Bundestag: Gesundheitsreform:"Sozial grob ungerecht"

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Die Koalition verabschiedet ihre umstrittene Gesundheitsreform. Als hätte sie es nicht nötig, sie den Bürgern zu erklären, schickt sie ihre schlechtesten Redner vor - und muss sich laute Kritik aus der Opposition gefallen lassen.

Thorsten Denkler, Berlin

Rolf Koschorrek sollte vielleicht nicht noch einmal versuchen, öffentlich die Gesundheitsreform der schwarz-gelben Koalition zu erklären. Koschorrek ist Obmann der CDU im Gesundheitsausschuss und heute Hauptredner seiner Fraktion in der Debatte um die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Mal spricht er von der "zukünftigen Zukunft", mal verheddert er sich im Detailgewirr der Reform so, dass sich selbst Fraktionskollegen fragend anschauen, um was es da jetzt eigentlich geht.

Entspannt verfolgt Gesundheitsminister Philipp Rösler im Bundestag die Abstimmung nach der Gesundheitsdebatte. Die Zustimmung erhielt das Vorhaben der Bundesregierung - allerdings musste sich Rösler viel Kritik von der Opposition anhören. (Foto: dpa)

"Transparenz", sagt Koschorrek, darum gehe es, wenn jetzt etwa die Kostenerstattung eingeführt werden, also, ähem, Transparenz. Für die, die das freiwillig wollen, Transparenz eben. Gefühlt ein Dutzend Mal wiederholt Koschorrek das Argument. Aus der Opposition stellt einer die Frage, ob er überhaupt verstanden habe, worüber er gerade spreche. Die Frage ist berechtigt. Der Mann ist Zahnarzt von Beruf. Hoffentlich ist er in der Lage, seinen Patienten wenigstens die Tücken einer Wurzelbehandlung besser zu erklären.

Es fällt den Koalitionären ohnehin schon schwer genug in dieser Schlussdebatte, die Gesundheitsreform den Bürgern im Land als gutes Werk zu verkaufen. Der Krankenkassenbeitrag wird von 14,9 auf 15,5 Prozent erhöht, die Kostensteigerungen übernehmen in Zukunft allein die Versicherten über eine Art Kopfpauschale. Zudem werden Privatversicherte gestärkt, was die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in Zukunft weiter erschweren wird.

Entsprechend spärlich ist an diesem Morgen die Regierungsbank besetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel fehlt, Vizekanzler Guido Westerwelle auch. Lediglich Verkehrsminister Peter Ramsauer und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (beide CSU) stehen Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) bei. Und das bei dieser "deutlichen Zäsur in der deutschen Gesundheitspolitik", wie Ulrike Flach herausstellt, die die Debatte für die FDP eröffnet.

Flach nennt immerhin beim Namen, was viele für eine pure Bösartigkeit der Koalition halten: "Wir schaffen den Einstieg in die strukturelle Umstellung auf eine einkommensunabhängige Finanzierung des Gesundheitssystems." Damit umschreibt sie galant die Kopfpauschale, von der Linken-Fraktionschef Gregor Gysi später sagt, dass die für Arbeitnehmer mit 1000 Euro genau so hoch sein werde wie für den mit 10.000 Euro Einkommen. "Sozial grob ungerecht", nennt Gysi das.

"Cheflobbyist der Hochverdiener"

Andrea Nahles, hochschwangere Generalsekretärin der SPD, nennt die Reform einen "ersten Schritt in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung". Es gehe der Koalition "nicht um die Reform des Systems. Sie wollen den Wechsel des Systems." Aus den Reihen von Union und FDP widerspricht niemand. Rösler sei der "Cheflobbyist der vier Prozent Hochverdiener, die noch treu zur FDP stehen".

Sie und andere Redner der Opposition arbeiten sich besonders am neuen Instrument der Kostenerstattung ab. Wer will - und es sich leisten kann -, kann künftig dem Arzt direkt das Geld für die Behandlung in die Hand drücken und es sich von seiner Kasse später zurückholen. Allerdings steht zu befürchten, dass die Kasse nicht die volle Höhe der Rechung begleicht.

Nahles und Gysi sehen darin die Einführung der Dreiklassenmedizin: Ganz oben die Privatversicherten. In der Mitte die gesetzlich Versicherten, die sich Vorkasse und höhere Preise beim Arzt leisten können und wollen. Ganz unten der schnöde gesetzlich Versicherte. "Wer schnell behandelt werden will, kriegt nur schnell einen Termin, wenn er das Geld auf den Tisch legt", prophezeit Nahles.

Debatte um Gesundheitsreform
:"Das ist mies"

Die Opposition wettert gegen die Reform der Kassenbeiträge, der Gesundheitsminister verteidigt sie als Ausweg aus der Planwirtschaft. Gregor Gysi erklärt, warum er für ein Einzelzimmer draufzahlen würde.

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Birgitt Bender, die für die Grünen spricht, reibt den Koalitionären unter die Nase, dass es auch in deren Reihen Unmut gibt über Teile der Reform. Vor allem Abgeordnete der CDU weisen in persönlichen Erklärungen darauf hin, dass Rentner womöglich selbst dann in den Genuss des geplanten Sozialausgleiches bekommen, wenn sie über ordentliche Zins- und Mieteinnahmen verfügen.

Der Grund: Zur Berechnung des Sozialausgleichs, mit dem der maximale Zusatzbeitrag (Kopfpauschale) auf zwei Prozent des Einkommens festgenagelt wird, werden nur sozialversicherungspflichtige Einkommen hinzugezogen. Bender ist sich sicher: "In 15 Jahren werden fast alle Versicherten Anspruch haben auf Sozialausgleich."

Rösler gegen "Planwirtschaft"

Philipp Rösler kann mit seiner Reform bei den Bürgern keinen Blumentopf gewinnen. Darum zeigt er sich wohl lieber "so ein bisschen enttäuscht", dass die Opposition ihre Vorstellung von einer Bürgerversicherung nicht detaillierter ausgebreitet habe.

Überzeugend dürfte er das Konzept aber auch dann nicht finden, wenn es ihm jemand auf 1000 Seiten ausgerechnet hätte. Es widerspricht seiner FDP-Natur. Bürgerversicherung, das ist für ihn Planwirtschaft. "Sie wollen noch stärker in den Sumpf der Planwirtschaft hinein. Die Bundesregierung will aus dem Sumpf hinaus."

Ansonsten belässt es der Minister bei Allgemeinplätzen, um seine Reform zu verteidigen: "Wir wollen es nicht zulassen, dass ständig bei steigenden Gesundheitskosten Gesundheit gegen Arbeit ausgespielt wird." Die Kopfpauschale sei somit "unser Beitrag für Wachstum und Beschäftigung". So kann man es auch sehen.

Gegen private Zusatzversicherungen übrigens hätte übrigens nicht mal Gysi etwas einzuwenden. Er würde sich damit im Zweifel ein Ein-Bett-Zimmer sichern, erklärt er und zeigt auf CDU-Fraktionschef Volker Kauder: Wenn er zufällig "mit ihm zusammen im Zimmer liegen würde, dann würde ich ja nie gesund werden".

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