Nach dem Militärputsch in der Türkei:Erdoğan wendet sich Putin zu

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  • Die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen sind in den vergangenen Wochen immer schlechter geworden.
  • Der türkische Präsident Erdoğan versucht deshalb mit einem Besuch in Russland, die Verbindung mit Wladimir Putin zu stärken.
  • Das Verhältnis der beiden Staaten hatte unter dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei stark gelitten.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Inmitten sich verschlechternder Beziehungen zum Westen sucht der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in Russland einen neuen Verbündeten. Bei einem Treffen mit Wladimir Putin in St. Petersburg will Erdoğan an diesem Dienstag "eine neue Seite in den beiderseitigen Beziehungen aufschlagen". Das türkisch-russische Verhältnis war zerrüttet, nachdem die türkischen Streitkräfte im November im Grenzgebiet zu Syrien einen russischen Jet abgeschossen hatten.

Bei dem Treffen in St. Petersburg wollen Putin und Erdoğan an die Zeit vor dem Abschuss anknüpfen, als beide Länder von einer engen wirtschaftlichen Kooperation profitierten. Moskau reagierte auf den Vorfall mit Wirtschaftssanktionen, Putin ging Erdoğan aus dem Weg. Mit am härtesten traf die türkische Wirtschaft das Ausbleiben russischer Touristen.

Bei den Gesprächen soll es auch um den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und die Lage im Bürgerkriegsland Syrien gehen. Das militärische Eingreifen Russlands in Syrien hat die Handlungsspielräume der Türkei in diesem Konflikt stark eingeschränkt. Ankara ist besorgt, dass die Kurden in Nordsyrien unter den Augen der USA und Russlands einen eigenen Staat errichten könnten und dies das Unabhängigkeitsstreben der Kurden in der Türkei verstärken könnte.

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Die Annäherung zwischen Ankara und Moskau könnte auch zur Wiederbelebung des Pipeline-Projekts Turkish Stream führen, das russisches Gas über den Grund des Schwarzen Meeres an die türkische Küste bringen soll und von dort aus zu Verbrauchern in Europa. Am Dienstagabend soll es ein Treffen mit Wirtschaftsvertretern geben, zu dem auch Gazprom-Chef Alexej Miller erwartet wird. Aus Präsidentenkreisen in Ankara hieß es am Montag, im Vordergrund stehe die Begegnung zwischen Erdoğan und Putin.

Kritik am Westen

Unmittelbar vor seiner Abreise nach St. Petersburg erneuerte Erdoğan seine Kritik am Westen. Er warf Europa und den USA im Gespräch mit der französischen Zeitung Le Monde vor, sich nach dem Putschversuch nicht deutlich genug an die Seite der Türkei gestellt zu haben. Dass US-Außenminister John Kerry erst am 24. August die Türkei besuchen wolle, bezeichnete er als "zu spät".

Dagegen hob Erdoğan die Rolle Putins nach dem Putsch hervor. Als der russische Präsident ihn anrief, habe er ihn im Gegensatz zu vielen Europäern nicht dafür kritisiert, dass seine Regierung so viele Soldaten und Beamte entlassen habe.

Nach dem Putsch war es zu Massenentlassungen und Massenverhaftungen gekommen. Als Reaktion darauf verlangt Österreich das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen und zweifelt auch das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei an. Aber auch die Türkei benutzt das Abkommen als Druckmittel. Erdoğan stellte es erneut in Frage. Der Türkei waren von der EU zum Sommer Visa-Erleichterungen in Aussicht gestellt worden. Wenn türkische Forderungen nicht erfüllt würden, sei auch die Rückübernahme von Flüchtlingen nicht mehr möglich, sagte Erdoğan.

© SZ vom 09.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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