Bundestagswahl:Kanzlerin an der Schmerzgrenze

Angela Merkel im Bundestag zu 55 Jahren Élysée-Vertrag

Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages. Vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen hängt auch ab, wie es mit ihrer Karriere weitergeht.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Angela Merkel steckt in einer schwierigen Lage. Bei einem Scheitern der Koalitionsverhandlungen drohen ihr unkalkulierbare Folgen. Große Zugeständnisse an die SPD aber kann sie nicht machen.

Von Christoph Hickmann und Robert Roßmann, Berlin

"Immerhin", so lautet die knappe Analyse von Kanzleramtschef Peter Altmaier zum Ausgang des SPD-Parteitags. Andere Mitglieder des CDU-Präsidiums brauchen mehr Worte, um die neue Lage zu beschreiben. Das knappe Ja der SPD zu Koalitionsverhandlungen sei eine "schwere Hypothek", sagt CDU-Vize Volker Bouffier. Die SPD sei "völlig zerrissen", mit so einem Partner sei schwer zu verhandeln. Auch der kraftlose Auftritt von Martin Schulz auf dem SPD-Parteitag hat die Sorgen in der Union befeuert, dass die nächste große Koalition nur ein fragiles Notbündnis werden könnte. Aber es gibt für Angela Merkel keine passable Alternative mehr.

Wenn die Koalitionsverhandlungen scheitern sollten, käme auch die Kanzlerin in schweres Fahrwasser. Bereits jetzt gilt sie in ihrer Partei - bei aller Wertschätzung - nur noch als Kanzlerin in der Restlaufzeit. Erfolgreiche Verhandlungen zur Bildung einer neuen großen Koalition würden Merkels Lage noch einmal stabilisieren, ein Scheitern hätte dagegen unkalkulierbare Folgen. Die CDU-Chefin müsste jetzt also mit weiteren Konzessionen dafür sorgen, dass die SPD auch sicher den Weg in ein neues Bündnis findet. Wenn man kein Risiko eingehen will, werden dafür - auch wegen des desolaten Zustandes der SPD und vor allem ihrer Führung - kleinere Zugeständnisse nicht reichen.

Einfach wird das nicht, denn auf der anderen Seite darf Merkel die Leidensfähigkeit ihrer Partei nicht überstrapazieren. Bei der Sondierung hat es die CDU-Chefin noch geschafft, ihren Laden zusammenzuhalten. Trotz des Verzichts auf eine weitgehende Steuerreform und kostspieliger Rentenversprechen unterstützt der Wirtschaftsflügel das Sondierungsergebnis. Natürlich habe man auch Kröten schlucken müssen, sagt der Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann. "In Anbetracht der schwierigen Ausgangslage" könne man mit dem Ergebnis indes "gut leben".

Wenn Merkel jetzt aber - wie von der SPD gewünscht - auch noch eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen oder Beschränkungen der privaten Krankenversicherungen zulassen würde, wäre es mit der Einigkeit in der CDU wohl vorbei. Der CDU-Wirtschaftsrat fordert Merkel bereits auf, sich "jetzt nicht auf unseriöse Taktierereien der SPD" einzulassen. Das Sondierungspapier sei "in sich ein Kompromiss, bei dem man nicht einzelne Forderungen zusätzlich hinein- und wieder herausnehmen kann". Dafür, dass zum Beispiel die sachgrundlose Befristung unangetastet bleibe, habe die Union an anderer Stelle einen hohen Preis gezahlt, sagt Wolfgang Steiger, der Generalsekretär des Wirtschaftsrates.

Es könnte ja doch noch zu Neuwahlen kommen, das muss die Kanzlerin bedenken

Außerdem muss Merkel immer im Hinterkopf haben, dass es am Ende ja doch noch zu Neuwahlen kommen könnte. Zu weit gehende Zugeständnisse in der Wirtschafts- und der Flüchtlingspolitik könnten alle Hoffnungen zunichte machen, von FDP und AfD Wähler zurückzuholen.

