Endspurt im US-Wahlkampf:Wie Trump und Clinton ihre Wähler mobilisieren wollen

Lesezeit: 5 min

Rastlos jetten die Kandidaten kurz vor der Wahl durch die USA - und haben jeweils eine ganz bestimmte Klientel im Blick.

Von Matthias Kolb, Winterville, und Johannes Kuhn, Pensacola

Donald Trump steht in einem Amphitheater vor 5000 Anhängern und hat ein paar Verhaltenstipps parat. Für sich selbst, wohlgemerkt: "Wir müssen nett und cool sein. Nett und cool", eröffnet er breit lächelnd seinen Freiluft-Auftritt im Hafen von Pensacola, Florida. "Bleib' bei der Sache, Donald. Bleib' bei deiner Botschaft, keine Nebenbemerkungen, Donald", macht er unter großem Gelächter seine Berater nach.

Wenige Tage vor der Wahl ist an diesem lauen Abend die letzte Inkarnation des Kandidaten Trump zu erleben: Routiniert und fokussiert, nur selten vom Teleprompter abweichend. "Präsidial" werden ihn später Besucher nennen, allerdings ist dies hier auch Trumps Florida-Hochburg: Der Nordwesten des Bundesstaats ist konservativ und christlich, hier wohnen viele Militärangehörige und Veteranen, die für wenig Geld ihren Lebensabend in der Sonne verbringen wollen.

Viele Bundesstaaten bekommen die Kandidaten überhaupt nicht zu Gesicht. Die konzentrieren sich auf jene Regionen auf der Wahlkarte, die in den vergangenen Jahren mal im republikanischen Rot, mal im Demokraten-Blau leuchteten. Ohio, Nevada, Florida, Michigan, Pennsylvania, New Hampshire oder North Carolina erleben eine regelrechte Politiker-Heimsuchung. Manchmal parken die Privatjets von Trump und Clinton sogar nebeneinander auf irgendeinem Regionalflughafen.

Wahlkampf in den USA
:Beyoncé singt für Hillary, Clint Eastwood wirbt für Trump

Wenige Tage vor der US-Wahl geben die Promis alles für ihren Wunschkandidaten. Wer unterstützt wen? Ein Überblick - mit Katy Perry, George Clooney und Chuck Norris.

Trump ist bereits zum dritten Mal in diesem Jahr in Pensacola eingeschwebt. Seine Berater hätten ihm davon abgeraten, behauptet er. "Aber ich will hierher", schmeichelt der Kandidat den Anhängern, "die Menschen sind meine Freunde. Sollte man sie nicht belohnen?" Die 40-minütige Rede ist eine Art "Best of", zwar ohne die Tabubruch-Hits und Clinton-Beschimpfungen, doch das übernimmt das Publikum mit "Sperrt sie ein!"-Sprechchören. "Hillary ist die Kandidatin von gestern, wir die Bewegung von morgen", ruft Trump seinen euphorisierten Anhängern zu. "Putin mag sie nicht", sagt er später. "Wir mögen sie auch nicht!", ruft eine junge Frau zurück.

Was jetzt fehlt? Zeit

Der Wahlkampf im Sunshine State ist längst ein Mobilisierungswettlauf: Weiße Konservative gegen weiße Liberale, Schwarze und die Mehrheit der Latinos. Florida mit seinen 29 Wahlmänner-Stimmen zu gewinnen wäre für Trump nicht nur ein Baustein für den Wahlsieg, sondern die Voraussetzung. Immer wieder ist er deshalb zurückgekehrt, damit die Begeisterung an der Basis nicht nachlässt.

Kurz vor der Wahl ist die Zeit die knappste Ressource der Kandidaten, unerbittlich läuft sie davon. Wem sie Interviews geben, in welchen Staaten sie reden: Das alles wird deshalb kurzfristig mit Hilfe der Daten-Analysen ihrer Teams entschieden. Sie wissen, wer bereits gewählt hat und wo die Kandidaten noch Wähler mobilisieren oder mediale Aufmerksamkeit erhalten müssen. Anhänger und Reporter erfahren meist 60 Stunden vorher, dass Trump oder Clinton kommen, manchmal auch erst am Tag davor.

Bis zu fünf Auftritte absolvieren die beiden täglich, die Reiserouten wirken manchmal willkürlich und werden in den Medien heiß diskutiert: Hillarys Reise nach Detroit könnte bedeuten, dass sie in Michigan nicht genügend schwarze Wähler mobilisieren kann. Folgt Trumps kurzfristig angesetzter Auftritt im verlässlich demokratischen Minnesota internen Analysen? Ist er der Versuch, Star-Demokraten ebenfalls dorthin zu locken und so Ressourcen zu vergeuden oder handelt es sich vielleicht nur um Verzweiflung? Im Moment führt Umfragen zufolge Clinton knapp - und wer gewinnt, wird am Ende ohnehin für seine Strategie gefeiert.

Die Choreographie der Reisen ergibt sich aus der Zusammensetzung der Wählerschaft - und der konservativ-liberalen Spaltung des Landes: Trump redet häufig in ländlichen Gegenden, ehemaligen Industrie-Städten und Regionen mit Militärbasen. Clinton dagegen zieht es in die Großstadt-Metropolen oder deren schwarze und hispanischen Einzugsgebiete. So wie Winterville in North Carolina, das in einem Bezirk mit hohem Anteil an Afroamerikanern liegt.

Die Frau, die Hillary Clinton in Winterville ankündigt, kennt im Publikum fast niemand. Doch Mae Wiggins überbringt die Botschaft, die zum Ankerpunkt des Demokraten-Wahlkampfs geworden ist: Donald Trump ist nicht nur eine Fehlbesetzung fürs Weiße Haus, sondern auch ein skrupelloser Geschäftsmann, der Minderheiten ausbeutet. Wiggins arbeitete als Krankenschwester in New York und bewarb sich 1963 um eine Wohnung in einem Hochhaus, das Trumps Vater gehörte. "Alles vermietet", wurde der Afroamerikanerin mitgeteilt, obwohl es freie Wohnungen gab. Später klagte das US-Justizministerium gegen Trump senior. Dass der eine Strafe zahlen musste, liegt auch am Beispiel von Mae Wiggins.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Dass Donald Trump damals erst 17 war, spielt keine Rolle: Auf die Verdrehung von Tatsachen verstehen sich auch die Demokraten. North Carolina ist für Clinton ein Schlüsselstaat, weil sie damit den möglichen Verlust von Ohio ausgleichen könnte. In ihrer Rede am Pitt Community College zitiert sie bei strahlendem Sonnenschein Michelle Obama: "Wenn sie niedere Instinkte zeigen, dann streben wir nach Höherem."

Doch der Optimismus und die Appelle an gute Manieren sind auch bei den Demokraten reine Fassade. Die ehemalige Außenministerin erzählt zwar von ihrem Investitionsprogramm für Infrastruktur und Familien und spricht über die Steuererhöhungen für Superreiche. Doch das Publikum aus Frauen, Studenten und Afroamerikanern hört vor allem viele Attacken auf den Charakter ihres Rivalen.

US-Wahl
:Trumps Wahlprogramm - was der Republikaner plant

Er fordert stärkere Durchgriffsrechte der Polizei, Steuersenkungen und weniger Umweltschutz. Einen Plan, die Terror-Organisation "Islamischer Staat" zu besiegen, gibt es jedoch nicht.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Trump habe Frauen als "Fressmaschinen" bezeichnet und habe sexuelle Übergriffe verharmlost, erklärt Clinton. Sie erinnert an die Schwarzenkirche in Mississippi, die angezündet und mit "Wählt Trump" verunstaltet wurde. Und daran, dass die offizielle Zeitung des Ku-Klux-Klans zur Wahl des Republikaners aufruft. Die Frau, die es ins Weiße Haus schaffen kann, hat eine klare Botschaft, die Angst-Vision für diesen Teil des Landes: "Wir müssen uns wirklich fragen, ob es für irgendjemanden von uns Platz in Trumps Amerika gibt."

