Biografie:Albert Speer - Meister der Rechtfertigung

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Albert Speer stellt Hitler das Modell des Deutschen Hauses für die Weltausstellung in Paris 1937 vor. (Foto: SZ Photo Scherl)

Jahrzehntelang hielten Forscher an dem Bild fest, das Hitlers Architekt von sich selbst zeichnete. Eine neue Biografie räumt mit dem Mythos vom "guten Nazi" auf.

Buchkritik von Isabell Trommer

Fast 50 Jahre ist es her, seit Albert Speer aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis entlassen wurde. Kein anderer führender NS-Politiker kam so gut durch die Nachkriegszeit wie der einstige Generalbauinspektor und Rüstungsminister - als Erfolgsautor und Entlastungszeuge, als Technokrat und Büßer.

Seine "Erinnerungen" und seine "Tagebücher" verkauften sich enorm, der Spiegel, die BBC und der Playboy interviewten ihn, er wusste Einzelheiten über Hitler zu berichten und war zugleich das Alibi einer ganzen Nation. Als Täter wurde er jedenfalls nicht wahrgenommen. Erst nach seinem Tod 1981 erschien eine erste kritische Studie. Matthias Schmidt zeigte darin, wie Speer die "Entmietung" der Berliner Juden vorangetrieben hatte. Doch wer meint, der Knoten sei dann geplatzt, liegt falsch.

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Die drei Speer-Biografien der 1990er-Jahre - von Gitta Sereny, Dan Van der Vat und Joachim Fest - unterboten den Forschungsstand und hielten auf je unterschiedliche Weise an Rechtfertigungsmustern fest, die Speer selbst etabliert hatte. So blieb Speer der unpolitische Fachmann und verführte Künstler, der Büßer, der sich Hitlers Politik der "verbrannten Erde" widersetzt habe. Doch die Biografen hätten längst wissen können, dass Speer noch vor den Novemberpogromen 1938 die "Entmietung" der Berliner Juden geplant hatte. Auch über seine zinslosen Kredite an ein SS-Unternehmen hatten andere Forscher längst einiges herausgefunden.

Seitdem Heinrich Breloer in den Büchern zu seinem TV-Mehrteiler "Speer und Er" (2005) die zentralen Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte, ist es still geworden um den einstigen NS-Minister. Nun hat der britisch-kanadische Historiker Martin Kitchen mit seinem Buch "Speer: Hitler's Architect" einen neuen Versuch unternommen: Es ist nicht die große Biografie, in der alles gegen den Strich gebürstet wird, aber es ist das beste Buch zur Person, das derzeit zu haben ist.

Zwischen Opportunist und führendem Verbrecher

Kitchen hat die erste umfassende Biografie geschrieben, in der er entschieden mit dem Mythos von Speer als dem "guten Nazi" aufräumt und die Verbrechen nennt, die bisher bekannt sind. Er zeigt, wie Speer Millionen Reichsmark für die "Durchführung der Sonderbehandlung" in Auschwitz bereitstellte und Konzentrationslager mit initiierte, um an Baumaterialien zu kommen.

Auch die Beschreibung Speers als Technokrat, der nichts von der Judenvernichtung gewusst haben will, weist er zurück. Durch die Nachkriegszeit habe er sich mit vagen Schuldeingeständnissen laviert und sei der Entlastungszeuge einer ganzen Generation geworden. Kitchen wartet nicht mit neuen Thesen auf, hat keine Sensation aus den Archiven zutage gefördert, aber er hat seine Arbeit gut gemacht, seine Biografie entspricht dem Forschungsstand. Das ist mehr, als die deutsche Geschichtswissenschaft bisher zustande gebracht hat.

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Im Kern ist seine These: Speers Karriere sei relevant, weil er zur gebildeten, kultivierten Mittelklasse gehörte, die eine zentrale Rolle im Nationalsozialismus gespielt habe. Ohne Leute wie Speer sei das Regime nicht möglich gewesen. Im Krieg habe er sich als engagierter Parteigenosse gezeigt, danach habe er behauptet, an der Politik nicht interessiert gewesen zu sein.

Die Wahrheit, so Kitchen, liege irgendwo dazwischen. Speer sei im Unterschied zu vielen anderen kein Ideologe und nie mehr als ein "instinktiver Antisemit" gewesen. Aber er sei auch nicht indifferent gewesen. Und seine Kontakte zur Partei hätten seinen Aufstieg möglich gemacht. Hier zeigt sich ein Problem der Biografie, die manchmal ungenau ist. Einerseits nennt Kitchen Speer einen Opportunisten, andererseits einen führenden Verbrecher. So reaktiviert der Historiker die alte Dichotomie zwischen den "ideologischen" und den nicht ganz so überzeugten Nazis, die insbesondere Speer sich immer zunutze gemacht hatte. Es wäre endlich an der Zeit, Speer als politisch überzeugten Nationalsozialisten zu sehen.

Isabell Trommer ist Politikwissenschaftlerin. Im Juni erscheint ihr Buch "Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik" (Campus Verlag).

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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