Amtsübergabe im Außenministerium:Westerwelle ist gerührt, Steinmeier macht Außenpolitik

Amtsübergabe im Auswärtigen Amt

Rührseliger Abschied: Guido Westerwelle übergibt an den neuen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

(Foto: dpa)

Vor vier Jahren musste Steinmeier das Auswärtige Amt an Westerwelle übergeben. Jetzt bekommt er es von ihm zurück. Während sich Westerwelle mit großen Emotionen verabschiedet, stellt Steinmeier seine außenpolitischen Grundlinien auf. Und stichelt kaum überhörbar gegen seinen Vorgänger.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Er hätte längst zum Schluss kommen können. Nein, kommen müssen. Aber es ist eben Guido Westerwelle (FDP), der da oben steht vor dieser monströs großen, blauen Wand, mit der stilisierten Weltkarte, auf der sich die Kontinente wie geklont übereinander stapeln. Der Weltsaal, in dem Westerwelle an diesem Tag das Auswärtige Amt an Frank-Walter Steinmeier (SPD) übergibt, ist brechend voll. Mitarbeiter des Hauses stehen an den Seiten, in den Eingängen.

Sie wollen hören, was ihr neuer Dienstherr ihnen zu sagen hat. Er ist ein alter Bekannter. Steinmeier musste 2009 das Amt an Westerwelle übergeben. Und heute nimmt er es sich zurück von dem Mann, der lange gebraucht hat, bis er den Eindruck vermitteln konnte, Außenpolitik verstanden zu haben.

Westerwelle spricht über seine Gefühle

Westerwelle verliert an diesem Tag nicht nur sein Amt. Er hat auch kein Abgeordnetenmandat mehr. Seine FDP ist nicht mehr im Bundestag vertreten. Westerwelle wird anders als sein Vorbild Hans-Dietrich Genscher nicht als Außenminister in die Geschichte eingehen. Sondern als der Mann, der der FDP 2009 zu ihrem größten Sieg verholfen hat. Und sie dann in ihren tiefsten Abgrund geführt hat.

Westerwelle spricht am Tage seines endgültigen Abschieds aus der Politik vor allem über sich. Und seine Gefühle. Das Amt und seine Mitarbeiter seien ihm "ganz besonders ans Herz gewachsen". Er bedankt sich für den, aus seiner Sicht, "warmen Applaus". Der habe ihm gut getan.

Die Mitarbeiter lobt er nicht einmal, sondern gleich zweimal als "das Beste, was unsere öffentliche Verwaltung zu bieten hat". Er sagt: "Ich bin seit 20 Jahren im öffentlichen Leben." Darum wisse er, im Auswärtigen Dienst arbeiteten die "besten Mitarbeiter der Bundesregierung". Von einigen dieser Mitarbeiter ist bekannt, dass sie das von Westerwelle umgekehrt nicht behaupten würden.

Westerwelle redet kaum über Außenpolitik. Naja, doch. Ein paar Sätze zu Europa. Das Auswärtige Amt sei "der Hort der Stabilität, wenn es darum ging, sich gegen einen europafeindlichen Zeitgeist zu stellen". Europa sei ein derart fragiles Gebilde, "dass man es ganz schnell mit der Hacke der Kritik einreißen kann".

Schlappe Schluppen

Viel mehr sagt er zur Außenpolitik nicht. Lieber noch mehr Dank über die Mitarbeiter schütten. Dank etwa an die Technik, die helfe, dass er an den unmöglichsten Orten der Welt erreichbar geblieben sei. "Gestern Nacht lief James Bond im Fernsehen", sagt er. Und schüttelt den Kopf, als könnte er es gar nicht fassen. Er sucht die passenden Worte. Und findet diese: "Das sind alles schlappe Schluppen im Vergleich zu dem, was hier stattfindet."

Oder seine Sicherheitsleute. Wie nett die gewesen seien. "Wenn sie mit denen Tag und Nacht zu tun haben, dann ist es gut, wenn die nett sind", sagt Westerwelle. Heiterkeit im Weltsaal.

Für 15.45 Uhr war Steinmeiers Begrüßungsrede angesetzt. Jetzt ist es schon nach 16 Uhr. Westerwelle kann sich nur mit Mühe vom Pult lösen. "Jetzt muss ich aufhören, sonst trägt mich die Rührung davon", sagt er. Und: "Jetzt muss ich Danke sagen. "Ich sage Danke", sagt er. "Und auf Wiedersehen."

Dabei hat er so einen Blick in den Augen, als wäre sein Leben ein Kinofilm. Bald kommt Westerwelle reloaded. Oder Westerwelle Part Two. Oder einfach: Westerwelle II.

Der ehemalige Außenminister verlässt das Pult, geht zu seinem Platz hinunter, dreht sich um winkt, setzt sich, bevor der Applaus ohnehin abzusterben droht.

Versteckte Spitzen gegen den Vorgänger

Dann geht Frank-Walter Steinmeier ans Pult und beschreibt seine außenpolitischen Grundlinien. Der Applaus für ihn, den Mann, der hier schon einmal Hausherr war, klingt kräftiger, bestimmter. Ein bisschen so wie eine Befreiung. Steinmeier dankt Westerwelle ausdrücklich dafür, an der "Kultur der militärischen Zurückhaltung" festgehalten zu haben.

Ansonsten aber ist seine Rede von versteckten Spitzen gegen seinen Vorgänger durchsetzt. Viele dürften noch die Bilder von Westerwelle auf dem Tahrir-Platz in Kairo mitten im arabischen Frühling vor Augen haben. Die Kameras auf dem Tahrir-Platz, stichelt Steinmeier, seien jetzt abgebaut.

Er wolle jetzt jene Kräfte stützen, die für Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gekämpft hätten. Und zwar "nicht nur mit Worten und klugen Ratschlägen". Demokratie dürfe in Ägypten nicht den "Beigeschmack von Hunger und Chaos bekommen", sagt er. Europa müsse dafür Sorge tragen, dass die wirtschaftlichen Verbindungen nicht völlig erodierten.

Steinmeier rüffelt Westerwelle indirekt auch für seinen medienwirksamen Auftritt an der Seite der ukrainischen Opposition. Ja, es sei "empörend", wie die russische Politik die wirtschaftliche Notlage der Ukraine für sich nutze. Ebenso empörend sei die Gewalt ukrainischer Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten. Er rät aber den Europäern, sich auch an die eigene Nase zu fassen. Womöglich hätten sie die Zerrissenheit der Ukraine unterschätzt. Vielleicht sei das Land überfordert, wenn es sich zwischen Russland und Europa entscheiden müsse. Fragen, die sich Westerwelle zumindest nicht erkennbar gestellt hat.

Gegenprogramm zu Westerwelle

Er habe ja gar nichts gegen "klare Sprache und wortstarke Statements", sagt Steinmeier. Aber nur, wenn sie auf einer klugen Analyse gründeten. Wieder so ein Satz, den Westerwelle ohne weiteres auf sich beziehen kann.

Steinmeier fordert das Gegenprogramm zu Westerwelle: Genau hinsehen, Gründe und Entwicklungen von Konflikten nachverfolgen, Schuldige und Beschuldigte auseinanderhalten, Konfliktdynamiken eindämmen und Grundlagen für längerfristige Lösungen schaffen. Ganz nebenbei stellt der frisch vereidigte Außenminister die Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik in Frage. Außenpolitische Kontinuität, europäische Integration, transatlantische Partnerschaft, aktive Rolle in den Vereinten Nationen: All das könnten Diplomaten auch nachts um 2 Uhr noch herunterbeten. Wissendes Gemurmel im Weltsaal.

Aber: es gebe eine grassierende Europa-Entfremdung. Das transatlantische Verhältnis stehe nach Irak-Krieg, NSA-Affäre und Guantanamo "unter erheblichem Stress". Die großen Weltorganisationen befänden sich in einer Krise. Dem müsse auch das Auswärtige Amt, die deutschen Außenpolitik angepasst werden. Mit einer Neudefinition der Perspektiven deutscher Außenpolitik. Innerhalb eines Jahres will Steinmeier Ergebnisse vorlegen.

Westerwelle ist gerührt. Steinmeier macht Außenpolitik. Am Donnerstag schon reist er nach Polen. Er will dort über die verfahrene Lage in der Ukraine sprechen. Er sei sich nur sicher, dass das Angebot der Europäer zu schwach gewesen sei, sagt Steinmeier. Wie auf Zuruf kommen in dem Moment Eilmeldungen über die Nachrichtenagenturen, dass Russland der Ukraine mit einem Kredit von wahnwitzigen 15 Milliarden Dollar helfen will.

Eine Antwort habe er noch nicht, sagt Steinmeier. Aber er macht sich auf die Suche. Das ist es vielleicht, was manche hier im Weltsaal vermisst haben. Die Suche. Steinmeier bekommt viel Beifall.

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