Reaktionen auf EU-Beschlüsse:Deutsche Wirtschaft stellt sich hinter Merkel

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  • Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich nach dem ersten Tag des EU-Gipfels, auf dem eine Verschärfung der Asylpolitik beschlossen wurde, optimistisch.
  • Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sehen die Einigung als guten Anlass, den Streit zwischen CDU und CSU beizulegen.
  • Zufrieden gaben sich auch rechtsgerichtete Regierungschefs, etwa Österreichs Kanzler Kurz und schlussendlich auch der Italiener Conte, der zunächst alle Gipfellbeschlüsse blockiert hatte.
  • Die Organisation Pro Asyl übt heftige Kritik angesichts der geplanten Auffanglager: "Gefolterte und Verfolgte einfach so in Europa wegzusperren, ist inhuman."

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Beschlüsse zur Asylpolitik beim EU-Gipfel begrüßt. Es sei eine "gute Botschaft", dass die Staats- und Regierungschefs dazu einen gemeinsamen Text verabschiedet haben, sagte die CDU-Chefin nach mehr als zwölfstündigen Beratungen. Es warte zwar noch eine Menge Arbeit am gemeinsamen Asylsystem. "Aber ich bin optimistisch nach dem heutigen Tag, dass wir wirklich weiterarbeiten können."

Bei möglichen Sammelstellen für Bootsflüchtlinge außerhalb der EU werde mit dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration zusammengearbeitet und internationales Recht eingehalten. "Ich habe sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir gesagt haben: Wir wollen in Partnerschaft mit Afrika arbeiten", sagte Merkel. Die Grenzschutzagentur Frontex werde bis 2020 aufgestockt.

"Die europäische Zusammenarbeit hat obsiegt", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, "die französischen Vorschläge" seien angenommen worden. Er lobte die Bemühungen für eine europäische Lösung. Diese sei besser als nationalstaatliche Einzellösungen, die ohnehin nicht getragen hätten, sagte Macron. "Das ist für Frankreich eine gute Nachricht."

Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft nahmen die Einigung zum Anlass, die Union aufzufordern, ihren Asylstreit beizulegen. Sie gaben Merkel für ihren Kurs Rückendeckung. "Was wir jetzt brauchen, ist eine stabile und entschlossene Regierung, die konstruktiv, lösungsorientiert und besonnen mit ihren europäischen Partnern zusammenarbeitet", heißt es in einem gemeinsamen Appell verschiedener Verbände.

"Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung"

Italiens Regierungschef Giuseppe Conte hat sich zufrieden mit den Beschlüssen des Gipfels gezeigt. "Italien ist nicht länger allein", sagte Conte. Die Regierung in Rom hatte am Donnerstag alle Gipfelbeschlüsse wegen Forderungen in der Flüchtlingsfrage zunächst blockiert.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hat die Einigung der EU-Staaten bei der Migrationspolitik begrüßt. "Wir haben eine Einigung erreicht, die gut für Polen und die ganze Gemeinschaft ist", schrieb der nationalkonservative Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf Twitter. Polen hatte sich wie seine Visegrád-Partner Ungarn, Tschechien und die Slowakei strikt gegen die Umverteilung von Flüchtlingen gewehrt. "Es wird keine Zwangsumsiedelung von Flüchtlingen geben", schrieb Morawiecki weiter. Nach zwei Jahren schwieriger Diskussionen, Kontroversen und Druck habe die Gemeinschaft einstimmig die Haltung Polens und der anderen Visegrád-Staaten angenommen, betonte er.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bewertet die Beschlüsse des EU-Gipfels zur Asylpolitik positiv. "Wir sind froh, dass es jetzt endlich einen Fokus auf die Außengrenzen gibt", so Kurz. Die Einigung sei ein "wichtiger Schritt in die richtige Richtung."

EU-Kommissar Günther Oettinger spricht mit Blick auf die Einigung in der Migrationspolitik von einem "echten Durchbruch". Zwar sei noch viel im Detail abzuarbeiten, sagte er dem Deutschlandfunk. Der Gipfel habe jedoch gezeigt, dass europäische Lösungen möglich seien. Im Hinblick auf den Unionsstreit sagt Oettinger: "Ich glaube, es gibt gute Gründe, dass die CSU dies als einen großen Fortschritt anerkennt. Wir in der CDU werden das als einen großen Fortschritt anerkennen."

Die UN-Behörden, die von den Beschlüssen betroffen sind, begrüßen die Solidarität und Einigkeit der EU-Staaten. Der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erklärte, er glaube, dass die meisten der geplanten Aufnahmezentren in Europa eingereichtet würden. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR wollte allerdings noch auf die "rechtliche Analyse" der Gipfelergebnisse waren.

"Großer Fortschritt" oder "halbgar"?

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Beschlüsse als "Erfolg". Die Vereinbarungen seien ein "großer Fortschritt" und eine "gute Grundlage" für Europas Umgang mit der Herausforderung der Flucht und Migration, sagte der Bundesfinanzminister im Bundestag. "Ein guter Erfolg für uns alle." Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles begrüßte, "dass wir eine europäische Lösung haben in Bezug auf die Migration". Denn nationale Alleingänge würde die Partei ablehnen.

