Hotel-Bars in New York:Gut übernächtigt

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Schlafen ist hier Nebensache: New Yorker stehen vor Hotels an, um in deren Bars zu feiern. Doch nicht jeder ist stets willkommen - nicht einmal die Hotelgäste.

Tobias Moorstedt

Es ist in diesen heißen Tagen, in denen die Sonne die Pflastersteine von New York in einen Grill verwandelt, und klebriger Wasserdampf durch die Straßen wabert, kein Problem, ein Zimmer im Bowery Hotel zu ergattern, zum Beispiel ein Queen Room für 395 Dollar - im August sind die Hotels in der Stadt, die niemals schlafen mag, aber im Sommer auch gerne auf Long Island baden geht, selten ausgebucht. Man ist deshalb recht überrascht, wenn man an einem Wochentag um 18 Uhr vor dem Bowery Hotel auf eine lange Schlange trifft.

Die Bar im Gansevoort Hotel, New York, am Tag. Gefeiert wird in der Nacht. (Foto: AP)

Die Menschen stehen hier jedoch nicht an, um ein Zimmer in dem 17 Stockwerke hohen Betonzacken zu buchen, sondern um Zugang zur Lobby zu erhalten, in der eine der angesagtesten Bars der Stadt logiert. Ähnliche Szenen spielen sich im ACE Hotel in der 29. Straße ab, oder im zweigeschossigen Penthouse des Standard. Hotels machen seit Jahren einen Großteil des Umsatzes mit Mini-Bar und In-Room-Entertainment.

New Yorker Hotels haben das Prinzip nun erweitert, setzen auf die Maxi-Bar im obersten Stockwerk und den hoteleigenen Nachtklub. Die Übernachtung wird zur Nebensache. Es wird ja auch bis vier Uhr morgens gefeiert.

Der Check-In findet in den Hotels nicht länger an der Rezeption statt. Am Eingang zur Bar wartet der Türsteher, und beurteilt die Gäste nach Frisur und Aura. Die Magnetkarte der Gäste öffnet nur die Zimmertür, und garantiert nicht den Zugang zum Top of the Standard, der zwölf Monate alten, aber schon legendären Bar des Standard Hotels. "Leider", sagt Manager John Neidich, "müssen wir viele Leute abweisen. Wir haben einen speziellen People Mix im Auge". Das klingt nicht unbedingt nach dem beflissenen Hotelier.

"Das Nachtleben von Manhattan ist beinahe synonym mit den Hotels", schrieb das New York Magazin vor einigen Wochen. "Nach Jahrzehnten der Irrelevanz sind sie zu einer kulturellen Macht geworden." Häuser wie das Standard, das Gramercy, das Cooper Square Hotel oder die Gansevoort Hotels haben die besten Küchenchefs der Stadt, bieten das avancierteste Design und sind Schauplatz der angesagtesten Partys.

Ende Juli feierte die Soulsängerin Alicia Keys im "Top of the Standard" ihre Record-Release-Party, Reporter notierten die Anwesenheit von Jay-Z und Spike Jonze, im Hintergrund jede Menge Komparsen, die direkt vom Set einer Modeproduktion importiert zu sein schienen, die Lichter des Empire State Buildings, die Freiheitsstatue, das atmosphärische Donnergrollen des Times Square. Dazu sang Keys: "concrete jungles where dreams are made, oh (...) these streets will make you feel brand new, these lights will inspire you". Mehr New York geht nicht.

Früher standen Touristen vor dem Studio 54, dem CBGB oder dem Limelight, um einen Hauch vom Glamour und der Sünde der großen Stadt zu spüren, heute fotografieren sie sich vor den Hotelfassaden - ein Gruppenbild mit dem Zeitgeist.

Die Erfolgsgeschichte des Nachtklub-Hotels beginnt in den 80er Jahren. Ian Schrager, der Betreiber des Studio 54, der wegen Steuerhinterziehung eine 20-monatige Haftstraße absitzen musste, kommt aus dem Knast, und weil er wegen der Bewährungsauflagen keine Alkohollizenz erwerben darf, und so aus dem Clubgeschäft ausgeschlossen ist, gründet er ein Hotel - noch so ein Raum, in dem unsichtbare Hände jeden Morgen die Spuren der Nacht beseitigen.

