Josef Hader im Gespräch:"Kurz ist der nettere Rechtspopulist"

Josef Hader im vergangenen Jahr auf der Berlinale

Josef Hader im vergangenen Jahr auf der Berlinale

(Foto: Alexander Koerner/Getty Images)

Warum ist Österreichs Kanzler so populär? Ist es schlimm, dass die FPÖ regiert? Und was hat die CSU mit alledem zu tun? Der Wiener Kabarettist Josef Hader zur politischen Lage in Österreich.

Interview von Dominik Fürst und Oliver Das Gupta

Josef Hader ist Kabarettist, Schauspieler und Autor, er führt auch Regie. Der 56-Jährige lebt in Wien und schreibt gerade an einem neuen Kabarett-Programm und ist im Film "Arthur & Claire" zu sehen. Doch im SZ-Gespräch geht es nicht um Kunst, Kino und Kultur, sondern um Politik in Österreich und ein bisschen darüberhinaus.

SZ: Herr Hader, wir haben eine Kollegin - keine Journalistin, aber aus dem Verlag - die aus Österreich stammt. Wegen der politischen Lage in Wien gibt sie ihren Pass ab und wird Deutsche.

Josef Hader: Echt?

Ja, echt. Lassen Sie sich auch eindeutschen?

Lieber nicht, ich wohn' sehr gern in Wien. Es können ja nicht alle Österreicher jetzt auf einmal Deutsche werden. Das ist ja schon vor 80 Jahren schiefgegangen. Nein, ich glaube, dass man jetzt dableiben sollte. Es werden Bürger gebraucht. Also Bürger im französischen Sinn, die den Politikern auf die Finger schauen.

Das ist wohl gerade auch besonders notwendig. Die österreichischen Sozialdemokraten können zwar bei der Landtagswahl in Kärnten siegen, aber auf Bundesebene liegt die große Oppositionspartei eher darnieder.

Es gibt ja auch noch andere Oppositionsparteien. Und eine starke Zivilgesellschaft, das darf man über Österreich ruhig sagen. Die Sozialdemokraten brauchen jetzt ein bisschen Urlaub von der Macht. Ich denke, das tut ihnen gut.

Gilt das auch für die deutsche SPD?

Denen hätte das auch gutgetan, aber dem ganzen Land eher nicht. Wenn die deutschen Parteien nicht fähig gewesen wären, aus dem Wahlergebnis eine stabile Regierung zu basteln, wäre viel Vertrauen in die Politik verlorengegangen. Da hat für ein paar Monate ein Hauch von Weimarer Republik durch Deutschland geweht. Das wünscht sich niemand in Europa. Bei uns wäre das weniger ein Problem, wir sind ja Gott sei Dank ein kleines Land. Österreicher können in diesem Jahrhundert nicht so viel anrichten wie im vorigen, da muss man wirklich froh sein.

Es heißt, die Österreicher seien der großen Koalition müde geworden. Was ist in Österreich anders als in Deutschland?

Bei uns gab es die große Koalition schon seit 1945, SPÖ und ÖVP haben sich damals den Staat gewissermaßen aufgeteilt. Das lief mit Unterbrechungen bei uns über Jahrzehnte, das hat zu Korruption geführt, aber auch zu ständigen Kompromissen. Da waren dann die Anhänger der Sozialdemokraten genauso unzufrieden wie die der ÖVP. Wenn Schalke und Borussia Dortmund eine Spielgemeinschaft gründen würden, dann würde das Stadion leer bleiben. So etwas ist politisch in Österreich passiert, über zu viele Jahre. Viele Anhänger haben sich deswegen von den traditionellen Großparteien entfremdet und sind abgewandert zur FPÖ.

Nun regiert die FPÖ in Wien mit. Schlimm?

Das ist unerfreulich, aber da müssen wir durch. Diese Regierung hat zweifellos eine Mehrheit der Wähler hinter sich und die können sich jetzt anschauen, ob sich die großen Hoffnungen erfüllen, die geweckt worden sind. Und es ist langfristig besser, dass jetzt wieder der Wettbewerb eröffnet ist zwischen zwei gesellschaftlichen Richtungen: eine ist an der Regierung und die andere in Opposition. Das tut der Demokratie gut. Die österreichische Demokratie ist sozusagen beim Zahnarzt. Das tut weh, Eiter tritt hervor, es riecht unangenehm. Aber auf Dauer fallen dadurch die Zähne nicht aus.