Clinton + Obamas + Popstars vs. Einzelkämpfer Trump

Das Publikum jubelt, als die 69-Jährige ihre Rede mit dem Ruf "Love Trumps Hate" beendet. "Sie hat in 30 Jahren bewiesen, was sie kann", erzählt danach eine Lehrerin aus der Region. Eine Gruppe Studentinnen mit "HillYes"-Plakaten dagegen berichten, dass sie zwar Trump durch ihre Stimmen für Clinton verhindern wollen, aber eigentlich lieber Bernie Sanders im Weißen Haus gesehen hätten.

Der Senator aus Vermont, längst wieder von den Demokraten ins Lager der Parteilosen gewechselt, ist einer der wichtigsten Unterstützer auf den letzten Metern des Wahlkampfs. Neben Sanders, Senatorin Elizabeth Warren und Vize-Kandidat Tim Kaine sind auch Clintons Ehemann Bill und Tochter Chelsea im Dauer-Einsatz. Und das wohl beste Wahlkampf-Tandem des Landes, das Ehepaar Obama, gönnt sich nur wenige Pausen, um das politische Erbe des ersten schwarzen Präsidenten zu sichern.

Rennen um das Weiße Haus
:Clintons Wahlprogramm - was die Demokratin plant

Sie fordert mehr Steuern für Reiche und bezahlte Elternzeit. Außenpolitisch will sie offensiver auftreten als Barack Obama.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Hinzu kommen all die Stars, die Clinton die Zuwendung der progressiven Basis sichern sollen: Pharrell Williams, Jay-Z und Beyoncé, Katy Perry, Jon Bon Jovi, Miley Cyrus und Jennifer Lopez treten mit ihr auf, damit vor allem die Millennials direkt danach ihre Stimmen abgeben - die Hallen liegen stets in Laufweite zu den Wahllokalen. Hollywood-Größen wie George Clooney oder Justin Timberlake sammeln Spenden. Die Popkultur ist auf Seiten der Demokraten, während Donald Trump mit saurer Miene spottet, "keinen Jay-Z, keine J-Lo, nur mich. Keine Gitarre, kein Piano, nichts" zu seinen Auftritten mitzubringen.

Doch gerade in der Provinz wie in Selma, North Carolina, reicht Trump locker aus, um den Verkehr lahmzulegen. Vor einer Open-Air-Scheune versammeln sich 17 500 nahezu ausschließlich weiße Menschen, die nahezu ausschließlich in Pick-Up-Trucks angereist sind. Von Kränen hängen Stars-and-Stripes-Flaggen und während ein Vorredner die Gegnerin verteufelt ("Bald werden wir Hillary unter einem neuen Namen kennenlernen: Häftling Clinton"), posiert das Publikum für Selfies.

"Trump wird Präsident werden"

Als Trump die Bühne betritt, preist er vor allem das Militär und verspricht einmal mehr, als Präsident die Terrormiliz "Islamischer Staat" auszulöschen. Es gehört zu den Besonderheiten dieses Wahlkampfs, dass gerade dort, wo es kaum Muslime und auch wenige Latinos gibt, der Wunsch nach Einreisestopp und Grenzmauer am größten ist. Immer wieder klettern Besucher auf die Schultern von Freunden, blicken um sich und begeistern sich an der Masse. "Trump wird Präsident werden, schau dich doch um", rufen einige den Reportern zu, die für sie nur Lügner sind.

Eine ähnliche Euphorie herrschte auch bei den Abschlusskundgebungen von Mitt Romney 2012, als die Wut auf den "Sozialisten Obama" überkochte. Romney verlor, doch er versuchte zumindest, die Vororte der Großstädte für sich zu erobern. Trump reist dorthin, wo sie ihn ohnehin schon wählen werden und keine besondere Motivation brauchen. Es ist eine rätselhafte Strategie.

In seinen Reden brüstet sich Trump damit, bisher noch jede politische Gewissheit über den Haufen geworfen zu haben. Am 8. November wird sich zeigen, ob es ihm ein weiteres Mal gelingt - oder ob er sich einmal zu oft an sich selbst berauscht hat.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

US-Wahl
:Frühwähler-Zahlen deuten auf Clinton-Sieg

Viele Afroamerikaner und Latinos haben in den umkämpften Staaten Nevada und Florida per "early vote" abgestimmt. Donald Trump wird vom Secret Service kurz von der Bühne gebracht. Die aktuellen Wahlkampf-Entwicklungen.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: