Politiker und Gesundheit:"Die Kandidaten werden zu Getriebenen"

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Für Hillary Clinton könnte es wichtig werden, Informationen über ihre Gesundheit öffentlich zu machen (Foto: AFP)

In den USA und Österreich wird diskutiert, ob die Präsidentschaftskandidaten gesund genug sind. Die Frage ist wichtig - aber Gesundheit Privatsache. Lässt sich das Dilemma lösen?

Analyse von Markus C. Schulte von Drach

Der gläserne Politiker - wäre das nicht eine gute Idee? Schließlich wollen die Wähler wissen, ob jene, die durch sie an die Schalthebel der Macht gekommen sind, tatsächlich daran arbeiten, die versprochenen Ziele zu erreichen. Oder ob sie sich etwa von Lobbyisten beeinflussen lassen. Bundestagsabgeordnete, die ihre Nebeneinkünfte offenlegen oder eine transparentere Lobbyarbeit, das hilft. Ein weiterer, allerdings sehr weitgehender Schritt wäre es, wenn die Wähler sich auch ein Bild davon machen könnten, ob Kandidaten körperlich, seelisch und geistig überhaupt in der Lage sind, weitreichende Entscheidungen zu fällen. Und zwar schon vor den Wahlen, damit ungeeignete Kandidaten erst gar nicht ins Amt kommen. Schließlich sind die Anforderungen an Politiker und der Druck, unter dem sie stehen, extrem hoch.

Begründetes Interesse der Öffentlichkeit

Es gibt also ein begründetes Interesse der Öffentlichkeit an der Gesundheit von Politikern, weshalb sie immer wieder heiß diskutiert wird. So wie gerade jetzt in Österreich und den USA: Nachdem Gerüchte über eine Krebserkrankung bei dem österreichischen Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen kursierten, hat dieser einen Krebsspezialisten öffentlich darlegen lassen, er sei völlig fit. Van der Bellen befürchtete offenbar, die Wählerinnen und Wähler könnten die Gerüchte als Hinweis interpretieren, er sei der Aufgabe körperlich nicht gewachsen oder würde nicht mehr lange leben.

Und in den Vereinigten Staaten kursiert ein Video von Hillary Clinton, auf dem die US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten offensichtlich geschwächt eine Veranstaltung vorzeitig verlässt - wegen "Überhitzung", wie es erst hieß. Dann wurde bekannt, dass sie an einer Lungenentzündung leidet.

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Zum Thema wird die Gesundheit in diesen Wahlkämpfen vor allem deshalb, weil es um wenige Prozente geht, die die Wahl entscheiden. "Dann wird von den Wahlkampfmanagern die Karte Gesundheit gezogen", sagt der Politologe Stephan Bröchler von der Berliner Humboldt-Universität. "Und dann hat ein Kandidat wie Van der Bellen im Medienwahlkampf eigentlich keine andere Chance mehr, als über seine Gesundheit zu informieren. Die Kandidaten werden zu Getriebenen."

Über Clinton behauptet ihr republikanischer Gegner Donald Trump schon seit geraumer Zeit, sie sei schwach. Die Krankheit erhöht nun den Druck auf sie, mehr von sich selbst preiszugeben als bisher, um dem Eindruck entgegenzuwirken, sie hätte etwas zu verbergen. Selbst die Washington Post fordert nun, Clinton und Trump, der schon 70 ist, sollten Ergebnisse von Gesundheitsuntersuchungen veröffentlichen, die nicht erst während der Wahlkampagnen stattfanden: "Das Ziel muss sein, den Wählern die Sicherheit zu geben, dass alles zutage kommt, was sie [die Kandidaten] im Amt einschränken oder daran hindern könnte, eine volle Amtszeit durchzuhalten."

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Tatsächlich sind bislang drei US-Präsidenten im Amt sogar verstorben, so dass ihre nur "mitgewählten" Stellvertreter den Posten übernehmen mussten. William Harrison verstarb 1841 nach nur einem Monat als Präsident an einer Lungenentzündung (es gab damals noch keine Antibiotika), und Zachary Taylor verschied 1850 nach kaum eineinhalb Jahren im Amt. Franklin D. Roosevelt starb 1945 wenige Monate nach seiner vierten Ernennung, so dass Harry Truman an die Macht kam. Solche Fälle können insofern problematisch sein, als die Vize-Präsidenten auch dazu dienen, kleinere, aber relevante Wählergruppen ins Boot zu holen und ihre politischen Überzeugungen oft nicht für die Mehrheit der US-Bürger stehen. (Besonders auffällig war dies etwa bei Sarah Palin, mit der sich der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain 2008 die Anhänger der Tea Party sichern wollte.)

