Übernachten in Wien:Loft statt Lager

Urbanauts Wien

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In Wien werden leer stehende Gassenlokale zu Hotelzimmern. Direkt an der Straße zu wohnen, ist gewöhnungsbedürftig - aber bietet interessante Ein- und Ausblicke.

Von Evelyn Pschak

Das türkische Bad in der Belvederegasse entlockt manch geschichtsbewusstem Besucher ein Schmunzeln: Sind die Osmanen nach zwei erfolgreich gekonterten Belagerungen also doch noch in Wien angekommen! Ausgestreckt auf erwärmtem Marmor, umhüllt vom wabernden Dampf des Baderaumes, werden Hamam-Besucher mitten im 4. Gemeindebezirk von vier sehnigen Frauenarmen in synchroner Choreografie geschrubbt, gepeelt und geölt.

Zwei dieser Arme gehören Bouschra Portner. Die Marokkanerin hat Elektrotechnik studiert. Aber, so sagt die 46-Jährige und schwenkt ein fein ziseliertes Silberkännchen, bis sich Melissentee im perfekten Bogen in ein zierliches Teeglas ergießt: "Ich wollte immer ein Spa haben. Es macht mich glücklich, wenn Leute von hier glücklich weggehen." So hat sie vor vier Jahren "Mon Corps" eröffnet.

Ihr Hamam ist schnell drei jungen Architekten aufgefallen, die zur gleichen Zeit im gleichen Grätzel ein ungewöhnliches Hotelprojekt starteten: Die Urbanauts richten leer stehende Gassenlokale als Hotelzimmer ein und bieten ihren Gästen als Extraservice Adressen von empfehlenswerten Serviceangeboten.

Hamam, Caféhaus und Bar

Diese sogenannten Fellows fügen der Übernachtung in den im Viertel verteilten Studios die Annehmlichkeiten eines Sternehotels bei, nur dass sie eben nicht unter einem Dach sind, sondern ebenfalls im Viertel verteilt. Wie das Hamam von Bouschra Portner. Oder ein Frühstücksraum, der dem Speisesaal mancher Grandhotels in nichts nachsteht: Schließlich handelt es sich beim Fellow-Café Goldegg um ein Altwiener Kaffeehaus samt Eierlikör-Guglhupf, Holzvertäfelung und grünsamtig ausgeschlagenen Billardtischen unter Messinglüstern.

Eine schummrige Hotelbar, die neben Cocktails auch Marillenknödel und Wiener Prominenz bietet, findet der Gast auf seinem Urbanauts-Plan ebenso, ein paar Straßen weiter im Club Motto. Inzwischen gibt es 15 regelmäßig aktualisierte Fellows, die Zusatzdienste ins Konzept einbringen: "Die Stadt wird zur Lobby", sagt Theresia Kohlmayr.

Industrial Chic

Die 29-Jährige bildet mit ihren Wiener Studienfreunden Jonathan Lutter und Christian Knapp das Trio Urbanauts. Wenn sie Stadt sagt, meint sie die Wieden, den lange unterschätzten 4. Wiener Bezirk. Hier befindet sich ihr Architektur- und Designbüro KLK, auch die inzwischen fünf Hotelzimmer liegen hier. "Ein neues Hotelkonzept hat mich schon immer gereizt", erzählt die gebürtige Pongauerin, die einer Hoteliersfamilie entstammt. "Seit einigen Jahren wandeln sich Städtereisen. Viele Touristen wollen eine Stadt privater und individueller erleben."

Theresia Kohlmayr steht vor einem Klinkerbau in der Belvederegasse und erklärt den gängigen Grundriss der Gassenlokale anhand ihres Neuzugangs "Der Schlosser": ein Gründerzeitobjekt, zwei Fensterachsen, fünf Meter lang, fünf Meter breit. Am Ende der Straße, die ein paar Hundert Meter weiter zum Schloss Belvedere führt, zeichnet sich schon das getupfte Grün der symmetrischen Gartenanlage ab. Einst wurde das Eingangsportal des Barockschlosses von den Schlossern geschmiedet, in deren ehemaligem Schraubenlager nun Urbanauts-Gäste unterkommen.

Doppelbett unterm Freskengewölbe

"Die kleinen Handwerksbetriebe in den zentralen Vierteln konnten ihre Geschäfte nicht mehr halten", erklärt die Architektin den Leerstand. Jetzt wohnen Hotelgäste hier, in architektonischem Industrial Chic: Unter einem Gewölbe mit verblasster Freskenmalerei dominiert ein Doppelbett den hohen Raum. Ein schwerer Theatervorhang beschirmt die Bettenrückwand, eine stählerne Schiebetür grenzt Zimmer und Badezimmer bei Bedarf ab.

