US-Angriffe auf Syrien:Wie Amerika das arabische Misstrauen nährt

US Air Strikes in Syria

Die USA fliegen Angriffe gegen den IS in Syrien

(Foto: AP)

Der Westen ist erleichtert, weil die USA Luftangriffe auf den "Islamischen Staat" fliegen - an der Seite arabischer Verbündeter. Doch viele Araber sind unzufrieden. Für Scheinheiligkeit haben sie ein feines Gespür.

Kommentar von Sonja Zekri

Großmacht zu sein, ist ein schweres Schicksal. Tut sie nichts, ist sie keine Großmacht. Handelt sie, ist das Geschrei groß. Nun, so groß im Moment noch nicht, aber doch hörbar. Seit ein paar Tagen bombardiert Amerika mit arabischen Alliierten die Dschihadis des "Islamischen Staates" (IS) in Syrien, und weite Teile der westlichen Welt sind sehr erleichtert, dass auch dieser US-Präsident seiner politischen Verantwortung gerecht wird, unwilliger, bedächtiger als sein Vorgänger. Und noch ohne Bodentruppen. An seiner Seite fliegen Kampfjets aus den Emiraten und Jordanien, zur Koalition gehören fünf arabische Staaten. Warum also sind viele Araber damit nicht zufrieden?

Von der Nusra-Front war kaum Applaus zu erwarten. Der syrische Al-Qaida-Ableger ist zwar ein machtpolitischer Rivale des IS, aber wegen der ideologischen Nähe hat Barack Obama die Stellungen bombardieren lassen. Dass al-Qaida dem Westen nun Rache schwört, ist eher unspektakulär. Aber auch weniger radikale syrische Rebellen sind enttäuscht.

Assad ist der große Profiteur

Viele Kämpfer sind in drei entsetzlichen Jahren Krieg religiöser geworden. Nun fragen sie: Ist dies ein Krieg gegen den IS, gegen Islamisten - oder gegen den Islam? Vor allem aber: Warum ist es kein Krieg gegen Baschar al-Assad? Er, der syrische Giftgasmörder, ist der große Profiteur, da kann sich Obama winden, wie er will. Diese Gemengelage könnte Folgen haben, die die Amerikaner entweder in Kauf nehmen oder vorerst ignorieren: Schon rücken frustrierte islamistische Brigaden näher an den "Islamischen Staat", denn der gemeinsame Gegner heißt Assad.

Zu den bitteren Scherzen der Syrer über die neuen Luftangriffe gehört der Satz, dass man nun gar nicht mehr wisse, wessen Bomben einem gerade auf den Kopf fallen, amerikanische oder syrische. Schon gibt es im Netz die ersten Bilder von toten Kindern aus Rakka, dem IS-Hauptquartier am Euphrat, vielleicht gefälscht, vielleicht von Dschihadis in Umlauf gesetzt. Aber es gab zivile Opfer der US-Luftangriffe, und es wird mehr geben.

Für Amerikas Scheinheiligkeit haben die Menschen ein feines Gespür

Amerika und die arabische Welt teilen eine reiche Tradition der gegenseitigen Enttäuschungen. Der Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 ist ein Beispiel, Libyen 2011 ein anders. Dank der militärischen Überlegenheit Amerikas wurden beide Länder von grausamen Tyrannen befreit - und fielen über Amerika her. Manchmal steigert sich die arabische Amerika-Kritik zu Verschwörungstheorien. Noch immer glauben viele Araber, Obamas Politik ziele nur darauf, die arabische Welt zu schwächen. Dabei ist das Problem seit ein paar Jahren eher das Gegenteil: Amerika hat den Nahen Osten als unverbesserlichen, aber zu vernachlässigenden Quell des Ärgers lange ignoriert.

Und doch drückt sich in der arabischen Paranoia die Ohnmacht gegenüber den Launen einer Supermacht aus, die reale Gründe hat. Die Scheinheiligkeit, die von Werten spricht, wo sie Interessen meint, die Besserwisserei, dafür haben die Menschen ein feines Gespür. Wenn sich Amerika mit Kopf-ab-Islamisten am saudischen Hof verbündet, um Kopf-ab-Islamisten in Mossul loszuwerden, dann ist das ein klassischer Widerspruch amerikanischer Nahost-Politik.

Was unterscheidet die IS-Opfer von denen Assads?

Der überwiegende Teil der arabischen Welt hat wenig Sympathien für die primitiven Schlächter des IS, aber die absolute Singularität dieser Grausamkeit, die den Westen in den Bann schlägt und ein Eingreifen geradezu erzwingt, will sich ihnen nicht erschließen: In syrischen Gefängnissen wird massiv gefoltert. Israel hat vor ein paar Wochen 2000 Palästinenser getötet. Iraks schiitische Milizen - derzeit als Kämpfer gegen die sunnitischen Dschihadis gefeiert - haben eine verheerende Menschenrechtsbilanz. Was also unterscheidet diese Opfer von denen des Kalifats? Hinter dem Misstrauen stecken Jahrzehnte der Gewalterfahrung - und oft war Amerika Ursache oder Komplize. Ist Amerika diesmal wirklich klüger?

Obama stützt sich beim Anti-Terror-Kampf in Syrien auf fünf arabische Monarchien unterschiedlichen autokratischen Niveaus. Das religiöse Brimborium mal beiseite, ruht der Herrschaftsanspruch der Throninhaber angesichts eines enormen Reformstaus inzwischen vor allem auf dem trügerischen Eindruck von Stabilität im Chaos ringsum. Deshalb wäre es gut, wenn Washington nicht erneut Regierungspolitik mit öffentlicher Meinung verwechselte. Das ging in den Diktatorenzeiten, als Männer wie Ägyptens Hosni Mubarak auf die Staatsferne ihrer apathischen Untertanen vertrauen konnten. Heute ist dies riskanter. Die amerikanisch-arabische Kampfgemeinschaft suggeriert, dass sich der IS als reines Sicherheitsproblem behandeln lässt. Es wäre eine verheerend falsche Botschaft.

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