Kommen wir zu Kanzler Sebastian Kurz. Können Sie uns erklären, wie der die Wahl gewonnen hat?

Weil er erfolgreich die bayerische CSU kopiert hat.

Unsere CSU?

Ja. Rechts von Kurz sind nur mehr rechtsextreme Positionen möglich. Er setzt hier in die Tat um, was ein Franz Josef Strauß immer von seiner Partei gefordert hat. Nach der anderen Seite hin möchte er eine gewisse Liberalität verströmen. Er versucht möglichst viel abzudecken. Er fährt zu Macron und danach zu Orbán und findet mit beiden Schnittmengen. Seine Argumentation in der Flüchtlingsfrage ist von hoher katholischer Raffinesse. Das klingt doch alles nach CSU, oder?

Ist es nicht auch ein Erfolg der FPÖ, wenn die Konservativen deren Positionen übernehmen?

Ja, aber keiner, der ihnen angenehm ist. Es ist eher gefährlich für sie. Kurz ist der nettere Rechtspopulist. Er schimpft nicht gegen die Flüchtlinge, sondern sagt, dass die wirklich Armen es gar nicht zu uns schaffen, weil sie sich keinen Schlepper leisten können. Denen müsse man helfen. Es hilft dann zwar niemand den armen Flüchtlingen vor Ort, aber es einzufordern macht jemanden sympathischer, der sein Land abschotten möchte. Kurz ermöglicht es den Menschen, gegen Ausländer zu sein und dabei kein so schlechtes Gewissen zu haben wie als FPÖ-Wähler. Typisch CSU eben.

"Die politische Korrektheit ist ein Minderheitenprogramm"

Kurz ist seit Beginn der Kanzlerschaft auffallend zurückhaltend, wenn es um Skandale und Skandälchen geht, die mit seinem Koalitionspartner zu tun haben: Das war bei der Liedbuchaffäre und bei Schmähungen der FPÖ, die auf seine Parteifreunde zielen. Und das ist bei der dubiosen Razzia beim Verfassungsschutz der Fall, bei der angeblich auch geheime Dateien zur rechtsextremen Szene beschlagnahmt wurden. Ist es da so clever vom Bundeskanzler, wenn er wortkarg bleibt?

Er hält es jedenfalls für clever. Es kostet ihn Sympathien, aber eher bei denen, die ihn ohnehin nicht wählen. Viel wichtiger ist ihm augenscheinlich, dass seine Regierung kein so zerstrittenes Bild abgibt wie die vorherige. Die Österreicher wollen keine Streitereien in der Regierung mehr, dem ordnet er alles unter. Und dass die FPÖ gerade im eigenen braunen Sumpf herumwatet, sieht er vielleicht gar nicht ungern. Es treibt ja eventuell FPÖ-Wähler, die sich davon abgestoßen fühlen, zu seiner Partei. Die Umfragen sagen, er profitiert derzeit von dieser Situation und legt zu.

Es geht Kurz also um reine Machtpolitik?

Natürlich könnte man vom Bundeskanzler der Republik mehr Haltung einfordern. Moral in der Politik hat aber in Österreich leider genauso wenig Tradition wie in Bayern. Das sind ja beide katholische Länder, da nimmt man es nicht so genau. Moral in der Politik wird interessanterweise von einer protestantischen Pastorentochter aus der Uckermark ernster genommen als weiter südlich. Vielleicht, weil Protestanten nicht beichten können. Deshalb sündigen sie vorsichtshalber weniger.

In Österreich wie in Deutschland steht der Vorwurf im Raum, die politische Linke habe es mit der politischen Korrektheit übertrieben und damit eine Menge Wähler nach rechts geschickt. Ist da was dran?

Die politische Korrektheit ist ein Minderheitenprogramm und in der Mitte der Bevölkerung noch gar nicht angekommen. Deswegen glaube ich nicht, dass so was Wahlen entscheidend beeinflussen kann. Und wenn ich an die 68er-Linken denke, dann möchte ich nicht behaupten, dass die übertrieben angekränkelt gewesen wären von politischer Korrektheit oder der Idee der Gleichberechtigung. Die politische Korrektheit ist jedenfalls nichts Schlechtes, man sollte sie nur nicht religiös betreiben.

