Hitlers Aufstieg und das Ende von Weimar:Fränzchen und das Krokodil

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Herrengedeck auf Gut Neudeck: Reichspräsident Paul von Hindenburg (2.v.re.) im Sommer 1932 mit Reichskanzler Franz von Papen (links), Innenminister Wilhelm Freiherr von Gayl (Mitte), dem Chef des Büros des Reichspräsidenten, Otto Meissner (Rückenansicht) und Reichswehrminister Kurt von Schleicher (rechts). (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Rüdiger Barth und Hauke Friederichs schildern in einer "dokumentarischen Montage" Adolf Hitlers Machtübernahme - mit Fokus auf Hinterzimmer-Intrigen.

Rezension von Robert Probst

Der Titel des Buches heißt "Die Totengräber". Es will erzählen vom "letzten Winter der Weimarer Republik". Auf dem Cover vier Personen, im Zentrum Hitler. Doch wer sind die anderen drei? Wer ein bisschen blättert, findet schnell heraus: es sind Franz von Papen, Joseph Goebbels und Kurt von Schleicher.

Die vier haben also der Republik 1932/33 das Grab geschaufelt. Doch wenn der Totengräber kommt, ist der Patient in aller Regel schon gestorben. Besonders in diesem speziellen Fall trifft das ohne Zweifel zu.

Wozu also ein weiteres zu den Tausenden schon geschriebenen Büchern über das Ende der Demokratie und den Aufstieg Hitlers in seinem "Dritten Reich"? Weil es anders ist als alle anderen - lautet die Begründung. Weil es lebendig zugehe und mitreißend. Weil es letztlich eine Reportage sei, aus den Hinterzimmern der Macht - und weil es gleichzeitig die Vorlage für ein Drehbuch sein könnte.

Goebbels ist prominent vertreten - er war exzessiver Tagebuchschreiber

Zwischenfrage: Wo ist eigentlich Paul von Hindenburg abgeblieben? Aufs Cover hat es der greise Reichspräsident jedenfalls nicht geschafft. Nach allem, was man weiß, hatte er damals das letzte Wort.

Die Journalisten Rüdiger Barth und Hauke Friederichs kennen sich aus mit Reportagen und mit Geschichte. Friederichs war Redakteur bei PM History und schreibt auch für Geo Epoche; Barth schrieb für den Stern. Aber nun haben sie ein Buch vorgelegt, dessen Stoff sie tatsächlich mit der TV-Serie "House of Cards" vergleichen, das einen (lediglich zweiseitigen) Vorspann als Einleitung hat und ansonsten ganz und gar chronologisch daherkommt: vom 17. November 1932 geht es Tag für Tag bis zum 30. Januar 1933.

Das Stilmittel nennen die Autoren "dokumentarische Montage". Und hier beginnt das Problem. Historische Collagen sind "in". Sie verkaufen sich gut, sie lesen sich leicht.

Ein paar wenige Beispiele aus jüngerer Zeit: Oliver Hilmes, Berlin 1936. 16 Tage im August (Siedler); Daniel Schönpflug, Kometenjahre. 1918: Die Welt im Aufbruch (Fischer), Éric Vuillard, Die Tagesordnung (Matthes & Seitz) - das in wenigen Szenen die NS-Zeit erklären will; oder auch Volker Weidermann, Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen (KiWi), der gar als "historischer Thriller" über die Jahre 1918/19 verkauft wurde.

Allen diesen - viel gelobten - Büchern ist gemeinsam, die längst in den historischen Kontext eingebetteten und analysierten Ereignisse noch mal neu aus der Perspektive von Beteiligten und Beobachtern zu erzählen, stets in schnellem Tempo und ohne Eingriff oder eigene Kommentierung. Authentizität pur sozusagen.

Die wissenschaftlichen Standards bleiben dabei aber auf der Strecke. Der Einwand dürfte sein: Wir wollen ja gar kein wissenschaftliches Buch schreiben, sondern eben eine spannende Reportage. Doch Authentizität stellt sich nicht automatisch ein, indem man jede kritische Anmerkung, jede noch so nötige Fußnote und fast jede Angabe über die Herkunft und Seriosität von Quellen einfach weglässt.

Joseph Goebbels jedenfalls ist in den "Totengräbern" wohl nicht zuletzt deshalb so prominent vertreten, weil er ein exzessiver Tagebuchschreiber war und seine Ergüsse der Nachwelt erhalten blieben.

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Ob die Relevanz stets dafürsteht, bleibt spätestens an dem Punkt offen, an dem es um einen dramatischen Klinikaufenthalt von Magda Goebbels geht. Andere hinterließen weniger bis nichts und auch die offiziellen Akten geben nicht über alles Auskunft. Lücken muss man auch benennen.

Barth und Friederichs versammeln ein eindrucksvolles Personal: außer den Hauptprotagonisten Hindenburg, den beiden Kanzlern Papen und Schleicher und natürlich Hitler die unvermeidlichen "Strippenzieher" Oskar von Hindenburg (Sohn) und Otto Meissner (Staatssekretär bei Hindenburg); aber dazu auch noch jede Menge Politiker, Diplomaten und vor allem Journalisten.

