Afghanistan: Kehrtwende von Guttenberg:"Das ging sehr schnell"

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Der Verteidigungsminister korrigiert sich: Das Bombardement nahe Kundus sei militärisch "nicht angemessen" gewesen. Wie die SPD fordert der Bundeswehrverband mehr Details - und sieht die Kanzlerin in der Pflicht.

Es war eine außergewöhnliche Debatte im Deutschen Bundestag: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat seine Bewertung des Luftschlags in Afghanistan korrigiert. Im Gegensatz zu seiner Stellungnahme von Anfang November bezeichnete der Minister das Bombardement auf einen Tanklastzug mit bis zu 142 Toten und Verletzten als "militärisch nicht angemessen". Ihm seien entscheidende Berichte der Bundeswehr zu zivilen Opfern und Verstößen gegen Einsatzregeln nicht bekannt gewesen, sagte Guttenberg.

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg während der Debatte im Bundestag. (Foto: Foto: ddp)

Zugleich stellte sich der 37-Jährige klar hinter den befehlsgebenden Oberst Georg Klein und betonte, dass er diesen "nicht fallenlassen" werde. "Ich zweifele nicht im Geringsten daran, dass er gehandelt hat, um seine Soldaten zu schützen", sagte der Minister.

SPD-Experte fordert mehr Details

Die Kehrtwende wird unterschiedlich bewertet: Für den SPD-Verteidigungsexperten Hans-Peter Bartels ist Guttenbergs Neubewertung des Luftangriffs jedoch unzureichend. "Das ging jetzt ja doch schnell", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Im Video:Die Zustimmung blieb etwa gleich groß wie vor einem Jahr. Über eine Erhöhung der Mandatsobergrenze von jetzt 4500 Soldaten soll erst im kommenden Jahr entschieden werden.

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Er fordert mehr Details: "Man fragt sich allerdings, welche Informationen er hatte, um zu dieser neuen Bewertung zu kommen." Guttenberg spreche "von neuen Papieren. Aber zu neuen Informationen hat er kein Wort gesagt."

Mit Blick auf den von Guttenberg entlassenen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und den ebenfalls entlassenen Staatssekretär Peter Wichert fügte er hinzu: "Für den Rauswurf des höchsten militärischen Beraters und des höchsten zivilen Beamten fehlt nach wie vor jede inhaltliche Begründung."

Der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat kritisierte den Minister ebenfalls. "Es genügt nicht zu sagen, das war militärisch angemessen oder unangemessen. Vom Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt erwarte ich, dass er das auch begründet."

Guttenberg habe "von sich selbst den Druck genommen", sagte Kujat. Er fügte mit Blick auf Klein hinzu: "Damit wird er weder dem Mann noch der Sache gerecht."

Kirsch: Merkel soll Thema zur Chefsache machen

Dies sieht der Bundeswehrverband jedoch anders: Guttenberg habe klargemacht, dass er zu Oberst Klein stehe und dass "Ungewissheit der Begleiter dieser militärischen Entscheidung sein musste", sagte Verbandschef Oberst Ulrich Kirsch der in Halle erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung. "Der entscheidende Punkt ist, dass Guttenberg sich klar zu Oberst Klein bekannt hat. Das ist die politische Größe, die wir auch brauchen."

Allerdings wurde Kirsch am Freitagmorgen präziser - und kritischer. Auch er forderte von Guttenberg eine Begründung für dessen Meinungsänderung. Wörtlich sagte er: "Wir alle können es nicht bewerten, weil wir die geheimen Unterlagen nicht kennen. Minister zu Guttenberg hat sie studiert und ist zu diesem Ergebnis gekommen. Die Begründung ist nachzuliefern. Das wird allemal der Untersuchungsausschuss tun." Der Verbandschef forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, das Thema zur Chefsache zu machen.

Neuer Bericht über Versäumnisse der Bundeswehr

Obwohl es vor dem Angriff auf zwei Tanklastwagen im afghanischen Kundus eine ganze Reihe von Versäumnissen im deutschen Feldlager gegeben habe, habe die örtliche Bundeswehrführung den Vorfall zunächst heruntergespielt, schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Demnach reagierte der Kommandeur des deutschen Isaf-Kontingents auf Fragen des Einsatzführungsstabs im Bundesverteidigungsministerium an das Einsatzführungskommando am 4. September mit einem Bericht, in dem er schrieb, die Fragen hätten sich "weitgehend erledigt".

