren die Finanzkraft der Hartz-IV-Empfänger. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung gekippt.

Noch will das Ministerium nicht bestätigen, wie die Berechnungsgrundlage in Zukunft aussehen soll, aber es zeichnet sich ab, dass künftig die Nettolohnentwicklung und die Inflation in die Berechnung einfließen sollen - die Regelsätze würden damit automatisch schneller steigen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte gefordert, dass neben der Nettolohnentwicklung und der Inflation auch die sogenannte laufende Wirtschaftsrechnung in die Berechnung einfließen könnte, mit der die Entwicklung der Konsumausgaben der Haushalte beschrieben wird. Die aber wird nur alle fünf Jahre aufgestellt, so dass in den Jahren dazwischen Inflation und Nettolohn die bestimmenden Faktoren sein dürften.

Dem Nachrichtenmagazin Spiegel zufolge sollen erste Vorberechnungen gezeigt haben, dass der Regelsatz nach der neuen Berechnungsmethode inzwischen bei wenigstens 400 Euro liegen müsste, 41 Euro über dem heutigen Wert. Der Satz für Kinder hingegen müsse zwar besser erklärt werden, aber nicht unbedingt steigen.

Noch vieles unklar

Ob sich Hartz-IV-Empfänger tatsächlich auf eine deutliche Erhöhung der Regelsätze freuen können, steht noch in den Sternen. Wie es weitergeht, wird sich erst im Herbst abzeichnen, wenn der Gesetzesentwurf vorgestellt werden wird.

Dann muss die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze abgeschlossen sein, damit am 1. Januar 2011, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, das neue Hartz-IV-Gesetz in Kraft treten kann.

Politiker von Union und FDP jedenfalls scheinen von einer Erhöhung der Sätze nicht sonderlich begeistert zu sein. Der CSU-Sozialpolitiker Max Straubinger hält es für "wenig wahrscheinlich", dass die Regelsätze angehoben werden. Die derzeitige Höhe nannte er "sehr realistisch".

Obwohl das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, dass sich Hartz-IV-Sätze aus sich selbst heraus erklärbar sein müssen wird die Bundesregierung nicht umhinkommen, das Lohnabstandsgebot einzukalkulieren. Das sei "immer auch eine Leitplanke" in der Diskussion, sagt ein Sprecher von Sozialministerin von der Leyen.

"Man muss das Lohnabstandsgebot beachten, gerade jetzt, wo der Arbeitsmarkt beginnt, Arbeitslose aufzunehmen", sagt CSU-Politiker Max Straubinger. Auch die FDP-Abgeordnete Miriam Gruß fordert, der Staat müsse "Abstand wahren zwischen Hartz-IV-Beziehern und denen, die arbeiten".

Unklar ist auch, wie denn eine Erhöhung um 41 Euro finanziert werden soll, die im Bundeshaushalt mit jährlich wenigstens sechs Milliarden Euro zu Buche schlagen würde. Sicher ist da nur eines: Die 500 Millionen Euro mehr, die von der Leyen sich sicherheitshalber schon mal für die Hartz-IV-Reform im Haushalt hat zusichern lassen, würden wohl bei weitem nicht reichen.

Wahrscheinlicher ist, dass von der Leyen lediglich die Berechnungsgrundlage erneuert, aber den Regelsatz - wenn überhaupt - nur moderat erhöht. Gerade so viel, damit der Verdacht der sozialen Kälte, unter dem die schwarz-gelbe Koalition leidet, nicht an ihr hängen bleibt.

Wenn Westerwelle dann die Förderung spätrömischer Dekadenz vorwirft, kann ihr das nur recht sein.

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