Koalition in der Krise:Abwärts im Aufschwung

Lesezeit: 4 min

Während das Konjunkturbarometer deutlich nach oben zeigt, fällt die Popularität der schwarz-gelben Koalition ins Bodenlose. Wenn überhaupt, glänzt die Kanzlerin als Krisenmanagerin - eine Linie hat diese Koalition aber nicht.

Nico Fried

Selten verlaufen Aufschwung und Absturz so parallel: Volkswagen hat im ersten Halbjahr 16 Prozent mehr Autos in alle Welt verkauft. 16 Prozent - so hoch waren im selben Zeitraum andererseits die Verluste der schwarz-gelben Koalition in den Umfragen. Die Arbeitslosigkeit sinkt der Marke von drei Millionen entgegen. Auf dieselbe Zahl steigt aber früher oder später wohl auch die Zahl der abtrünnigen Unions-Wähler seit der Regierungsübernahme 2005. Der Chemiekonzern Bayer hat seinen Umsatz um zehn Prozent gesteigert, das ist in etwa derselbe Wert, um den Angela Merkels Popularität gesunken ist. Äpfel und Birnen, schon klar. Aber alles Obst.

Wenn niemand entschlossen den Pinsel führt: Die schwarz-gelbe Koalition kann vom guten Wirtschaftsklima nicht profitieren. (Foto: dpa)

Denn die Gegensätze ergeben in der Zusammenschau das Bild eines Landes, das sich im Eiltempo von der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten erholt - und gleichzeitig einen unvergleichlichen Absturz einer Regierung und den tiefsten Fall der Kanzlerin seit ihrer Amtsübernahme erlebt. Die naheliegende Erklärung wäre die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen: Demnach würde das Ansehen der Koalition den Wachstumsraten schon noch folgen, nur eben verzögert. Aber so einfach ist es nicht.

Später Erfolg von Schwarz-Rot

Das desaströse Bild der Koalition am Beginn dieser politischen Sommerpause ist das Ergebnis von Schwächen, Defiziten und Fehlern, die bis zum Ende der Sommerpause nicht unter der Sonne über der Uckermark oder anderen Urlaubsorten des Kabinetts verdunsten werden. Die Koalition hat nicht nur drei inkompatible Parteivorsitzende, sie hat daneben drei weitere große Probleme: Erstens ihre politische Bilanz nach neun Monaten im Amt. Zweitens ihre Unfähigkeit, einen positiven politischen Diskurs zu führen und sich den Menschen mitzuteilen. Drittens eine Kanzlerin, die Erfolge als Krisenmanagerin im politischen Tagesgeschäft nicht zu nutzen vermag.

Wie es aussieht, haben die Bürger zunächst einmal ein gutes Gespür dafür, dass der Teil an der wirtschaftlichen Erholung, den die Politik beanspruchen kann, vor allem in der großen Koalition von Union und SPD begründet liegt. Die erfreuliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit hat viel mit der teuren, aber offenbar wirksamen Überbrückung mit Hilfe der Kurzarbeit zu tun. Das war ein Projekt der schwarz-roten Regierung.

Eine schwarz-gelbe Idee war hingegen eine große Steuersenkung, um die so lange Wind gemacht wurde, bis sie abgeblasen war. Stattdessen steigen nun die Beiträge zu den Krankenkassen, und die in Aussicht gestellte Senkung der Rentenbeiträge fällt weg. Der Slogan "Mehr Netto vom Brutto" kann in der Abteilung Wahlbetrug abgelegt werden. Selbst die Kanzlerin hat jüngst eingeräumt, dass der Aufschwung vor allem dem Export zu verdanken ist. Eine starke Binnennachfrage gibt es in Deutschland nur nach schlüssiger Politik.

Nun war es zu Zeiten der großen Koalition nicht überraschend, dass eine Regierung unter Beteiligung der SPD sich schneller auf staatliche Eingriffe verständigte als dies von einer selbsternannten bürgerlichen Regierung zu erwarten ist. Der schwarz-rote Etatismus begann mit dem Gesundheitsfonds, reichte über die Verstaatlichung der Hypo Real Estate zur Renten-Garantie. Es gibt viele Argumente gegen diesen Kurs. Aber es war ein Kurs.

Union und FDP dagegen wollen zugleich das Gegenteil tun, aber das andere nicht lassen. Dieser innere Konflikt ist noch nicht ausgestanden, er fängt gerade erst richtig an: Wenn der liberale Wirtschaftsminister Rainer Brüderle erst gegen Merkels Willen Opel abblitzen lässt und dann die Renten-Garantie in Frage stellt, dann kann man das als Eskapaden eines politischen Tollpatsches abtun. In Wahrheit legt Brüderle den Finger in all die Wunden aus Zeiten der großen Koalition, die in der Union besonders schmerzen. Entsprechend schrill gellt dem FDP-Minister der Aufschrei aus CDU und CSU entgegen. Nach neun Monaten geht die Koalition eben nicht hierhin oder dorthin. Sie geht hierhin und dorthin - und auf halber Strecke streitet sie.

Aber gibt es wirklich Grund zur Klage, wenn sich die Wirtschaft nicht wegen, sondern sogar trotz dieser Regierung erholt? Nein, einen Grund gibt es nicht, aber viele Gründe. Die Bewertung einer Regierung bemisst sich eben nicht nur an ökonomischen Daten. Sie hängt auch an ihrer Überzeugungskraft. Daran fehlt es beim Sparpaket, dessen soziale Unausgewogenheit die Kanzlerin und die meisten Koalitionäre wider besseres Wissen ignorieren. Daran fehlt es bei den bisherigen Beschlüssen zur Gesundheitsreform, deren Dürftigkeit in einem bemerkenswerten Verhältnis zu den politischen Schlammschlachten steht, die ihnen vorausgingen. Schon jetzt ist zu befürchten, dass sich das Muster großer Streit und kleines Ergebnis auch bei einem Zukunftsthema wie der Energiepolitik wiederholen wird. Man traut dieser Koalition einfach nicht mehr zu, sich selbst so zu begeistern, dass sie womöglich sogar andere überzeugt. Sie traut es sich ja selbst nicht mehr zu.

Wie mangelhaft die Eignung dieser Regierung ist, einen schwierigen politischen Diskurs zu führen, wird freilich nirgends deutlicher als beim Thema Afghanistan. Es geht dabei weniger um die Frage, wie viel Deutschland mit den Nato-Partnern erreichen kann. Es geht darum, wie die Deutschen selbst ihren Einsatz definieren. Für ein Land mit dieser Vergangenheit ist das eine Identitätsfrage. Nach dem Bombenangriff von Kundus, bei dem auch Zivilisten ums Leben kamen, haben Merkel und ihre Regierung die Chance verpasst, diese Debatte wirklich zu führen. Bundespräsident Horst Köhler stolperte über eine Bemerkung zu Afghanistan. Doch nicht nur sein Satz war missverständlich - der ganze Einsatz wird immer mehr zu einem großen ungeklärten Missverständnis.

Abenteuerliche Perspektiven

Im jüngsten Aufruhr um Tausende Dokumente aus dem Afghanistan-Krieg sind nun all die Widersprüche wieder aufgebrochen - am gravierendsten der Widerspruch, dass es der Bundeswehr möglich sei, in einem Krieg sauber zu bleiben, der auch mit schmutzigen Mitteln geführt wird. Die Regierung laviert sich durch diese schwerste aller außenpolitischen Aufgaben und versucht, die Bürger mit einer abenteuerlichen Abzugsperspektive zu beruhigen.

Was sagt all dies über die Kanzlerin? Sie hat die Krisen der Finanzmärkte, der Wirtschaft und des Euro besser gemeistert, als es die begleitende Kritik vermuten ließ. Dabei haben ihr am Anfang die Sozialdemokraten geholfen, gute Nerven und vor allem bei der vorläufigen Rettung des Euro eine klare Position, die sie mit Härte gegen viele Widerstände durchgesetzt hat. Anders gesagt: Als Krisenmanagerin hat Merkel manches, was ihr im politischen Alltag fehlt. Da hat sie nur die FDP; da offenbart sie bisweilen eine gewisse Lustlosigkeit, sich zu erklären; da überspielt sie die Wirkung der politischen Einschläge und Ärgernisse in Koalition und Partei mit einer immer weniger glaubwürdigen Schnodderigkeit.

Man kann dem Land aber nicht immer neue Krisen wünschen, nur um eine gute Kanzlerin zu erleben.

© SZ vom 31.07./01.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Rainer Brüderle
:Minister Mittelmaß in Nöten

Die FDP erleidet ein totales Wahldebakel und erste Parteifreunde fordern Rainer Brüderles Abgang. Ein Überblick über eine Polit-Karriere, die bislang kein peinlicher Ausrutscher bremsen konnte.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: