Bundesliga: FC Bayern - Mönchengladbach:Das Spiel, das Haken schlägt

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Beim 3:3 in Mönchengladbach bietet der FC Bayern zwar beste Unterhaltung, brockt sich zugleich aber selbst die nächste Diskussion ein. Trainer van Gaal ist wütend wie selten.

Philipp Kreutzer, Mönchengladbach

628 Seiten mit mehr als 1000 Fotos, vielen Spielerporträts und ausführlicher Statistik umfasst die Chronik von Borussia Mönchengladbach, die der Verein anlässlich seines 110-jährigen Bestehens soeben veröffentlicht hat. In dieses Werk wird das Gladbacher 3:3 gegen den FC Bayern München vom Samstag keinen Eingang mehr finden können, es kam einfach zu spät. Anspruch auf Erwähnung in der Klubhistorie hat es aber auf jeden Fall.

Gladbach zeigt Moral und Bayern Sorglosigkeit: Raul Bobadilla (re.) im Zweikampf mit Toni Kroos. (Foto: dapd)

Das Spiel bot beste Unterhaltung, es brachte ständige Wendungen und Dramatik, es war im Wortsinn packend. Dieses Spiel bemächtigte sich nämlich mehrmals der Beteiligten beider Seiten, es versetzte sie in glückselige Zustände, ließ sie dann aber schon bald in Fassungslosigkeit und Enttäuschung umschlagen. Und umgekehrt.

Diesem Spiel ist es zudem gelungen, die These zu untermauern, wonach die Bundesliga die einzige europäische Top-Liga sei, in der selbst der Tabellenletzte gelegentlich mit der Spitze mithalten kann. Wobei das auf gar keinen Fall für die erste Hälfte gelten kann, in der die Gladbacher bemitleidenswert unterlegen waren und die Statistiker 79 Prozent Ballbesitz zu Gunsten der Bayern ermittelten.

Der 1:2-Pausenrückstand nach Treffern von Patrick Herrmann zum 1:0 der Borussia (5.) sowie den Gegentoren von Mario Gomez (11.) und Bastian Schweinsteiger (40.) schmeichelte der Heimmannschaft, denn Gomez und Toni Kroos vergaben eine große Doppelchance (37.), Schweinsteiger traf per Kopf die Latte (30.) und setzte einen Strafstoß an den Außenpfosten (43.). "Wir haben eine sehr gute erste Hälfte gespielt und hätten da das Spiel entscheiden müssen", sprach Mittelfeldspieler Andreas Ottl aus, was alle Bayern empfanden.

Vielleicht war es Schweinsteigers Fehlschuss aus elf Metern, der die Gladbacher glauben machte, es könne sich lohnen, im zweiten Durchgang anzugreifen. Vielleicht war es auch die Einwechslung von Roel Brouwers und Ivan de Camargo. Die Borussia brachte jedenfalls nach dem Wechsel einen nicht mehr für möglich gehaltenen Mut auf, kam zu zwei Chancen und nutzte beide: Marco Reus traf zum Ausgleich (56.), de Camargo zur 3:2-Führung (60.). Die bis dahin von ihrer Mannschaft enttäuschten Gladbacher Fans waren plötzlich der Ekstase nah, im Block gegenüber dagegen herrschten Ungläubigkeit und Entsetzen.

Der schlagartig aufgekommenen Begeisterung und Leidenschaft der Borussia hatten die Bayern 15 Minuten lang wenig entgegenzusetzen, und damit hat dieses Spiel noch etwas vermocht: Es hat den Bayern eine Diskussion über den Viertelstundenschlaf eingebrockt. Die ist manchen im Verein zwar womöglich willkommener als der Zwist des Präsidenten Uli Hoeneß mit Trainer Louis van Gaal, der zuletzt die Schlagzeilen bestimmte. Als erfreulich wird sie dennoch nicht empfunden.

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Philipp Kreutzer, Mönchengladbach

"Es war wie in Cluj", fühlte sich der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge an das Champions-League-Spiel der Bayern am vorigen Mittwoch erinnert, als die Mannschaft ebenfalls schlafmützig aus der Kabine gekommen war: "Da hätte es auch schon ins Auge gehen können." Tat es nicht, die Bayern gewannen in Rumänien bekanntlich mit 4:0.

Gladbach zeigt Moral und Bayern Sorglosigkeit: Roel Brouwers(li.) grätscht gegen Mario Gomez. (Foto: AP)

Diesmal aber, so Rummenigge, "haben wir in den 15 Minuten nach der Pause zwei Punkte hergeschenkt. Was wir da gespielt haben, war fahrlässig, denn die drei Punkte hätten wir dringend benötigt. Dieses Unentschieden fühlt sich an wie eine Niederlage". Und eine solche können sich die Bayern bei der beabsichtigten Aufholjagd nicht erlauben.

Van Gaal ließ seinen Frust mit lautem Gebrüll in der Kabine ab. "Ich war sehr enttäuscht und auch ein bisschen böse", begründete er den Wutausbruch. Der Coach hatte seine Mannschaft in der Pause noch euphorisch gelobt: "Ich habe Bayern München in dieser Saison noch nie so gut gesehen." Doch seine Warnung vor der nun zu erwartenden Aggressivität der Gladbacher blieb ungehört. "Wir haben weniger Aggressivität und Leidenschaft gezeigt", räumte Philipp Lahm ein. Ihre anfängliche Überlegenheit, die sie in solcher Ausprägung sonst nur in Freundschafts- oder Pokalspielen gegen unterklassige Gegner erleben, hatte die Bayern zur Sorglosigkeit verleitet.

Immerhin aber rafften sie sich nach dem 2:3 noch einmal auf, erreichten nun beinahe wieder die Dominanz der ersten Hälfte, kamen kurz vor Schluss durch Philipp Lahm zum Ausgleich (84.) und verdarben den Gladbachern damit den greifbar nah scheinenden ersten Heimerfolg der Saison. "Schade, wir standen kurz vor dem Sieg. Etwas Enttäuschung ist da, aber meine Mannschaft hat viel Moral gezeigt", resümierte Gladbachs Trainer Michael Frontzeck.

Dieser letzte Haken, den das Spiel schlug, setzte noch einmal alle Emotionen frei. Van Gaal bekannte, "Tränen in meinen Augen" gehabt zu haben, so gerührt sei er gewesen angesichts der Moral seiner Mannschaft: "Was wir da leisten, das ist unglaublich."

Sogar ein Sieg der Bayern schien möglich, als Kroos in der Nachspielzeit den Ball perfekt von Müller serviert bekam, aber nicht richtig traf. "Er muss diese Chance machen", urteilte van Gaal, dachte jedoch sogleich ein wenig weiter: "Aber vielleicht hat unser lieber Gott gedacht: Diese Spieler müssen noch etwas lernen."

Sollte das tatsächlich so gewesen sein, hätte sich diese Partie sicher nicht nur für die Geschichtsschreibung von Borussia Mönchengladbach qualifiziert.

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