Nachtleben in Wien:Nicht alle wollen ins Bett

Prater in Wien

In Wien geht noch mehr als der Prater - man muss nur wissen, wo. Und wann.

(Foto: obs)

Vieles an Wien ist brav, beschaulich und angepasst. Aber die Stadt hat auch eine wilde Seite. Man muss nur wissen, wo - und zur rechten Zeit kommen.

Von Cathrin Kahlweit

Über das Nachtleben von Wien zu schreiben, ist ein Anachronismus. Nachts geht man nicht los. Man kommt höchstens an.

Die Stadt hat bekanntlich ein intensives Tagleben, das sich eher schleichend in den Abend hineinwindet, sich mit der blauen Stunde verschränkt und in der Nacht noch nicht aufhört. Aber ein Eigenleben der Wiener Nacht?

In Österreichs Hauptstadt geht man morgens aus, setzt sich ins Kaffeehaus, trinkt eine Melange, dann einen weißen Spritzer, dann ein Viertel, und dann ist Abend. Der bekannteste Deutsche in Wien, Dirk Stermann, beschreibt das in seinem großartigen Text "Bottle in a Message" so: "Das Begrüßungsviertel kommt vorm Fluchtachterl, das zum Fluchtviertel wird, mit dem man den weiteren Abend begrüßt."

Vorglühen auf der Dachterrasse

Und weil man dann eh nicht mehr arbeiten mag, schleppt man sich heiter zum Heurigen, macht dort mit dem zweiten und drittel Viertel plus ein paar Gurken, Liptauer und Brot weiter, bevor man, eventuell, noch im Wirtshaus etwas Herzhaftes zu sich nimmt, ein Beuschel im Rebhuhn an der Berggasse etwa oder ein Gulasch im Glacis Beisl. Und dann geht man heim.

Okay, das ist ein Klischee, aber sehr oft ist es wahr.

Es geht in Wien aber auch effizienter, moderner, sozusagen: Man geht morgens ins Kaffeehaus, arbeitet dann ein wenig - und trifft sich zum Afterwork. Wer Touristen und Junggesellenabschiede aushält, geht in den Innenhof des Museumsquartiers auf einen Cocktail, bevor er auf die Dachterrasse des 25hours-Hotels zieht, wo der Blick beim Vorglühen so schön über den ersten Bezirk schweifen kann. Dann isst man unten, vor dem 25hours, am Burger-Wohnwagen einen Veggie-Burger, zieht noch ein wenig über den Spittelberg. Und dann geht man heim.

Salat in der Strandbar

Oder ein bisschen Atmosphäre am Wasser gefällig? Dann geht man nach der Arbeit an den Donaukanal. Isst in der Strandbar Herrmann einen Salat mit Blick auf hässliche Graffiti, wandert hinüber zum Tel Aviv, einer populären Bar mit Liegestühlen (zurzeit ist das Liegen beim Trinken ja sehr angesagt) am schmutzigen Beton-Ufer mit Blick auf den Stephansdom, geht dann noch auf einen Absacker ins Motto am Fluss, was ein hippes Etablissement auf einem hippen Schiff auf dem wenig hippen Kanal ist. Und dann geht man heim.

Aber richtig ausgehen? Laut? Jung? Angesagt und abgefahren? Sagen wir mal so: Berühmt ist diese Stadt für etwas anderes.

Aber es geht.

Informationen

Man beginnt den Abend am besten mit einem guten Essen, was in Wien das geringste Problem ist; gern in einem alteingesessenen Beisl wie dem Rebhuhn (Berggasse 24) oder, etwas zentraler, im Glacis Beisl mit seinem tollen Gastgarten (hinter dem Museumsquartier, Breite Gasse 4).

Dann geht man zum Vorglühen, wenn man einen der raren Plätze bekommt, auf die Dachterrasse des Hotels 25hours (Lerchenfelder Straße 1), bevor man sich in die Clubs der Stadt aufmacht. Dazu fährt man am besten entweder Richtung Prater, nimmt ein paar Fahrgeschäfte mit und geht dann in den Praterdome oder die Pratersauna (Waldsteingartenstraße 135) oder bewegt sich entlang des Donaukanals (nicht zu verwechseln mit der Donau), wo man im Flex (Kanal/Ecke Augartenbrücke), in der Grellen Forelle (Spittelauer Lände 12) oder in den Bars am Wasser (Tel Aviv Beach, Donaukanal Straße 26) die Nacht durchfeiert.

