Nach dem EU-Gipfel:Europa erkennt den Weg aus der Krise

Die Krise zwingt die EU zu Beschlüssen, die sie niemals getroffen hätte, ginge es nicht ums nackte Überleben. Nun sind wieder ein paar Lichter an in Europa. Einige leuchten sogar so hell, dass sie den Weg aus der Krise weisen. Entwarnung wäre aber unangebracht.

Ein Kommentar von Cerstin Gammelin, Brüssel

Um ermessen zu können, wo Europa am Ende des fünften Krisenjahres angekommen ist, lohnt ein Blick zurück auf das Jahr 2011. Griechenland siechte vor sich hin. Die Banken nicht minder. Italien und Spanien mussten mit horrenden Zinsen locken, um überhaupt irgendjemandem Staatsanleihen verkaufen zu können. Bundeskanzlerin Angela Merkel predigte den Partnern, zu sparen und zu reformieren - und fand sich als Madame Non in den Schlagzeilen, weil sie schnelle Finanzhilfen verweigerte. In Deutschland und in Europa sah es finster aus.

Zwölf Monate später muss bei allen Unzulänglichkeiten konstatiert werden, dass Überraschendes passiert ist. Es sind wieder ein paar Lichter an in Europa. Ein paar von ihnen leuchten sogar so hell, dass sie einen Weg erkennen lassen aus der Krise. Der Euro ist stabil. Griechenland ist immer noch Mitglied im Klub der Euro-Länder. Italien und Spanien zahlen weitaus geringe Zinsaufschläge für ihre Anleihen. Es gibt einen gut gefüllten, dauerhaften Rettungsfonds für finanzielle Notfälle.

Schließlich ist allen 27 EU-Staaten etwas gelungen, was vor einem Jahr überhaupt nicht vorstellbar war. Sie haben sich dazu durchgerungen, den Euro-Ländern eine zentrale, direkte Aufsicht für die Banken zu verpassen, an der auch alle Nicht-Euro-Staaten teilnehmen können. Wenn also die Krise, die Bürger wie Politiker gleichermaßen beschäftigt wie ermüdet, überhaupt eine positive Seite hat, dann diese: Sie zwingt die Europäische Gemeinschaft zu Beschlüssen, welche diese niemals getroffen hätte, ginge es nicht ums nackte Überleben.

Exemplarisch dafür steht die jetzt so umjubelte Bankenaufsicht. Eigentlich sollte der Bürger meinen, es sei selbstverständlich, dass die Geldhäuser streng kontrolliert werden. Aber das ist eine ebenso naive wie gefährliche Annahme. Denn die nationalen Aufseher haben bei ihren nationalen Banken in der Vergangenheit nie so genau hingeschaut. Auch weil nationale Banken gerade 2011 und 2012 die einzigen Investoren waren, die ihren Regierungen noch Staatsanleihen abkauften. So geschehen in Italien und Spanien.

Als gelte es die Krone der Königin zu verteidigen

Weil damit aber die Risiken in den Büchern der Geldhäuser stiegen, gerieten die Banken in Schieflage. Spaniens Regierung musste Hilfen für die Banken beantragen - was wiederum den staatlichen Schuldenberg vergrößerte. Die Kooperation zwischen Banken und Regierungen setzte eine Schuldenspirale in Gang, an der die Euro-Zone im Juni 2012 zu zerbrechen drohte. Erst in dieser Stunde höchster Not beschlossen die Regierungschefs, das Übel bei der Wurzel zu packen, eine zentrale Aufsicht einzurichten und Banken direkt aus dem Rettungsfonds zu rekapitalisieren.

Wie kleingeistig es jenseits der Beschlüsse in Not in Europa zugeht, zeigte sich in den monatelangen Verhandlungen um die gesetzlichen Grundlagen der Aufsicht. Die Minister entpuppten sich als grandiose Verteidiger nationaler Standortvorteile, als Bedenkenträger und Verzögerer. Sie rangelten um Stimmrechte, Zeitpläne und Zuständigkeiten, als gelte es die Krone der Königin zu verteidigen. Wer den Ministern zuhörte, konnte leicht den Eindruck bekommen, da redeten 27 aneinander vorbei. Ein Wunder, dass sie zueinander fanden.

Und genau deshalb ist es keinesfalls angebracht, jetzt Entwarnung zu geben. Europa hat in diesem Jahr einen kleinen Schritt raus aus der Krise gemacht. Viele weitere werden folgen müssen: Die Bankenaufsicht muss eingerichtet werden, Griechenland seine Verpflichtungen erfüllen und ein verlässlicher Partner werden. Italien und Spanien werden nicht umhin kommen, weiter zu sparen und zu reformieren. Und: Berlin und Paris müssen 2013 endlich wieder eine gemeinsame Achse aufbauen. Die hat Europa bitter nötig.

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