Können Sie das genauer erklären?

Früher hat man bei den Katholiken einen Katechismus gehabt und wenn man da alle Punkte befolgt hat, dann war man ein guter Mensch. Aber im Geheimen hat man sich nicht dran gehalten, man war sozusagen auch ein Heuchler. Oder eine Heuchlerin, wir wollen das definitiv gendern.

Unbedingt. Aber was hat das mit der politischen Korrektheit zu tun?

Heute sind Religionen bei uns aus der Mode gekommen, die meisten wollen sich selbst so stark verwirklichen, dass sie die klassischen Religionen als Einengung empfinden. Weil aber der Mensch sich gerne das Chaos in der Welt ordnen möchte, sucht er sich neue Religionen. Zum Beispiel hängt er Verschwörungstheorien nach, sicher die ungustiöseste Form der neuen Religionen. Oder, etwas harmloser, er glaubt an Esoterik. Oder an die Art von politischer Korrektheit, bei der es nur um den Buchstaben geht und nicht um den Inhalt. Das ist dann halt ein anderer Katechismus und er erzeugt dann neue, andere Heuchler.

Dabei leben wir doch in liberalen Zeiten, die Menschen können sich freier entfalten denn je. Wie passt das zusammen mit der wachsenden Unzufriedenheit?

Liberalität ist immer an Reichtum gekoppelt, das ist eine traurige Wahrheit. Aber die meisten Menschen bei uns werden derzeit nicht reicher sondern ärmer. Sie arbeiten Vollzeit und kommen damit kaum über die Runden. Andere haben mehrere Jobs und es langt auch nicht. Die soziale Marktwirtschaft wird in Europa gerade schrittweise abgeschafft. Und die, denen es noch besser geht, haben Angst, dass das bald ein Ende hat.

Und warum profitieren davon AfD, FPÖ & Co?

Da kommen dann die Rechtspopulisten und sagen, wenn man sich auf den nationalen Egoismus schmeißt, wird alles wieder so fein wie früher in der guten alten Zeit. Der Rechtspopulismus ist ein Kollateralschaden unseres Wirtschaftssystems, in dem es immer weniger zu verteilen gibt, weil die Reichen immer mehr abbekommen. Der neueste Witz ist, dass man, weil es kein Geld mehr zu verteilen gibt, Freiheit verteilt. Man sagt, du bist Start-upper, du darfst nur für dich arbeiten, für dein Ziel. Das sind eigentlich Praktikanten, denen man einredet, Unternehmer zu sein.

Bei Ihnen klingt das nach Selbstausbeutung.

Das System will immer weniger Arbeitnehmer haben, die durch irgendwelche Sozialgesetze geschützt sind. Also macht man aus möglichst vielen Arbeitnehmern kleine Unternehmer, die sich selber ausbeuten und, falls sie Erfolg haben, auch andere. Vielleicht ist unser Wirtschaftssystem ein riesiges Pyramidenspiel, das alle paar Jahrzehnte naturgemäß zusammenkrachen muss.

"Persönliche Angriffe auf unabhängige Journalisten muss man sehr ernst nehmen"

Herr Hader, Politik, Kampagnen und Meinungen werden inzwischen vor allem über das Internet ventiliert. Finden Sie das gut oder eher gefährlich?

Eine Sache gibt es, die ich nicht verstehe: Wenn man ein Bankkonto eröffnet, außer man ist in einem exotischen Steuerparadies, muss man seinen Ausweis herzeigen und seinen Namen nennen. Wenn man Hass verbreitet im Internet, kann man das immer unter einem Pseudonym tun. Das finde ich genauso seltsam, also würden auf unseren Straßen die Autos mit Fantasie-Nummerntafeln herumfahren, die wir uns jeden Tag neu basteln.

Werden Sie online angepöbelt?

Selten. Ich habe mich zum Beispiel politisch für den jetzigen österreichischen Bundespräsidenten engagiert, aber ich hab erstaunlich wenig Hass abbekommen.