Und so steht Merkel vor einer schweren Aufgabe. Sie muss gegenüber der SPD die Positionen der CDU gebührend deutlich machen, ohne die Sozialdemokraten zu verprellen. Und sie muss darauf hoffen, dass die üblichen Verdächtigen in der Union die SPD dabei nicht ohne Not mit Wortmeldungen reizen. Denn bisher läuft es für Merkel ja ganz gut. Die SPD ist dabei, immer tiefer in eine Reuse Richtung Koalition zu schwimmen. Schon jetzt gibt es für die Sozialdemokraten kaum noch einen erklärbaren Weg zurück.

Und doch ist es nicht so, dass bei ihnen jetzt, nach der Entscheidung auf dem Parteitag, endlich alles klar wäre. Das wurde gleich am Montagmorgen deutlich, als sich die SPD-Bundestagsfraktion zu einer Sondersitzung traf. Unter den Abgeordneten überwiegen klar die Befürworter einer neuen großen Koalition, die wenigsten haben Lust auf Neuwahlen - weshalb man nun, nach dem Parteitag von Bonn, eigentlich eine Sitzung ohne große Diskussionen hätte erwarten können. Doch offenkundig hatten einige Abgeordnete Redebedarf.

Nahles: "Leute, merkt ihr eigentlich, was ihr hier macht?"

Als "Selbstverständnisdebatte" beschrieb ein Teilnehmer die Sitzung später. Andere konstatierten, dass es offenbar das Bedürfnis gegeben habe, sich in diesen Zeiten einmal auszutauschen. Es ging um die kommenden Wochen, um die Frage, wie man nun die Mitglieder überzeugen wolle, die nach den Koalitionsverhandlungen über den Vertrag abstimmen sollen. Es ging um die Jusos und deren Idee, vor dem Mitgliedervotum möglichst viele Groko-Gegner in die Partei zu holen. Und es ging, das bestätigen mehrere Teilnehmer, in manchen Redebeiträgen mindestens mittelbar auch um die Rolle von Parteichef Martin Schulz.

So soll es Kritik an der Dramaturgie des Parteitags gegeben haben, außerdem die Forderung, dass man Führung brauche. Vor allem aber gab es viel Lob für den Auftritt von Fraktionschefin Andrea Nahles in Bonn - was man im Umkehrschluss so deuten darf, dass der Auftritt von Schulz auch unter den Abgeordneten eher keine Begeisterung ausgelöst hat.

SPD will sich nicht zur Eile drängen lassen

Als Nahles am Montagmorgen merkte, in welche Richtung sich die Debatte entwickelte, ging sie dazwischen. "Leute, merkt ihr eigentlich, was ihr hier macht?", so wurde sie von Teilnehmern zitiert. Sicherheitshalber sagte sie ihren Frühstückstermin mit der französischen Delegation ab, die zum 55. Jahrestag des Élysée-Vertrags in Berlin weilte. Eigentlich hatte sie die Sitzung zeitig verlassen wollen.

Am Ende ergriff Schulz noch einmal das Wort. Er zeichnete kurz seinen Weg nach, nachdem sein Vorgänger Sigmar Gabriel ihm vor einem Jahr die Kanzlerkandidatur angetragen hatte - und schloss, indem er Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zitierte: Wer bei ihm Führung bestelle, bekomme sie auch. Dafür gab es am Ende Beifall, sogar längeren als üblich.

Doch trotz dieses versöhnlichen Endes müssen sich die Sozialdemokraten offenkundig erst noch einmal sortieren. Im Verlauf der Woche will sich die Parteispitze zu einer Klausur treffen, um sich vorzubereiten und zu beraten, "auf welcher Grundlage, welcher strukturellen und auch mit welcher personellen Zusammensetzung" sie in die Verhandlungen gehe, wie es Schulz nach der Fraktionssitzung sagte. In der Parteiführung hieß es am Montag, man lasse sich nicht zur Eile drängen.

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