Suspendierung von Blatter und Platini:Beben in Zürich

FIFA Post Congress Week Press Conference

Fifa-Chef Blatter denkt noch immer nicht ans Aufgeben (Archivbild von Mai 2015).

(Foto: Alessandro Della Bella)
  • Die Ethik-Kommission der Fifa hat Verbands-Chef Sepp Blatter und Uefa-Chef Michel Platini jeweils 90 Tage lang für sämtliche Fußballaktivitäten gesperrt.
  • Formal übernimmt bei der Fifa nun Blatters erster Stellvertreter Issa Hayatou das Präsidentenamt. Er war selbst schon in diverse Affären verwickelt.
  • Blatter gibt sich entspannt, er ließ durch seinen Sprecher ausrichten, "er mache jetzt halt 90 Tage Urlaub". Zurücktreten will er nicht.
  • Stattdessen könnte er versuchen, die Fifa nun so aufzustellen, dass auch nach den Präsidentschaftswahlen im Februar noch Platz für ihn ist. Er könnte versuchen, einen ihm nahestehenden Nachfolger in Stellung zu bringen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Am Donnerstagfrüh, um sieben Uhr, kam Sepp Blatter in sein Büro auf dem Zürichberg. Das haben zumindest seine PR-Berater erzählt. Früh morgens antreten, im Andachtsraum vielleicht noch ein "Großer Gott, wir loben dich" singen und dann den lieben langen Tag über den Weltfußball regieren: So hat der Schweizer das gern gehalten, seit er 1998 an die Spitze der Fifa gerückt ist. Aber dieser Tag ist Blatters vorerst letzter gewesen im Chefbüro des Weltverbandes.

Am Donnerstagmittag verschickte die Ethikkommission des Verbandes eine Mitteilung von sporthistorischer Dimension: Fifa-Boss Sepp Blatter sowie Michel Platini, Präsident von Europas Fußballunion (Uefa) und größter Favorit auf Blatters Nachfolge, sind für jeweils 90 Tage für sämtliche Fußball-Aktivitäten gesperrt. Allerdings teilte das Uefa-Exekutivkomitee am Abend mit, dass es weiterhin hinter Platini stehe. Der Franzose legt Einspruch gegen die Sanktion ein und möchte weiter die Amtsgeschäfte führen. Neben Blatter und Platini bannte die Ethikkommission den intern schon suspendierten Generalsekretär Jérôme Valcke ebenfalls für 90 Tage. Der langjährige Fifa-Vorstand Chung Mong-Joon aus Südkorea, der auch eine Kandidatur fürs Präsidentenamt anpeilte, wurde für sechs Jahre gesperrt.

Zig Affären hatte Sepp Blatter, 79, im Amt unbeschadet überstanden. Seit Mai haben ihm aber die Ermittlungen von amerikanischen und Schweizer Behörden rund um den Weltverband zugesetzt. Die Einschläge rückten sukzessive näher. Vor zwei Wochen eröffnete die Bundesanwaltschaft in Bern ein Strafverfahren gegen Blatter wegen "ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie - eventualiter - wegen Veruntreuung". Ein maßgeblicher Punkt dabei ist eine Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken, die Blatter im Februar 2011 für seinen langjährigen Zögling und heutigen Widersacher Platini anweisen ließ.

Eine plausible Erklärung lieferten die beiden bis heute nicht. Sie verweisen auf eine Beratertätigkeit Platinis für die Fifa in den Jahren 1998 bis 2002; die Überweisung sei die abschließende Rate dafür gewesen. Dass er das Geld neun Jahre lang nicht einforderte, erklärt Platini wenig glaubhaft mit Verweis auf angebliche damalige Finanznöte der Fifa. Die Schweizer Behörden gehen jedenfalls von einer "treuwidrigen Zahlung" aus. Daher konnte die Ethikkommission des Verbandes nun kaum noch anders reagieren als mit Sperren. Die US-Justizbehörden führen Fifa-Ermittlungen auch auf Basis ihres "Rico"-Gesetzes: Das stuft zu untersuchende Organisationen als Mafia-ähnlich ein. Wer da nach Kräften mitmischt, riskiert im Zweifel selbst etwas.