Am eleganten Ring gibt es jede Menge Clubs und Discos, in denen auch die Ü-30 nicht unangenehm auffallen; alles hier ist etwas schicker, die Musik etwas mainstreamiger (Babenberger Passage, Burgring 3; Platzhirsch, Opernring 11, aber auch die Albertina-Passage, Passage Opernring). Schickes Design für die leistungsbereite Jeunesse dorée bietet die Clubdisco im Volksgarten. Und wer dann noch nicht genug hat, zieht Richtung Lerchenfelder Gürtel, wo unter den Bögen der Stadtbahn das Chelsea oder das B72 locken. Weitere Infos auch unter: www.wien.info (Lifestyle und Szene).

Pratersauna: Irgendwo muss man ja anfangen

Halb zwölf in der Nacht ist, zugegeben, viel zu früh für die Pratersauna, aber irgendwo muss ja anfangen, wer die Nacht durchmachen will, damit er morgens ins Kaffeehaus gehen kann. Der Swimmingpool, der der Pratersauna im Sommer ein spezielles Flair gibt, gleißt im Mondlicht, oder er gleißt doch zumindest an jenen Stellen, an denen Blätter und Dreck von den umstehenden Bäumen die Oberfläche nicht verschmutzen.

Traurige Gestalten hängen auf der Terrasse über ihren schmierigen Plastikbechern. Sie warten, dass es endlich losgeht, dass sich die einstige Sauna, die in den sechziger Jahren gebaut worden ist, füllt, dass DJ Felix the Houserat endlich eintrifft und auflegt. Aber der, sagt einer der versprengten Gäste, komme erst gegen zwei Uhr morgens.

Alle hier eint das Gefühl, das sich einstellt, wenn man als Erster auf eine Geburtstagsfeier kommt und sich der Gastgeber, der nicht fertig ist mit den Vorbereitungen, in Small Talk versucht. Selbst schuld, wenn man es nicht besser weiß: Die Pratersauna, ein House-, Elektro- und Techno-Club, gilt als extrem angesagt in Wien; voll ist er ab drei. Früher sollen sich hier russische Mafiosi getroffen haben, und ein Swingerclub war das Ganze auch mal, aber jetzt ist die Anlage generalsaniert.

In der Grellen Forelle geht die Post ab

Praktischerweise liegt sie in der Nähe der Riesendisco Praterdome, sodass man nur ein Stück weiterziehen muss, wenn man in dieser großen Stadt die Abwechslung sucht und zwischen Sauna und Dome mal Riesenrad fahren will.

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Gleich hinter der Ex-Sauna, die in einer Mischung aus gekacheltem Industrie-Schick, riesigen, neu designten Toiletten und grindigem Kellerlook changiert, erstreckt sich schließlich der legendäre Prater, Wiens überteuerter Rundumsjahr-Jahrmarkt.

Während Felix the Houserat noch auf sich warten lässt und es fürs Schwimmen mittlerweile zu kalt ist, geht in der Grellen Forelle schon die Post ab. Elektro Guzzi, eine österreichische akustische Techno-Band tritt auf, und sogar einige Fans älteren Semesters suchen nach dem versteckten Eingang zwischen meterhohen Betonwänden über dem Donaukanal am Hundertwasser-Heizkraftwerk, um Elektro Guzzi zuzujubeln.

Im Flex: Nicht beim Drogenkaufen erwischt werden

Noch ist der Vorhang zum zweiten großen Dancefloor zugezogen, die Fans feiern derweil auf tausend Quadratmetern, auf der Terrasse und in den mit wildromantischen Tier-Phantasien ausgemalten Fluren. Dann geht es los, die Menge stürmt, sehr uncool, nach vorn, das grauhaarige Seniorenpaar auch, Vorhang auf, dahinter eine riesige, stylische Bar, die sich mitten durch den Raum zieht und mit ihrem Lichtkonzept wie eine Installation wirkt. Die Band legt los, und sogar die Alten tanzen. Das Publikum ist ansonsten in den Zwanzigern, studentisch geprägt, Klamotten eher egal, einzig wichtig: die Musik.

Wichtig ist die Musik im Flex zwar auch, ein paar Kilometer weiter südlich am Donaukanal in der Stadtmitte. Aber mindestens so bedeutend ist: nicht beim Drogenkaufen erwischt zu werden. Aufdringliche Dealer sprechen das sehr junge Publikum hier schon an, wenn es in großen Pulks aus dem Sammeltaxi klettert. Wer betrunken auf den Holzbänken vor der lang gezogenen, zum Flex-Komplex gehörenden Halle sitzt, läuft schon mal Gefahr, ins dunkle Kanalwasser zu kippen; Schülergruppen auf Klassenreisen freuen sich über die verruchte Großstadt, die Wien hier auf ein paar Quadratmetern mimt.