Weder Bundesinnenminister Horst Seehofer noch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (beide CSU) wollten die bisher vorliegenden Ergebnisse des Treffens schon bewerten. "Der Gipfel läuft noch. Lassen Sie uns den Gipfel zu Ende gehen und danach in Ruhe vernünftig bewerten", kommentierte Söder. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies allerdings darauf hin, die Beschlüsse ließen nationale Maßnahmen ausdrücklich zu - etwa wenn Migranten nach ihrer Ankunft im ersten EU-Staat in einen anderen weiter reisen.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete die Beschlüsse zum besseren Schutz der Außengrenzen und die Zentren in und außerhalb der EU als "wichtige Meilensteine" zur Unterbindung illegaler Migration. Über das weitere Vorgehen würden das CDU-Präsidium und der Bundesvorstand am Sonntag entscheiden.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kritisierte die Beschlüsse als "vage und unkonkret". "Dieser Gipfel ist für uns leider kein Durchbruch, sondern nur ein Schritt auf dem Weg hin zu einem europäischen Asylsystem", sagte . Nach wie vor fehle es an konkreten Vorgaben, beklagte Lindner. "Mit vagen Ankündigungen, mit abstrakten Zielbeschreibungen und mit der Methode der Freiwilligkeit wird man nicht die Ordnung in Europa erreichen, die wir brauchen, um unsere Freiheit ohne Schlagbäume auf diesem Kontinent zu sichern."

Bei den Grünen stoßen die Gipfelbeschlüsse auf deutliche Kritik, die Vorsitzende Annalena Baerbock sieht in den Plänen zur Asylpolitik sogar einen Bruch mit dem Völkerrecht. Europa drohe sich weiter von seinem Wertegefüge zu verabschieden, warnte sie. "Dieser Gipfel schafft weder Humanität, Solidarität noch Ordnung."

Linken-Parteichef Bernd Riexinger hat die Beschlüsse des EU-Gipfels zur Migrationspolitik als "Bankrotterklärung der Menschenrechte" kritisiert. "Die Doppelmoral von Angela Merkel und den EU-Staatschefs ist wirklich eine Schande", sagte Riexinger. Als Beispiel nannte der Linkenchef "Internierungslager" in Afrika und in EU-Staaten, "Milliarden" für den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan "und weitere Abschottung an den Außengrenzen".

Die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, hat die Beschlüsse zur Asylpolitik beim EU-Gipfel als "halbgar" kritisiert. "Ein echter Grenzschutz soll bis 2020 durch Frontex geleistet werden, so dass die EU weitere zwei Jahre wie ein Scheunentor offen steht", erklärte Weidel. Man denke außerdem lediglich über Flüchtlingslager in Nordafrika nach, statt Fakten zu schaffen.

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Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat die Beschlüsse zur Asylpolitik beim EU-Gipfel kritisiert. "Das ist der Gipfel der Inhumanität", teilte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt mit. "Gefolterte und Verfolgte einfach so in Europa wegzusperren, ist inhuman." Flucht sei kein Verbrechen. "Die Staats- und Regierungschefs lassen jegliches Mitgefühl mit Verfolgten vermissen", so Burkhardt. "Innerhalb und außerhalb der EU entstehen nun Lager der Hoffnungslosigkeit." Die EU schaffe Zonen der Rechtlosigkeit, sagte Burkhardt. "Das Recht auf Asyl und die Prüfung der Fluchtgründe in einem rechtsstaatlichen Verfahren soll verhindert werden."

"Die EU-Staaten müssen zur Besinnung kommen. Sie entziehen sich ihrer Verantwortung, Menschenleben zu retten", kritisiert Karline Kleijer, Leiterin der Notfallhilfe von Ärzte ohne Grenzen auf dem Mittelmeer und in Libyen. "Ihre Politik verurteilt verletzliche Menschen bewusst zu Gefangenschaft und nimmt in Kauf, dass Menschen in Seenot keine Hilfe erhalten. Sie tun das im vollen Bewusstsein der extremen Gewalt und der Ausbeutung, der Flüchtlinge und Migranten ausgesetzt sind. Wir fordern die europäischen Regierungen auf, sich bewusst zu machen, dass es hier um Menschen geht, um ihr Überleben und um menschliches Leid. Die europäischen Regierungen müssen sich zur Seenotrettung bekennen und sicherstellen, dass Gerettete in sichere Häfen gebracht werden."

Franziska Vilmar von Amnesty International sagte der SZ, es sei gut, wenn Menschen aus Seenot gerettet und nach Europa gebracht würden, wo europäisches Asylrecht gelte. Allerdings warnte sie mit Blick auf die existierenden Hotspots auf den griechischen Inseln, dass in Aufnahmezentren ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet sein müsse, und Flüchtlinge nicht über lange Zeit eingesperrt bleiben sollten - noch dazu ohne Integrations- und Bildungsmöglichkeiten.

© SZ.de/afp/dpa/rtr/bix - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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