Formal übernimmt bei der Fifa nun Blatters erster Stellvertreter Issa Hayatou das Präsidentenamt. Der Kameruner, 2001 Blatters Herausforderer und seit Langem schwer krank, war selbst in diverse Affären verwickelt. Er zählte zu den Sportfunktionären, die vom früheren Sportrechtevermarkter ISL Schmiergeld erhielten; vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gab es dafür noch unter Leitung des Belgiers Jacques Rogge eine Rüge. Bei der Fifa passierte ihm nichts. Zudem steht Hayatou im Verdacht, einer der afrikanischen Wahlmänner gewesen zu sein, die für ein Votum bei der WM-Vergabe 2022 an Katar Geld kassiert haben sollen; er streitet das ab.

Blatter macht jetzt erst einmal Urlaub

Für Blatter ist das Kapitel Fifa mit dem Verdikt der Ethikkommission noch nicht erledigt - trotz aller Rücktrittsforderungen, die es gab. Blatter mache jetzt halt 90 Tage Urlaub, tat sein PR-Berater Klaus Stöhlker jovial kund, dann käme er wieder zurück. Das zeigt, welche Wahrnehmung der Schweizer hat: Offenbar denkt er wirklich noch immer nicht daran abzutreten. Er hat nun zwei Tage Zeit, Berufung einzulegen, wird darauf aber wahrscheinlich verzichten. Zudem deutet manches darauf hin, dass seine Lobbyisten den Plan verfolgen, den Ethikern Unregelmäßigkeiten bei ihrem Vorgehen zu unterstellen.

Blatter will bei der neuen Fifa weiter mitarbeiten

Schon am Mittwochabend, als durchsickerte, dass die Ethikkommission der Spruchkammer eine 90-Tage-Sperre vorgetragen habe, gab es Auffälligkeiten: Ein PR-Berater Blatters bestätigte die Spekulation. Nur: Wie konnte er das wissen, wenn die Ethikkommission doch angeblich unabhängig arbeitet? Die New York Times zitierte einen Anwalt Blatters mit der Forderung, dass er vor einer Entscheidung eine Anhörung verlange. Nach dem Verdikt am Donnerstag bekräftigten Blatters Rechtsvertreter, dass keine Anhörung erfolgt sei. Dem widerspricht die Ethikkommission: Blatter wie auch Platini sei am 1. Oktober rechtliches Gehör gewährt worden.

Für Blatter geht es sicherlich auch darum, dass sich die Fifa so aufstellt, dass selbst nach den Präsidentschaftswahlen am 26. Februar 2016 noch Platz für ihn ist. Anzunehmen ist, dass er schon seit seiner erzwungenen Rücktrittsankündigung im Juni an dieser Aufgabe bastelt. Ab sofort ist ihm zwar jegliche Kommunikation über Fußballthemen mit dem Chefbüro untersagt, aber Blatter hat auch solche Hindernisse schon einmal überwunden.

Es deutet sich bereits ein Modell an, wie Blatter sich doch noch in der Fifa halten und den einen oder anderen Büro-Morgen auf dem Zürichberg verbringen könnte. Der Südafrikaner Tokyo Sexwale und der diesem verbundene langjährige Fifa-Manager Jérôme Champagne, der bis zu seiner Entlassung als stellvertretender Fifa-Generalsekretär 2011 auch Blatter stets treu zur Seite gestanden war, drängen offenkundig in eine führende Rolle. Tritt Sexwale an, der von den Fifa-Affären unbelastet ist und eine Kommission zu den Fußball-Beziehungen zwischen Israel und Palästina führt, darf stark angenommen werden, dass Champagne ein Kandidat für den Job als Fifa-Generalsekretär ist. Auch der ist ja nun vakant, weil die Ethiker Jérôme Valcke suspendierten.

Für Blatter ist die Entscheidung des Ethikkomitees auch ein Erfolg, weil die Sperren in Platini und Chung die beiden Personen betreffen, die er als Nachfolger unbedingt verhindern wollte. Platini, 60, galt als Favorit, bis die Schweizer Behörden die Ermittlungen aufnahmen. Bemerkenswerterweise scheint er trotz der Aktivitäten der Behörden sowie der nun verhängten 90-Tage-Sperre davon überzeugt zu sein, dass er weiterhin als Kandidat in Frage kommt. In seinem Umfeld heißt es, er sei kaum erreichbar und lebe in einer eigenen Interpretationswelt.