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Schrager setzte auf den hyperindividualistischen, urbanen Nomaden, der am liebsten in den Seiten der AD oder der Wallpaper einziehen würde. Pool, Bar und Lobby waren in diesen Häusern keine Annehmlichkeit für die Gäste, sondern die Oberfläche, "um eine Szene zu etablieren", wie André Balazs sagt, der die Standard Hotels gegründet hat und das Chateau Marmont in Los Angeles führt, ein Ort, der den Hotels einen Platz in den Schlagzeilen sichert ("Britney Spears übergibt sich auf der Toilette der Sky Bar"), und an dem jeden Abend die Brand Identity des Hauses aufgeführt wird. Live!

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Design, das haben Unternehmer wie Balazs und Schrager verstanden, bedeutet nicht nur die Auswahl von Objekten, Wandfarben und Toilettenformen, sondern beinhaltet auch das People Picking, die richtige Mischung aus Menschen.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass viele Spieler auf dem Markt der sogenannten Design- oder Boutique-Hotels einen Hintergrund im Nachtleben haben. Schrager gründete das Studio 54. André Balazs war Teilhaber des MK, in dem in den 80er Jahren die Beastie Boys auftraten. Die Flure und Lobbys der Hotels strahlen an guten Tagen einen ähnlichen Mix aus Glamour und Gefahr, Komfort und Exzess, Diskretion und Service aus wie ein guter Club.

Und tritt man im 18. Stock aus dem Aufzug des Standard Hotels, ist man erst einmal überwältigt von der Aussicht, der drehbaren Bar, der goldenen Säule im Form einer außerirdischen Blume. Das Top of the Standard erinnert gleichermaßen an das Grab von Tutenchamun und das Set eines James-Bond-Films. Der Gast hat das Gefühl, in einem anderen, aufregenderen Universum angekommen zu sein. Der Hotelbesuch ist kein Zwischenstopp auf einer Reise, sondern die Reise selbst.

Die ikonischen Orte des klassischen Grandhotels waren die Restaurants, die Salons und der Bankettsaal, in denen jeden Abend ein Drama aufgeführt wurde. Schriftsteller wie Thomas Mann, Nabokov und Proust schätzten das öffentliche Treiben in den Häusern, die eigene Sichtbarkeit und den anonymen Blick.

Das Grandhotel ist ein Palast für Menschen, die keine Fürsten sind, aber trotzdem Gefallen an der großen Geste finden. Die Nachtklub-Hotels sind ein lautes, modernes Update der alten Häuser, aber auch hier herrscht dieses reizvolle Nebeneinander von Ordnung - Preis und Zimmer-Hierarchie - und Öffentlichkeit. Im Hotel geht es nicht allein um Abstammung und Kontostand, sondern auch um Manieren, Outfit und Selbstbewusstsein, um das, was man zu sein scheint.

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Es ist diese Ambivalenz, die das Grandhotel zum idealen Lebensraum von Hochstaplern, Charmeuren und Sozialillusionisten macht. In den Nachtklub-Hotels sammeln sich all die It-Girls, Style-Blogger, die echten Popstars und die Menschen, die auf Facebook 50.000 Fans haben.

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Es ist in New York wesentlich einfacher, ein Hotel zu bauen, als einen Club oder eine Bar zu eröffnen. Die Stadt weist keine Leerstellen auf, die sich für eine lässige Zwischennutzung eignen, und restriktive Vergabe von Alkohollizenzen, das Rauchverbot und militante Anwohnerorganisationen machen den Impresarios das Nachtleben schwer. "Im Hotel haben wir die Probleme nicht", sagt John Neidich, der stetige Zu- und Abstrom der Menschen und auch das Saufen gehören hier zum Geschäftsprinzip.

"Man kann eine Dämmung oder dicke Fenster einbauen" sagt er, oder Menschen, die der Lärm stören sollte, auch gleich aus der Zielgruppe rauswerfen. So ist das in New York im Jahr 2010, das unregulierte Chaos der Party ist nur noch im total regulierten Raum der Hotels möglich. Der Meatpacking District, in dem unter anderem das Standard und das Gansevoort Hotel liegen, ist binnen kurzem zu einer Art Mini-Las Vegas geworden, Menschen, Limousinen, Neonlichter.

Die Hotels erzählen mit Architektur, Publikum und Playlist von der großen weiten Welt, und bilden mit vielen Attraktionen, den Restaurants, Bars, Spas und dem Pool auf dem Dach den perfekten Spielplatz für Erwachsene. Das hat Vorteile für jeden: Die New York-Touristen müssen das Hotel nicht mehr verlassen. Und die New Yorker selbst machen Urlaub in der Legende ihrer eigenen Stadt.

© SZ vom 14./15.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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