Bundestagswahl:Der Hass der Pöbler wird ins Parlament einziehen

Merkel Campaigns In Finsterwalde

Anti-Merkel-Proteste in Finsterwalde bei einem Wahlkampfauftritt der Bundeskanzlerin.

(Foto: Getty Images)

Kaum eine Wahl seit Gründung der BRD war so bedeutsam wie die heutige. Es geht um die Frage, wie sich das politische Klima im Land verändert.

Kommentar von Wolfgang Krach

Die Wahl am Sonntag wird Deutschland stärker verändern, als viele glauben oder vielleicht auch wahrhaben wollen. Es geht nicht um eine 08/15-Wahl, die nur darüber entscheidet, welcher Koalition Angela Merkel künftig als Kanzlerin vorsitzt. Es ist auch nicht so, dass jeder, der etwas anderes wählt als Linkspartei oder AfD, in Wirklichkeit für Merkel stimmt, wie manche verkünden. Diese Wahl bedeutet einen Einschnitt in die Geschichte der Bundesrepublik, vergleichbar der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990, einem damals allerdings erfreulichen Ereignis.

Zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren wird wieder eine nationalistische, rechtsradikale, in weiten Teilen rassistische Partei im Bundestag sitzen. Sie wird Vorsitzende in Ausschüssen stellen, und möglicherweise wird sie sogar stärkste Oppositionsfraktion. Im Wortsinn kann dann die AfD die Agenda der Politik mitbestimmen. Das ist traurig, beschämend und wird das Klima im Land verändern.

Der Wahlkampf hat hierauf bereits einen Vorgeschmack gegeben. Die Aggressivität und der Hass, mit denen die AfD und manche der mit ihr sympathisierenden Pöbler insbesondere die Kanzlerin angegriffen haben ("Lügnerin" "Volksverräterin", "Eidbrecherin"), werden ins Parlament einziehen. Die anderen Parteien dürften sich schwertun, mit dieser Verachtung demokratischer Gepflogenheiten umzugehen. Aber gerade jetzt kommt ihnen die Aufgabe zu, die AfD mit parlamentarischen Mitteln zu stellen. Geschäftsordnungstricks wie der, mit dem Union und SPD verhindern wollen, dass ein AfD-Mann Alterspräsident wird, reichen nicht aus. Sie nützen der AfD.

Deutschland wird den Einzug Rechtsradikaler ins Parlament erleben

Überhaupt wird sich, und das ist die zweite große Veränderung, die diese Wahl bringt, im Bundestag eine neue politische Landschaft widerspiegeln. Über Jahrzehnte hinweg, bis zum Beginn der 1980er-Jahre, gab es im Bundestag drei Blöcke: Union, SPD und Freie Demokraten. Mal waren CDU/CSU stärker und stellten, gestützt von der FDP, den Kanzler (Adenauer und Erhard), mal die SPD (Brandt und Schmidt). Einmal gab es unter Kiesinger die Große Koalition. Jedenfalls konnte jede Partei mit jeder anderen koalieren.

Das änderte sich 1983, als die Grünen mit Turnschuh-Fischer, Petra Kelly und Otto Schily in den Bundestag einzogen. Mit einem Mal zählte man vier Fraktionen, die in zwei Lager zerfielen: schwarz-gelb und rot-grün. Jede Fraktion war koalitionsfähig, die Grünen jedoch - anders als heute - nur mit der SPD. Knapp ein Jahrzehnt später kam die PDS, heute Die Linke, hinzu. Auch sie kann allenfalls ein Bündnis eingehen: mit Rot und Grün.

Künftig werden im Bundestag sechs Fraktionen sitzen. Das hat es, abgesehen von 1949 bis 1953, noch nie gegeben. Wenn es so bleibt, werden Regierungsbildungen deutlich schwieriger, als sie es bislang waren. Union und SPD kommen zusammen nur mehr auf rund 60 Prozent (2002 waren es noch fast 80), sodass man beide kaum noch als "Volksparteien" und zusammen auch nicht länger als "große Koalition" bezeichnen kann. Daneben gibt es vier Parteien, die - plus minus drei Prozentpunkte - jeweils bei etwa zehn Prozent landen dürften.

Beide Entwicklungen, den Einzug Rechtsradikaler ins Parlament sowie die Aufsplitterung der Parteienlandschaft, haben die meisten Länder Europas schon vollzogen. Nationalisten und Fremdenfeinde sitzen längst im österreichischen Nationalrat, in der französischen Nationalversammlung, der italienischen Abgeordnetenkammer oder im polnischen Sejm. Für Deutschland mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit ist die Erfahrung freilich besonders bitter, dass rechts von der Union eine Partei im Reichstag Platz nehmen wird.

Dafür, dass es so weit gekommen ist, trägt maßgeblich Merkel die Verantwortung. Ihre größte Leistung der ablaufenden Legislaturperiode war, in der Nacht zum 5. September 2015 Menschlichkeit gezeigt und die Grenze nach Österreich geöffnet zu haben. Ihr größter Fehler: In den Monaten danach erweckte sie durch ständige Wiederholung ihrer Beschwörungsformel "Wir schaffen das" den Eindruck, sie wolle die Probleme zukleistern, die durch den Zuzug Hunderttausender Flüchtlinge entstanden sind. Das hat der AfD, die 2013 bei 4,7 Prozent lag, Wähler zugetrieben.

Merkels Kabinett hat einen beträchtlichen Teil seines Regierungsprogramms abgearbeitet.

Wenn man die vier Jahre der großen Koalition Revue passieren lässt, kommt leicht die Sehnsucht auf, diese möge nun zu Ende gehen. Nicht, weil die Deutschen mit ihr schlecht gefahren wären, im Gegenteil: Sie hat die Republik, mit Merkel als wahrer Außenministerin und den Neben-Außenministern Steinmeier und Gabriel, gut durch die Fährnisse der internationalen Politik geleitet (Trump, Krim, Iran, Brexit). Im Innern hat sie, um nur ein paar Beispiele zu nennen, den Mindestlohn und die Ehe für alle eingeführt sowie die Pflegeversicherung reformiert - bedeutende sozialpolitische und gesellschaftliche Veränderungen. Sie hat, mehrmals nacheinander, einen Haushalt ohne neue Schulden vorgelegt; das wäre früher undenkbar gewesen. Gleichzeitig leben viele Menschen, vor allem Kinder, im reichen Deutschland aber noch immer an oder unterhalb der Armutsgrenze.

Merkels Kabinett hat einen beträchtlichen Teil seines Regierungsprogramms abgearbeitet. Trotzdem wächst in der Bevölkerung Unbehagen über diese Koalition. Demokratie lebt davon, dass es eine starke Opposition und politischen Streit gibt. Nicht hasserfüllt, sondern als hartes Ringen in der Sache; das hat es jahrelang kaum gegeben. Erst seit diesem Frühjahr hat Martin Schulz den Streit gesucht.

Schulz, zu Jahresbeginn in aussichtsloser Lage als Merkels Herausforderer gestartet, hat den Wahlkampf engagierter geführt als seine Vorgänger Steinbrück und Steinmeier, wird dafür aber wohl nicht belohnt werden. Wenn seine Partei in vier Jahren bessere Aussichten haben will, würde es helfen, die SPD regierte bis 2021 nicht länger mit. Sollte es das Wahlergebnis zulassen, sollte also eine andere Koalition möglich sein als die große, zum Beispiel Jamaika, wird sich die SPD für die Opposition entscheiden müssen - so sehr führende Sozialdemokraten und Merkel es sich vielleicht anders wünschten.

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