Eine Kapsel-Kaffeemaschine, ein weißer Computerbildschirm, ein gefüllter Kühlschrank und die schwarzen Entwürfe der Wiener Modemacherin Eva Poleschinski, die als Zusatzdienst auf einer Kleiderstange zur Anprobe bereithängen, komplettieren das Bild. Selbst an den Zimmerschlüssel gelangt man zeitgemäß: Per E-Mail erhält man zwei Tage vor der Ankunft einen Code, der ein Schließfach an der Eingangstür öffnet, das den Schlüssel enthält.

Ungewohnte Perspektive

Nähe zu den Passanten ist in den Studios garantiert, auch wenn die Fenster beschichtet sind, um allzu neugierige Blicke abzuwehren. Im ersten Moment ist es doch befremdlich, unmittelbar auf Straßenebene zu wohnen. Dass die Fenster großteils blickdicht sind, mag Intimität und Abgrenzung ermöglichen, nimmt allerdings auch den gewohnten Ausblick. Die Passanten ziehen als Schatten vorbei, Gesprächsfetzen dringen in das Loft. Das Blätterwerk der Bäume wiegt sich im Wind, mehr lässt die Perspektive durchs obere Fensterdrittel nicht zu.

Die Lofts eignen sich damit vor allem für Bewohner, die es gewohnt sind, auf Straßenniveau zu arbeiten und in ihren verglasten Ateliers Lebens- und Arbeitszeit sowieso ineinander fließen lassen. "Die skandinavischen Länder sind weit vorne, was das Wohnen an der Straße anbelangt", sagt Theresia Kohlmayr. "Oder auch Holland: In Amsterdam wohnt man sogar im Souterrain und hält auch die Einblicke offener."

In ihre Worte hinein ertönt die Glocke der gegenüberliegenden Elisabeth-Kirche. Der historisierende Klinkerbau überragt einen Kinderspielplatz, eine Volksschule und einen Marktstand, an dem ein paar ältere Männer ihre Plastiktüten mit Kohl befüllen. Das Viertel ist von sonntäglicher Ruhe. "Noch", meint Theresia Kohlmayr. Vor ein paar Monaten wurde der neue Hauptbahnhof eingeweiht, vom Westbahnhof fahren inzwischen nur noch Regionalzüge ab.

Wiener Blut

Kommt man etwa aus München nach Wien, landet man jetzt gleich in Favoriten, dem 10. Bezirk, der hier an die Wieden, den 4. Bezirk, grenzt, wo die Urbanauten-Zimmer zu finden sind. Das neue Viertel soll Quartier Belvedere heißen, seit 2010 wird daran gebaut. "Wir hatten Glück, hier noch Objekte zu finden", sagt Theresia Kohlmayr. Das neue Stadtviertel werde zwar erst 2022 fertig, dennoch sei die Erhöhung der Mieten und der Geschäftigkeit schon spürbar.

"Ich habe immer auf den 4. Bezirk gesetzt", sagt Ernst Hilger, ein Galerist und Nachbar der Urbanauts, der seit seiner Geburt in der Mayrhofgasse lebt. Seit 1971 bringt der Galerist Picasso, Warhol oder Erró in seine Heimatstadt, aber auch zeitgenössische Künstler und Street Art. Der 64-Jährige findet die Ideen des Trios "faszinierend". So überließ er ihnen ein leer stehendes Ladenlokal, daraus wurde das Urbanauts-Loft "Der Galerist". "Das war eigentlich für meine Motorräder gedacht. Aber ich hatte nie Zeit, das Lager herzurichten."

Die Urbanauts haben das übernommen. Und damit eine weitere Anekdote ihres Viertels in die Gegenwart gerettet: In den Sechzigerjahren ereignete sich hier Kunstgeschichte, als der damalige Student Hilger das Lokal Künstlern überließ, etwa dem Wiener Aktionisten Hermann Nitsch mit seinen triefenden, rot spritzenden Ritualen. Flecken sind heute nicht mehr zu sehen. Aber Wiener Blut, so könnte man die Botschaft der Urbanauts lesen, das fließt hier noch immer.

Übernachtung 120 bis 140 Euro pro Person, www.urbanauts.at

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