Vielleicht kommen da auch mehrere Faktoren zusammen. Sie sind keine Frau, Ihr Name klingt so einheimisch wie Kurz oder Kern. Und viele Leute, die politisch möglicherweise ganz woanders liegen, sind stolz auf Sie als erfolgreichen Österreicher.

Das kann sehr gut sein. Aber ich muss umgekehrt sagen, ich hasse selber auch nicht. Ich bin nicht besonders ideologisch. Ich bin eher jemand, der Ministrant war und sich danach keine neue Religion mehr antun wollte. Ich bin allergisch gegenüber Mythen, auch linken Mythen gegenüber.

Was wäre so ein linker Mythos für Sie?

Na ja, wenn ich zum Beispiel sagen würde: Österreich wird gerade Diktatur, ich muss auswandern, man muss sich in Sicherheit bringen, solche Dinge. Das wäre linker Mythos. Der Unterschied zu Polen oder Ungarn ist: Das ist bei uns kein einheitlicher Machtblock, das sind zwei Parteien, die gleichzeitig Konkurrenten sind am Wählermarkt, weil sie von woanders her nicht mehr viele Stimmen bekommen können. Diese Regierung ist mit dem Versprechen angetreten, alles anders und besser zu machen. Sie ist in gewisser Weise auch ein Start-up-Unternehmen, sie braucht ständige Erfolge. Bis zum Bundeskanzler hinauf ist sie sehr von guten Umfragewerten abhängig, sobald die nachlassen würden, rumort es in beiden Parteien. Vielleicht sind so die originellen Wortmeldungen von FPÖ-Politikern in den letzten Wochen zu erklären.

Da ist von Kasernierung von Flüchtlingen gesprochen worden, vom "Konzentrieren" in Massenlagern.

Das ist auch in Österreich den meisten Menschen zu extrem, das bringt ihnen keine neuen Stimmen. Entweder sind das reflexartige Rülpser einer Partei, die gedanklich noch nicht in der Regierung angekommen ist, oder es sind gezielte Ablenkungsversuche. Die FPÖ-Stammwähler in den unteren Einkommensschichten kommen gerade drauf, dass diese Regierung nicht vorhat, ihre Situation zu verbessern.

Die neue Koalition will auch den öffentlichen Rundfunk ORF kleinreformieren. Vizekanzler Strache bezichtigte den ORF-Nachrichtenmoderator Armin Wolf in einem Facebook-Eintrag ungerechtfertigt der Lüge - und bekräftigte später, seine Behauptung sei nur Satire. Muss man solche Scharmützel ernst nehmen?

Es hat persönliche Angriffe der FPÖ auf unabhängige Journalisten und den ORF gegeben, das muss man sehr ernst nehmen. Da sind wir alle als Bürger gefordert, sofort zu reagieren und laut zu sagen: Wir wollen in Österreich keine drittklassigen Trump-Parodien von frustrierten FPÖ-Politikern, die gerade jede Sau brauchen, die sie durchs Dorf jagen können, weil ihnen ihre Protestwähler davonlaufen.

Glauben Sie, dass die rechtskonservative Regierung in Wien letztendlich eine andere Republik formen will?

Ich glaube, dass die FPÖ gern ein paar Spielregeln unseres Staates ändern will, die ÖVP aber eher weniger. Sonst würde nämlich ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur FPÖ wegfallen, und damit auch ein Grund, die ÖVP zu wählen, wenn einem die FPÖ zu radikal ist. Wenn der Herr Bundeskanzler Kurz den ORF entscheidend schwächen würde und vielleicht auch noch an unserer Verfassung herumschrauben, dann hätte er nicht nur Zehntausende auf der Straße so wie vor Kurzem, sondern vielleicht Hunderttausende. Dann könnte er nicht mehr so locker zu Herrn Macron und zu Herrn Orbán fahren und den großen Brückenbauer geben zwischen Ost und West. Dann wäre er selber Ost. Daran kann er nicht wirklich Interesse haben.

Sie wirken optimistischer als in der Vergangenheit, Herr Hader.

Optimistisch kann man nicht sagen, aber ich versuche, die Politik sachlich zu sehen. Vielleicht auch, damit ich selber nicht zu viel Angst bekomme.

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