Streit um TV-Satire:Causa Böhmermann zeigt: Deutschland ist allein zu Hause

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Der Blick von Angela Merkels Balkon: Deutschland stehen unruhige Zeiten bevor. (Foto: Getty Images)
  • Der richtige Weg in der Causa Erdoğan gegen Böhmermann war auch in der Koalition umstritten.
  • Immer häufiger steht Berlin vor der Wahl zwischen Pest oder Cholera.
  • Die Welt ist unübersichtlicher geworden und der Umgang mit den Machthabern in Ländern wie Ungarn oder Saudi-Arabien schwierig.

Von Stefan Braun und Stefan Kornelius

Jetzt also der Prozess: Recep Tayyip Erdoğan gegen Jan Böhmermann, der türkische Präsident gegen den deutschen Comedian und Provokateur. Für die Außenpolitiker in der Bundesregierung war vor ihrer Entscheidung schon klar: "Hier können wir uns wieder mal nur aussuchen, ob wir Käsetorte oder Schwarzwälder ins Gesicht haben wollen. Ins Gesicht bekommen werden wir auf alle Fälle", sagte ein hoher Beamter schon früh in dieser Woche resigniert. Schmerzfrei zu lösen war die Sache nicht. Entweder die Bundesregierung würde eine Fehde mit dem türkischen Präsidenten beginnen und die Kooperation in Sachen Flüchtlinge riskieren. Oder sie würde von den Böhmermann-Fans geprügelt, ihren Helden nicht geschützt zu haben. Dass der richtige Weg auch in der Koalition umstritten ist, spricht Bände. Kanzlerin und Vizekanzler sind sich nicht einig, welche Attacke sie lieber aushalten wollten.

Pest oder Cholera - vor der Wahl steht Berlin immer häufiger, wenn es nach dem richtigen außenpolitischen Kurs sucht. Wenn am Sonntag Hans-Dietrich Genscher, der Gottvater des Auswärtigen Dienstes, in einem Staatsakt gewürdigt wird, dann dürfte sich das Land auch von der vermeintlichen Übersichtlichkeit des Kalten Krieges und der 1990er-Jahre verabschieden. "Die Krisen der Welt verändern das Leben im Herzen Europas", sagt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Das zu leugnen und sich in die Büsche zu schlagen, geht heute nicht mehr."

Wie geht man mit Ländern wie Saudi-Arabien um?

Die Welt ist groß geworden, und mit ihr sind es die Probleme. Auf den akademischen Büchertischen heißt das Thema "Vormacht wider Willen" oder "German Power". In den Vorlageordnern von Kanzleramt und Auswärtigem Amt wird das dann konkret: Wie viel Druck soll Deutschland auf die neue polnische Regierung ausüben? Oder könnte das die Stimmung in Polen nur zugunsten der Truppe um Jarosław Kaczyński wenden?

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Anderes Land, gleiches Problem: Wie umgehen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán? Dessen Flüchtlingskurs hat nicht nur halb Europa gegen Kanzlerin Angela Merkel in Stellung gebracht, sondern er steht auch als Vorlage für den größten innenpolitischen Widersacher Merkels, den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Die Liste ist schier endlos. Saudi-Arabien: Das Land tritt die Menschenrechte mit Füßen, aber eine Lösung des Syrienkonflikts ist ohne die Regierung von Riad nicht zu erreichen. Außerdem nimmt das Land unheilvoll Einfluss auf radikale Strömungen unter den Muslimen.

Nicht minder problematisch ist der Umgang mit dem Regime von Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Soll man mit ihm kooperieren, um das Land vor dem zerfallenden Nachbarn Libyen zu schützen? Und berechtigt das dazu, große Wirtschaftsverträge zu schließen, während am Nil immer mehr Oppositionelle im Gefängnis landen? Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) selbst wird an diesem Wochenende eine Antwort finden müssen. Zum dritten Mal in jüngster Zeit besucht er Kairo.

Die Außenpolitik befindet sich seit Jahren im Dauerkrisenmodus - und der schlägt aufs Innenleben der Regierung durch. Bei Gabriel wird das besonders sichtbar. Gegenüber Saudi-Arabien präsentiert er sich als Menschenrechtsverteidiger. Das bereitet dem SPD-Außenminister Steinmeier Kopfschmerzen, weil er Riad für die Syrien-Gespräche benötigt. Dann wieder hofiert Gabriel das Regime in Kairo, als sehe er nicht, dass dort von Frühling keine Rede mehr sein kann. Im Kanzleramt schütteln sie zu alldem fast nur noch den Kopf.

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Auch der Konflikt mit Russland trägt den Spaltpilz in die Regierung. So stellte Steinmeier jüngst ohne Absprache Überlegungen an, wann Moskau in den Kreis der G 8 zurückkehren könnte. Danach, und als ob es eine Replik sein sollte, hielt Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen in Berlin eine überschwängliche Laudatio auf die Putin-Kritikerin Marieluise Beck von den Grünen, die in Steinmeiers Ressort sehr kritisch beäugt wird.

Merkel hat erstmals gegen gewichtige Minister der SPD entschieden

Der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour verlangt vor allem eines: Dass die Regierung immer und gegenüber jedem klare Worte zu den Menschenrechten findet. ,,Sonst ermutigt das Despoten zu immer weiteren Missetaten." Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, klingt kaum anders. "Der Umgang mit autoritären Regierungen muss klar sein: mit allen reden und nichts verschweigen." Nur so könne man kooperieren, ohne eigene Überzeugungen aufzugeben.

Wie tief die Krisen werden können, zeigt der Fall Böhmermann. Im Streit zwischen SPD und Union hat Angela Merkel getan, was sie noch nie gemacht hat: Sie hat mit ihrer Stimme und gegen gewichtige Minister aus der SPD entschieden. Das wird lange nachhallen.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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