Ein Brigadegeneral ergänzte dem Bericht zufolge: "Nach jetzigem Stand wird eine Weitergabe an den Einsatzführungsstab nicht empfohlen." Der Kommandeur war der direkte Vorgesetzte von Oberst Georg Klein, der den Befehl zum Angriff in den frühen Morgenstunden des 4. September gegeben hatte. In einem vertraulichen Untersuchungsbericht der Bundeswehr vom 9. September, der dem Blatt ebenso wie die erste Einschätzung des Generals vorliegt, werden dagegen zahlreiche Fehler benannt.

So heißt es, nicht geklärt sei, ob der befehlshabende Offizier ausreichend geprüft habe, dass "bei dem Bombenabwurf keine zivilen Verluste zu erwarten sind". Außerdem könne nicht mehr rekonstruiert werden, welche Soldaten zu der Entscheidung für den Angriff am 4. September beigetragen haben, zumal ein zuständiger Offizier nicht anwesend war.

Oberst Klein gelang es dem Bericht zufolge nicht, eine Verbindung zum operativen Koordinierungszentrum herzustellen, obwohl dieses Lagezentrum unweit seines eigenen Befehlsstandes lag. Nach dem Angriff hat es der örtliche Befehlshaber laut Bericht versäumt, relativ zeitnah zum Bombenabwurf die Gefechtslage erkunden zu lassen.

Opferanwalt begrüßt Kehrtwende

Der Bremer Anwalt der Angehörigen der Opfer des Bombenangriffs, Karim Popal, sieht durch die Neubewertung Guttenbergs bessere Chancen für seine Mandanten. Die Interessen der Angehörigen würden sich nun "mit Sicherheit besser durchsetzen lassen", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Was wir wünschen und wollen, ist, dass man die Wahrheit sagt; und mittlerweile sagt man die Wahrheit", so Popal.

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:Der inszenierte Minister

Bundesverteidigungsminister Guttenberg weiß, welche Bilder ankommen. Erst rückte er sich sich in Afghanistan ins rechte Bild. Nun ist Berlin wieder seine Bühne.

Wegen seiner Informationspolitik zu dem Luftschlag als damals zuständiger Verteidigungsminister war Franz Josef Jung (CDU) vorige Woche als Bundesarbeitsminister zurückgetreten. Am vergangenen Mittwoch hatte der Verteidigungsausschuss des Bundestags seine Umwandlung in einen Untersuchungsausschuss beschlossen, um die Affäre zu durchleuchten. Der Ausschuss soll sich am 16. Dezember konstituieren.

Minister Guttenberg bei der Verabschiedung von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert. (Foto: Foto: Getty Images)

Immer mehr Deutsche sehen Afghanistan-Einsatz kritisch

Eine neue Umfrage zeigt, dass eine wachsende Zahl von Bürgern den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan kritisch sieht. Laut ARD-Deutschlandtrend fordern 69 Prozent der Befragten, dass sich die Bundeswehr möglichst schnell aus Afghanistan zurückziehen soll. Im Vergleich zum September ist dies nach Angaben der ARD ein Plus von zwölf Punkten. Nur 27 Prozent sind der Meinung, die Bundeswehr solle weiterhin in Afghanistan stationiert bleiben.

Mit Blick auf die Affäre um das Bombardement zweier Tanklaster nahe Kundus im September haben drei Viertel der Befragten kein Vertrauen in die Informationspolitik der Bundesregierung. Nur 19 Prozent glauben, dass die zunächst nicht korrekte Information über den von der Bundeswehr angeforderten Luftschlag mit vielen Toten ein Einzelfall war und die Regierung sonst umfassend und ehrlich über den Bundeswehr-Einsatz informiert.

Die Umfrage von Infratest-Dimap im Auftrag der ARD wurden am Montag und Dienstag 1000 repräsentativ ausgewählte Bürger befragt.

Am Donnerstagabend hat der Bundestag mit der breiten Mehrheit von 445 der abgegebenen 593 Stimmen für die Verlängerung des Bundeswehrmandats zur Beteiligung an der Afghanistan-Schutztruppe Isaf gestimmt. Die Obergrenze von 4500 Soldaten wurde nicht verändert. Die Regierung will über eine mögliche Aufstockung des Truppenkontingents nicht vor der internationalen Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London entscheiden. Mit einer Erhöhung der Soldatenzahl müsste das Parlament neu befasst werden.

© sueddeutsche.de/Reuters/AFP/dpa/AP/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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