Viele schrieben ihre Erlebnisse spontan in Tagebücher, andere erinnerten sich erst nach dem Krieg - selten wird klar, was aus welchen Aufzeichnungen stammt.

Rüdiger Barth, Hauke Friederichs: Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Republik. S. Fischer-Verlag Frankfurt 2018, 418 Seiten. 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Verlag)

Das Gute daran: Die zahllosen Quellen bieten in der Tat ein breites Panoptikum der damaligen Verhältnisse, vor allem in Berlin. Dabei liegt der Fokus oft (auch das ist der Quellenlage geschuldet) auf Events der High Society: Theaterpremieren, Galadinner, solche Sachen. Über Strukturen, gesellschaftliche Zusammenhänge, die schwere Geburt der Republik aus der Niederlage des Weltkriegs und die Verachtung der Demokratie in weiten Kreisen der Bevölkerung erfährt man dagegen nur punktuell - diese Puzzleteile zu einem Bild zu formen, erfordert Konzentration.

Was passiert also in der Reportage? A geht zu B und spricht mit ihm über C. Dann wird C hinterbracht, was A und B diskutiert haben. Darauf spricht C mit B, was man gegen A unternehmen könnte. Und so weiter.

Hier, in diesen Details hat das Buch seine größten Stärken: Wie der Wehrminister und spätere Kanzler über Franz von Papen spottet: "Mein Fränzchen, du hast schon wieder einen Schnitzer begangen", wie Schleicher vergeblich versucht, die Gewerkschaften und den linken Flügel der NSDAP für eine "Querfront" zu gewinnen, wie Hitler sich gedemütigt fühlt vom Reichspräsidenten, der ihn am 13. August 1932 bereits in die Regierung holen wollte.

Wie Details der ja nicht-öffentlichen Treffen an die Presse durchgestochen werden.

Immer wieder geht es um "Rache" und "Verschwörung".

Und doch ist es ein bisschen wie im Kasperletheater. Immer tritt jemand auf, ventiliert oder konspiriert und marschiert dann wieder ab. Der gute Polizist, der die Demokratie verteidigen hätte können, der taucht nicht auf.

In Weimar setzte allerdings seit den Präsidialkabinetten von Brüning kaum noch jemand auf die Demokratie - das bleibt im Buch leider unterbelichtet. Hindenburg ging es längst darum, den Parlamentarismus auf formal legale Art zu liquidieren. Und den konservativen Machteliten - etwa Großagrarier, Industrielle, Militär - auch.

Bei aller Uneinigkeit der Forschung über die Interpretation der Ereignisse der Epochenzäsur 30. Januar 1933 (manche sehen Hindenburg als alleinigen Entscheider, Hitler die Kanzlerschaft zu übertragen, andere sehen das taktische Geschick des NSDAP-Chefs als entscheidenden Grund), sind sich doch fast alle einig: die Hinterzimmer-Intrigen und Einflüsterungen spielten eine weniger entscheidende Rolle, als es in "Die Totengräber" suggeriert wird.

Dort wimmelt es nur so von Wörtern wie "Verschwörung" und "Rache" und sei es in Form von rhetorischen Fragen. Und weil die Autoren alle Treffen für sich stehen lassen, weil sie nicht einordnen, nicht kommentieren, sind alle Protagonisten irgendwie gleich wichtig. So bleibt alles subjektiv und alles wird zu einem Brei.

Fehlte nur noch der Auftritt eines bösen Krokodils auf der Berliner Bühne.

Die spannende Frage nach möglichen Alternativen zu Hitlers Kanzlerschaft wird nur angerissen, aber nicht vertieft. Wie etwa die Handelnden stets nach einem Weg suchten, die Demokratie zu suspendieren, ohne einen Verfassungsbruch zu riskieren.

Hindenburg wollte endlich wieder seine Ruhe

Hier verengten sich im Januar die Handlungsspielräume. So standen die Zeichen entweder auf Verfassungsbruch (Vertagung des Reichstags auf unbestimmte Zeit) oder gar auf Bürgerkrieg. Eine Kanzlerschaft Hitlers, der immerhin eine Massenbewegung hinter sich hatte, ließ beide Gefahren weniger groß erscheinen.

Und um es salopp zu sagen: Hindenburg wollte endlich wieder seine Ruhe von dem Gezerre, sich zurückziehen aus dem Tagesgeschäft, weg von Notverordnungen und Reichstagsauflösungen.

Barth und Friederichs Buch ist trotz allem spannend, man kann das "Fieber" das die eigentlich schon verstorbene Republik in jenen Wochen erfasste, durchaus spüren. Man bekommt eine Ahnung, was die Menschen umtrieb - die enorme Arbeitslosigkeit, die ständigen blutigen Schlachten zwischen Nazis und Kommunisten, die Armut auf den Straßen. Ja, es waren dramatische Tage, aber deshalb muss man daraus nicht gleich ein Bühnenstück machen.

Womöglich kommt ja wirklich jemand auf die Idee, dieses Drehbuch zu verfilmen. Aber die Vorgänge sind wohl zu komplex, um ein Prequel von "Der Untergang" zustande zu bringen.

© SZ vom 07.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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