Bundeswehreinsatz in Afghanistan:Uniformen vor Gericht

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Wenn ein deutscher Soldat sich wegen Vergehen bei Auslandseinsätzen verantworten muss, ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft. Der Fall des Bombenangriffs macht damit ein Dilemma deutlich.

H. Leyendecker

Bevor ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan auf einen vermeintlichen feindlichen Kämpfer schießt, soll er möglichst laut und vernehmlich auf Paschtu, der Sprache des Feindes, "Kawum" rufen. So stand es bis Juli 2009 in der "Taschenkarte zu den Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt", die ihm vom Verteidigungsministerium für den Einsatz am Hindukusch mitgegeben wurde.

Ist die Bundeswehr im Kriegseinsatz oder geht es um den "Einsatz angemessener Gewalt"? Der Fall des Bombenangriffs in Afghanistan macht ein grundsätzliches Dilemma deutlich. (Foto: Foto: Reuters)

Heute ist die Warnung internationaler. Der Ruf heißt nun: "Isaf - Stop or I will fire." Eins aber gilt nach wie vor: Wenn der Soldat schießt, und am Ende stirbt ein Zivilist, kann ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Potsdam wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung oder gar wegen Totschlags eingeleitet werden.

Die brandenburgische Strafverfolgungsbehörde, in deren Nähe das Einsatzführungskommando der Bundeswehr sitzt, ist seit 2002 in Deutschland die erste Anlaufadresse für strafrechtlich relevante Vorgänge im Zusammenhang mit Bundeswehr-Auslandseinsätzen. Die Ermittler prüfen in 15 bis 20 Fällen im Jahr (von Afghanistan bis zum Kosovo), ob ein Verfahren eingeleitet werden muss. Wenn dies so ist, leiten sie die Akten an die Strafverfolger weiter, die für den Heimatstandort des Soldaten zuständig sind.

Jung hält die Prüfung für "nicht sachgerecht"

Im Fall des Angriffs auf die beiden Tanklastwagen begannen die Potsdamer Juristen bereits am Freitagnachmittag mit der Prüfung der Frage, ob gegen den für den Einsatz verantwortlichen Oberst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden soll. Da dieser in Leipzig stationiert ist, könnte das ein Fall für die dortige Staatsanwaltschaft werden. Möglicherweise werden die Potsdamer auch erstmals in all den Jahren wegen der Besonderheiten des Falles bereits die Vorprüfung an die Sachsen abgeben.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung findet die Prüfung "nicht sachgerecht". Aber wenn ein Oberst einen Bomber herbeiruft und danach darüber gestritten wird, wie viel Dutzend Menschen starben, liegt der Fall ein bisschen anders als in den üblichen "Kawum"-Fällen, die in den vergangenen Monaten für so viel Aufsehen sorgten und dann doch eingestellt wurden.

Der Fall des Bombenangriffs macht das grundsätzliche Dilemma deutlich: Ist die Bundeswehr in einem Kriegseinsatz oder geht es um den "Einsatz angemessener Gewalt", wie die rhetorischen Kriegsverweigerer im Verteidigungsministerium nimmermüde erklären? "Wenn es kein Krieg ist, sind die Soldaten so etwas wie unsere Polizisten in Afghanistan", sagt ein hochrangiger deutscher Staatsanwalt, und diese Sicht mache den Tankwagen-Fall "noch komplizierter".

"Falls Polizisten eine Ansammlung von Räubern erkennen und alle erschießen, weil es sich offenkundig um Rechtsbrecher handelt, bekommen sie den Prozess", sagt der Strafverfolger. "Wenn aber Krieg ist, darf vermutlich ein Oberst den Bomber rufen. Oder?"

Die strafrechtliche Aufklärung der Fälle im Auslandseinsatz steckt immer noch voller Unzulänglichkeiten und Widersprüche. In der Regel sichern Feldjäger den Tatort, die zugleich für das Disziplinarverfahren zuständig sind. Im Strafverfahren darf der Beschuldigte schweigen, im Disziplinarverfahren muss er jedoch aussagen.

Probesitzungen für eine Militärjustiz

Vergeblich hat die FDP im Bundestag die Bildung einer zentralen Staatsanwaltschaft beantragt, die dann auch die Ermittlungen führen soll. Vor ein paar Monaten scheiterte auf der Justizministerkonferenz auch der Antrag zweier Bundesländer, eine Staatsanwaltschaft mit zentraler Zuständigkeit einzurichten.

Das wäre dann wahrscheinlich die Staatsanwaltschaft in Potsdam gewesen. Aber wenn es eine zentrale Staatsanwaltschaft gäbe, müsste vermutlich auch ein zentrales und sachkundiges Gericht die Fälle aufarbeiten - ähnlich wie das bei Staatsschutzdelikten die Oberlandesgerichte tun.

Die im Kriegsfall logische Errichtung einer eigenen Militärjustiz, bei der Militärs Ermittlungen, Anklage, Verteidigung und das Urteil übernehmen, ist mit Blick auf die deutsche Vergangenheit noch tabu. Auch gibt es die Sorge, dass diese Justiz zwar sachkundig, aber übermäßig milde wäre. Das Grundgesetz ließe die Einrichtung einer Militärjustiz übrigens durchaus zu. Die notwendigen Roben für solche Richter gibt es auch schon, denn es wurden bereits Probesitzungen solcher Gerichte abgehalten, sagt ein hochrangiger Bundeswehr-Angehöriger.

© SZ vom 08.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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