Die Gesundheit der Kandidaten war bereits 2008 ein sehr wichtiges Thema bei den Präsidentschaftswahlen in den USA. So hatte Barack Obamas Arzt David Schreiner die körperliche Fitness des erst 47-Jährigen öffentlich gelobt. Sein Konkurrent John McCain (damals bereits 71) veröffentlichte daraufhin einen dicken Stapel Unterlagen über seine eigene gute Gesundheit.

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Auf der anderen Seite haben prominente US-Präsidenten Gesundheitsprobleme bereits verheimlicht, um Zweifel an ihrer Arbeitsfähigkeit vorzubeugen. John F. Kennedy etwa litt unter anderem wegen einer chronischen Nierenkrankheit an körperlicher Schwäche. Und die Gesundheit von Franklin D. Roosevelt nahm bereits nach seiner Wahl 1941 deutlich ab, trotzdem stellte er sich vier Jahre später erneut zur Wahl.

Beispiele für verheimlichte Gesundheitsprobleme gibt es auch in Deutschland etliche. Kanzler Willy Brandt (SPD) litt unter Depressionen, Kanzler Helmut Kohl (CDU) ließ sich die Schmerzen aufgrund eines Prostataleidens nicht anmerken, Peter Struck verheimlichte einen Schlaganfall, Heide Simonis (SPD) eine schwere Brustkrebsoperation. Immer ging es darum, der Öffentlichkeit, aber auch parteiinternen Gegnern gegenüber keine Schwäche zu zeigen.

Die Sorge, eine Krankheit könnte politisch ausgeschlachtet werden, ist nicht ganz unberechtigt. So wurde im vergangenen Jahr in den Medien viel über den Gesundheitszustand von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) spekuliert - und darüber, dass dies Seehofer schaden und seinem Parteikollegen Markus Söder nutzen könnte, dem nachgesagt wird, er wolle Seehofers Nachfolger werden. Seehofer hat die vorübergehende körperliche Schwäche allerdings überwunden, offenbar auch ohne politischen Schaden zu nehmen.

Dass sich mit Gesundheitsproblemen aber auch ganz anders umgehen lässt, haben eine ganze Reihe weiterer Politiker demonstriert: Gregor Gysi (Linke) wurde am Gehirn operiert und hat mehrere Herzinfarkte überstanden, Hans-Christian Ströbele (Grüne), Oskar Lafontaine (Linke) und Wolfgang Bosbach (CDU) erkrankten an Prostatakrebs, bei Bosbach ist das Leiden unheilbar. Jürgen Trittin (Grüne) hatte einen Herzinfarkt. Sie alle haben ihre Gesundheitsprobleme nicht verheimlicht. Malu Dreyer (SPD) leidet bekanntlich unter Multipler Sklerose und ist häufig auf einen Rollstuhl angewiesen. Diese Politiker setzten auf Transparenz, um zu zeigen, dass die Krankheit sie nicht wesentlich beeinträchtigt.

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Nun sind Fälle, in denen Politikerinnen und Politiker wie jetzt in den USA oder Österreich direkt in Spitzenpositionen gewählt werden, nicht immer gegeben. In Deutschland entscheiden die Wähler eher über Parteien, weil selbst Spitzenpolitiker für Programme stehen und ihre Vertreter im Krankheits- oder Todesfall keine völlig andere Politik betreiben können. Aber moderne Wahlkämpfe inszenieren demokratische Wahlen auch in Deutschland immer stärker als Personenwahl, sagt Bröchler. Und auch hier ist es für Wähler wichtig zu wissen, ob die Kandidatin oder der Kandidat gesundheitlich in der Lage ist, im Fall eines Wahlsiegs das Programm umzusetzen.

Gesundheit ist eine Privatsache

Aber dürfen wir deshalb erwarten, dass sie Unterlagen über die Gesundheit offenlegen? Die ist schließlich eine sensible, intime Privatsache. Deshalb, so sagt Rechtsexperte Hubertus Gersdorf von der Universität Rostock, muss grundsätzlich unterschieden werden, ob jemand freiwillig Informationen über eine Krankheit preisgibt, oder die Medien darüber berichten, obwohl der Betroffene das nicht will. "Die Persönlichkeitsrechte umfassen das Recht, eigene personenbezogene Daten nicht zu veröffentlichen, aber auch, sie zu offenbaren. Beides ist gleichermaßen geschützt."

Nun entscheiden sich viele Politiker, während der Wahlkampagnen viel von sich preiszugeben, lassen Bürger und Medien an ihrem Leben teilhaben, inszenieren sich und setzen auch auf ihre körperliche Performance - solange es gut geht. "Damit läuft der eine oder andere Politiker in eine Falle, denn wenn es Krankheitsgerüchte oder Krankheitsfälle gibt, und sie sich aus dem öffentlich einsehbaren Bereich zurückziehen, muss das natürlich zu Irritationen führen", sagt Christoph Bieber, der an der Universität Duisburg-Essen zum Thema Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft forscht.

Dazu kommt, dass bei der Veröffentlichung privater Daten durch die neuen Medien ein Paradigmenwechsel stattfindet. Immer mehr Menschen stellen immer mehr private Informationen ins Netz. Aber auch aus dem Transparenzklima, das in den vergangenen Jahren entstanden ist, resultiert Bieber zufolge weder ein Recht der Öffentlichkeit, minutiös über den Gesundheitszustand der Politiker aufgeklärt zu werden, noch ein Zwang für die Betroffen, darüber Auskunft zu geben. Und "wenn man von vornherein sagt, es gibt einen Privatbereich, der für die mediale Berichterstattung tabu ist, wird es auch leichter fallen, zu sagen, man brauche Zeit für sich - und kann trotzdem eine Wahlkampagne weiterführen."

Ein besonderer Fall ist es natürlich, wenn eine Person wie jetzt Hillary Clinton im öffentlichen Raum eine körperliche Schwäche zeigt. Dass die Medien darüber berichten, ist Gersdorf zufolge selbstverständlich: "Auch dort, wo die Amtsführung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, ist das Interesse der Öffentlichkeit berechtigt. Der ethisch und juristisch richtige Weg, darüber zu berichten, ist es, keine Einzelheiten wie die Art eines Leidens zu veröffentlichen, sondern nur, dass eine Einschränkung vorliegt."

Die Frage, wieviel Transparenz wünschenswert ist, beschäftigt nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politikberater. "Die eigentliche Problematik entsteht heute dadurch, dass es inzwischen sehr einfach ist, jeden Moment der Schwäche eines Politikers in den Sozialen Medien zu verbreiten und dort mit wüsten Spekulationen über schwerwiegende Erkrankungen zu garnieren", sagt Heiko Kretschmer von Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation in Berlin. "Am Ende erfahren Gerüchte und Verschwörungstheorien plötzlich eine ernstzunehmende Verbreitung." Clintons Schwächeanfall etwa sei sicherlich unangenehm für sie, gefährlich würde er aber erst, weil die Schmutzkampagne gegen sie plötzlich scheinbar recht bekomme.

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Ein Problem der Transparenz ist allerdings: Wenn immer mehr Politiker Details über sich preisgeben, geraten alle unter Zugzwang. "Es wird schwierig für Politiker werden, sich dem Druck zum gläsernen Patienten zu entziehen", sagt Politikberater Kretschmer. "Eine generelle Diskussion über die Konsequenzen dieser Entwicklung ist dringend erforderlich, nur so kann man diese Entwicklung stoppen."

Drohen am Ende Szenarien, wie sie US-Autor David Egger in "The Circle" beschreibt? In seinem Zukunftsroman hängen sich immer mehr Politiker Kameras um den Hals, so dass die Öffentlichkeit ihr Tun ständig beobachten kann. Für Gegner einer solchen "Transparenz" wird es dadurch immer schwieriger, sich der Entwicklung hin zum vollständig gläsernen Menschen zu entziehen.

Christoph Bieber hält diese Vorstellung für arg konstruiert. Für ihn sollten Fälle wie der von Hillary Clinton vor allem Anlass sein, darauf hinzuweisen, wie hart und gesundheitsbelastend der Job von Politikern ist - gerade weil viele Bürger meinen, sie täten wenig, bekämen dafür aber viel Geld.

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