Platini hatte schon nicht verstanden, warum er die Hintergründe der Zahlung über zwei Millionen Franken offenlegen sollte. Schon am Donnerstagmittag, noch vor der offiziellen Mitteilung über die Sanktion, hatte er geklagt, bei den Vorgängen ginge es darum, seine Reputation zu zerstören, er werde aber kämpfen. Dazu passte, dass die Uefa am Abend die Mitteilung verschickte, dass Platini Einspruch eingelegt habe und vorerst weiter im Uefa-Chefamt bleibe; dabei sind die Regularien der Ethikkommission diesbezüglich eindeutig. Indem Platini diese ignoriert, stellt sich die Frage, ob er nur mit einigen kleinen Winkelzügen etwas Zeit herausholen will oder ob der Beginn einer richtig heftigen Konfrontation zwischen Uefa und der Fifa ist.

Kurz-Vita der suspendierten Verbands–Chefs

JOSEPH S. BLATTER (79)

Beruflicher Werdegang: Sekretär Walliser Verkehrsverband (1959 - 1964). - Sekretär Schweizerischer Eishockey-Verband (1964 - 1966). - Pressechef Schweizer Sportverbände (1966 - 1968). - PR-Direktor des Uhrenherstellers Longines (1968 - 1975).

Funktionen im Weltverband Fifa: Technischer Direktor (1975 - 1981), Generalsekretär (1981 - 1998), Präsident (seit 1998).

MICHEL PLATINI (60)

Als Spieler: AS Nancy (1972 - 1979), AS St. Etienne (1979 - 1982), Juventus Turin (1982 - 1987). - 72 Länderspiele für Frankreich/41 Tore. -

Größte Erfolge: Europameister 1984, Europapokalsieger der Landesmeister 1985.

Nach der aktiven Laufbahn: französischer Nationaltrainer (1988 - 1992). - Organisations-Komitee für die WM 1998 (1992 - 1998). - Seit 2002 in der Uefa-Exekutive. - Seit 2007 Uefa-Präsident.

In jedem Fall hatte Platini noch kurz vor der Sperre die fünf Unterstützungsunterschriften vorgelegt, die für eine Kandidatur als Fifa-Präsident nötig sind. Da klingt viel Trotz an, in der Welt der Fifa und ihrer Formalitäten aber kann derlei Formales noch wichtig werden. Offenbar reichte er als Noch-Nicht-Gesperrter die Unterschriften seiner Unterstützer ein. Die Meldefrist für Kandidaten endet am 26. Oktober. Danach befindet die Wahlkommission, welche Bewerber sie zulässt. Grundlage ist unter anderem ein Dossier, das die Ethikkammer erstellt, und ein Integritäts-Check.

Platini ist politisch untragbar

Abseits der Formalitäten ist Platini politisch untragbar und muss damit rechnen, dass die Unterstützung rasch schwindet. Offiziell darf er sich mit niemandem aus der Fußballszene austauschen, ohne dass der Gesprächspartner selbst eine Sanktionierung riskiert. Insofern überraschte nicht, dass in Wolfgang Niersbach, dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), erstmals einer seiner engsten Begleiter abrückte: "Vor 14 Tagen war noch alles klar. Er hatte über 100 Unterstützer, auch den DFB. Wir müssen die neue Situation bedenken. Vor allem muss er selbst entscheiden, ob er mit der Belastung die Kandidatur aufrechterhalten kann."

Der Südkoreaner Chung, 63, reagierte erbost auf die Sechs-Jahres-Sperre gegen ihn. Er sieht sich in seiner These bestätigt, dass die Ethikkommission vor allem dazu diene, die Blatter-kritischen Präsidentschaftskandidaten auszuschalten. "Das ist das eklatanteste Scheitern der Justiz. Die Fifa ist wie die sinkende Titanic", sagte er. Er wolle rechtliche Maßnahmen ergreifen. Die Fifa-Ethiker legen ihm ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 zu Last, für die sich auch Südkorea bewarb, die aber Katar erhielt.

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