Wien ist im Kommen, das hört man überall

Das Flex, das seit 1995 in einem stillgelegten U-Bahn-Schacht am Wasser logiert, ist der wohl bekannteste Club in Wien, auch wenn sein Renommee zuletzt etwas gelitten hat. Hier gibt es alles: Star-DJs und Newcomer, Dub, Jungle, Electro, Techno, Nu-Skool Dubstep und Drum'n'Bass. Der Vorteil von Pratersauna, Greller Forelle und Flex ist: Sie liegen entweder so abgelegen oder so abgeschottet, dass Lärm kein Problem ist.

Wie gesagt, über Wiens Nachtleben zu schreiben, ist ein Anachronismus - jedenfalls, wenn man den einschlägigen Stadtführern glaubt, in denen das Nachtleben meist kaum mehr als eine Seite füllt. Oder wenn man mit erfahrenen Szenegängern redet, die auf Berlin oder London schwören. Die Gesellschaft: zu bürgerlich. Die Politik: zu durchschnittlich. Die Kunstszene: entweder arriviert oder angepasst. Die Jugend: zu brav.

Auch das sind Klischees, die ziemlich wahr sind, aber: Wien ist im Kommen, szenetechnisch im Umbruch, das hört man überall. Der Sprecher des Wiener Tourismusverbandes, Walter Straßer, weist darauf hin, dass die Stadt wachse, internationaler werde, "und die Clubszene wächst mit". Zwar dominieren Bälle und Burgtheater noch die öffentliche Wahrnehmung, aber wer sich abgrenzen will, geht eh eher ins Theater an der Wien als in die Oper, eher in die Rote Bar als ins Volkstheater, auf den Life Ball statt zum Opernball.

Da tanzt auch die FPÖ-Jugend gern mal im Dirndl

Und so hat auch die Nachtszene beides: die brave, angepasste Seite, die man im Platzhirsch oder in der Babenberger Passage findet, und das Undergroundige, das entlang des Gürtels in Katakomben und Betonhöhlen zu Hause ist.

Heinz Christian Strache zum Beispiel, Chef der rechtspopulistischen FPÖ, rappt nicht nur für seine jungen Fans, sondern ging früher gern auch mal in Discos auf Wahlwerbung. Mittlerweile, da er Ambitionen auf das Kanzleramt hat, gibt er sich etwas seriöser. Aber in der Passage, einer einst als Fußgängerunterführung geplanten Diskothek am Ring, wo sich auch Strache schon dem Wahlvolk anbiederte, findet sich bis heute eher die konservativere Klientel; ÖVP-Jugend und FPÖ-Jugend tanzen, gern auch mal im Dirndl, zu Housemusik und Funk. Eine Braut, die in der Passage feiert, trägt statt eines Hochzeitskleids sehr sehr knappe weiße Shorts zum Schleier.

Überhaupt sind Beine die neuen Brüste: Im Platzhirsch, einem Kellerclub am Opernring, winden sich nicht nur Damen mit wenig Bekleidung beim Poledance, auch die zahlende Kundschaft zeigt wenig Herz, aber viel Po und Schritt.

Letzte Station: der Volksgarten

Letzte Station in dieser Herbstnacht: der Volksgarten, sicher einer der abwechslungsreichsten In-Orte zum Sehen und Gesehen-Werden, zum Feiern. Der Volksgarten liegt in einem Park am Ring, daneben die Säulenhalle, ein eigenständiger Club; allerdings werden des Öfteren gemeinsame Veranstaltungen gemacht. Unweit davon befindet sich unter Bäumen ein Restaurant, sodass man beim Essen die Beats aus der Disco quasi mithört. Der Volksgarten ist mit seinem Glaspavillon, seinem 50er-Jahre-Schick und seinem Outdoor-Bereich mit Extra-DJ eine echte Institution in Wien, man tanzt stilgerecht zwischen Thonetmöbeln und Lustern, Palmenbeeten und alten Bäumen.

So, und dann ist es fünf Uhr morgens. Einige Kaffeehäuser haben ab sieben Uhr morgens geöffnet, sodass, wer eine kleine Pause im Gras vor der Hofburg einlegt, gleich frohgemut weitermachen kann. Bestes Ziel um diese Zeit ist allerdings der Naschmarkt, wo es ab sechs Uhr morgens voll wird und man leicht hängen bleiben kann - bis in die nächste Nacht hinein. Eher versehentlich, sozusagen.

In dem Roman "Partygirl" der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz hieß es 2002: "Das sei schon toll, wie Wien sich verändere. Vielleicht bekäme Wien doch noch ein Nachtleben. Jetzt aber einmal wären um halb zehn am Abend 85 Prozent aller Wiener im Bett. Schlafend."

Daran hat sich bisher eher wenig geändert.

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