Wachstum und Arbeitslosigkeit:Europa Nord und Europa Süd

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Das totale Gegenteil, von dem was geplant war: Ob Staatsfinanzen, Produktivität oder Arbeitslosigkeit, das Gefälle in der EU wächst, statt kleiner zu werden.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Das Geständnis fiel dem finnischen EU-Kommissar nicht leicht. "Ja, wir müssen einräumen, dass es in Europa eine Art von Dualität gibt", sagte Olli Rehn am Montag in Brüssel, wo er die Herbstprognose für die wirtschaftliche Entwicklung der Europäischen Union bis 2012 vorstellte.

Schlafende Bettlerin in Bulgarien: Die Arbeitslosigkeit ist immer noch eines der Hauptprobleme des Balkanlandes. (Foto: OBS)

Europa zerfalle zusehends in zwei Zonen, erklärte er. Die Länder im Norden und in Mitteleuropa, um Deutschland herum, kämen zunehmend gut in Schwung. "In Südeuropa haben wir dagegen gewisse Schwierigkeiten", räumte der Wirtschafts- und Währungskommissar ein.

Der wirtschaftliche Aufschwung innerhalb der 27 europäischen Länder verlaufe "unausgewogen". Er hoffe allerdings, dass das deutsche Wirtschaftswachstum die Konjunktur in der gesamten Europäischen Union ankurbeln werde. Der sonst zurückhaltende Rehn zollte Deutschland ungewöhnlich offen Respekt. Dass es Berlin gelungen sei, nicht nur den Export, sondern auch den Konsum im Land anzukurbeln, sei "das Phänomen des Sommers" gewesen.

Erhebliche Unsicherheiten

Rehn räumte ein, dass seine Voraussage mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sei. Zum einen reagierten die Finanzmärkte sehr sensibel, zum anderen hänge ein wesentlicher Teil der Prognose von "den Nebenwirkungen des deutschen Aufschwungs" ab.

Die Europäische Kommission erwartet, dass es im Jahr 2012 erstmals seit 2007 wieder in sämtlichen 27 EU-Staaten Wirtschaftswachstum geben soll. Die Volkswirtschaften könnten durchschnittlich um 2,0 Prozentpunkte wachsen. Im laufenden Jahr rechnet die EU-Kommission damit, dass das Bruttoinlandsprodukt der 27 europäischen Länder um 1,8 Prozentpunkte zulegen wird, in den 16 Staaten der Eurozone sollen es 1,7 Prozent sein.

Damit erhöht die Brüsseler Behörde ihre Voraussagen. Im Mai hatte sie für beide Regionen jeweils einen Prozentpunkt mehr erwartet. Deutschlands Wirtschaft könnte in diesem Jahr um 3,7 Prozentpunkte wachsen, im kommenden Jahr soll sich das Wachstum allerdings etwas verlangsamen. Rehn prognostizierte nur für die viel kleineren Volkswirtschaften Schwedens (4,8) und der Slowakei (4,1) ein prozentual höheres Wachstum als für Deutschland. Ebenfalls deutlich über drei Prozent dürfte Luxemburgs Wirtschaft wachsen.

Mit Blick auf die wirtschaftlich angeschlagenen Staaten vor allem im Süden Europas sagte Rehn, zur Budgetkonsolidierung gebe es keine Alternative. "Die einzige Möglichkeit, das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen, ist die strikte Umsetzung der Spar- und Reformprogramme", sagte der Kommissar. Besondere Sorgen bereiten der EU-Kommission offensichtlich Portugal und Spanien.

Arbeitslosenquoten in der EU: Spanien und die Länder des Baltikums führen die Liste an. Für eine umfassendere Aufstellung bitte auf die Grafik klicken.  (Foto: N/A)

Falls diese Länder ihre Sparziele nicht einhielten, beispielsweise wegen eines geringeren Wachstums, seien zusätzliche Sparanstrengungen unvermeidbar, erklärte Rehn. Es bestehe eine "gewisse Gefahr", dass Spanien hinsichtlich des wirtschaftlichen Wachstums zu optimistisch geplant habe, sagte Rehn. Er könne die Regierung in Madrid nur ermutigen, die beschlossenen Sparpläne strikt umzusetzen. Laut Prognose der EU-Kommission wird es Spanien nicht wie erwartet gelingen, seine jährliche Neuverschuldung im Jahr 2011 auf sechs Prozent zu verringern.

Sorge bereitet zudem die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Bis 2012 wird voraussichtlich jeder fünfte spanische Erwerbsfähige ohne Job sein. In der gesamten Europäischen Union soll die Arbeitslosigkeit dagegen leicht sinken, von derzeit 9,6 auf rund neun Prozent 2012.

Rückzahlungsfrist verlängert

Rehn erklärte, er gehe davon aus, dass die irische Regierung wie geplant ihren Haushalt in Ordnung bringen und ihre Banken restrukturieren werde. Er hoffe, dass das Land bald an den Kapitalmarkt zurückkehren könne. In Griechenland sei die Situation ungleich schwieriger. Die Staatsschulden werden bis 2012 auf 150 Prozent der Leistungsstärke der griechischen Volkswirtschaft ansteigen.

Die europäischen Finanzminister hatten sich bereits am Sonntag darauf verständigt, die Frist zur Rückzahlung der EU-Darlehen auf sieben Jahre zu verlängern. Die Verbraucherpreise dürften in den kommenden drei Jahren nur leicht steigen. Die Inflation werde zwischen 1,5 und zwei Prozent pendeln.

© SZ vom 30.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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