Da stehen sie also und lächeln. Lächeln in die Kameras, als sei nichts gewesen. Fast könnte man meinen, dass Angela Merkel und Sebastian Kurz immer schon engste Verbündete gewesen seien. Sie, die Seniorchefin, er der junge Nachwuchs-Boss mit edlem Anzug und großen Ambitionen - den Eindruck könnte man von dieser Begegnung im Kanzleramt glatt mit nach Hause nehmen. Als die Kanzlerin mit dem Kanzler vor die Mikrofone tritt, ist's draußen zwar winterschneekalt. Aber hier drinnen, vor der blauen Wand für die Presseauftritte, ist es wohlig warm, weil auch die Gastgeberin und ihr Besucher um eine gute Stimmung bemüht sind.
Nun wäre das alles nicht überraschend, wenn die Beziehungen zwischen Wien und Berlin wirklich gut wären. Freundschaftlich gar und geprägt von engster Zusammenarbeit. Tatsächlich aber gibt es derzeit in der EU kaum einen Regierungschef, der es sich mit der Kanzlerin in den vergangenen zwei Jahren so verscherzt hat. Gefühlt dürfte Kurz, der ehemalige Außenminister und heutige Kanzler Österreichs, dabei schon in einer Liga mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán spielen. Streng gegen Merkels Flüchtlingspolitik, streng gegen eine solidarische Note im Umgang mit den Flüchtlingen aus dem Nahen Osten. So ist es im Kanzleramt der Angela Merkel seit Beginn der großen Flüchtlingsankunft 2015 erlebt worden.
Kurz schwang sich zum Retter der europäischen Grenzen auf
Dabei war es ausgerechnet die österreichische Regierung, die sich an jenem Wochenende um den 4. September 2015 mit dramatischen Hilferufen an Berlin wandte. Kurz war Außenminister, als sein damaliger Kanzler Werner Faymann beinahe flehentlich darum bat, im Umgang mit den Tausenden Flüchtlingen, die sich von Budapest aus auf den Weg gemacht hatten, großzügig zu bleiben. Und großzügig hieß damals unzweideutig: Bitte Berlin, übernimm du sie, wenn sie an deine Grenze kommen.
Man muss an diese Geschichte erinnern, um nachvollziehen zu können, wie Merkels Beamten die Zornesröte ins Gesicht stieg, als sich nur Wochen später Faymanns Außenminister Sebastian Kurz als neuer großer Retter der europäischen Grenzen aufschwang. Früh und rigide plädierte er für eine Schließung der sogenannten Balkanroute - und verkaufte das als Rettung Europas. Mehr noch: Er betonte sogar, dass man damit auch den Balkanstaaten selbst helfen werde.
Merkel und ihre Berater im Kanzleramt vertraten dagegen die Auffassung, dass man die Tore an der ungarisch-serbischen Grenze erst dann rigide schließen dürfe, wenn das mit der Türkei angestrebte Flüchtlingsabkommen erreicht sei. Begründung: Ansonsten drohe auf dem Balkan ein neuer Krieg, weil die Region auf keinen Fall Hunderttausende Flüchtlinge aushalten werde. Dies gelte mindestens so lange, bis die Flüchtlingsroute über die Ägäis geschlossen wäre.
Kurz aber war das egal. Er wollte die große Botschaft - und den großen Kämpfer geben. Und so geschah, was die Kanzlerin verhindern wollte: dass Ungarn und seine Nachbarn die Grenze zu den Balkanstaaten schlossen, bevor das EU-Abkommen mit der Türkei unterschrieben war. Kurz pries sich als Beschützer des Kontinents, obwohl er genau wusste, dass auch sein Konstrukt nur gelingen konnte, wenn das Türkei-Abkommen erreicht sein würde.