Abstimmung im Bundestag:Woran die Ehe für alle jetzt noch scheitern kann

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Am Freitag soll der Bundestag über die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare abstimmen.

(Foto: imago/photothek)

Am Freitag soll der Bundestag abstimmen. Kann die Union die Ehe für alle trotzdem noch verhindern? Und wie sicher ist eine Mehrheit? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Von Julia Ley

Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag das Wort von der "Gewissensentscheidung" fallenließ, als es um die Ehe für alle ging, ging alles sehr schnell: Am Dienstag erklärte die SPD, es werde noch in dieser Woche eine Abstimmung geben, am Mittwoch segnete der Rechtsausschuss des Bundestages die Sache ab, am Freitag sollen nun die Abgeordneten darüber entscheiden, ob die Ehe künftig auch gleichgeschlechtlichen Paare offenstehen wird. Nach Jahren des Stillstands könnte die rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren also noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden.

Über die Ehe für alle wird seit Jahren diskutiert. Warum stimmt der Bundestag erst jetzt darüber ab?

Im Bundestag streben Linke, Grüne und SPD die Gleichstellung von Schwulen und Lesben seit Jahren an, nur die Union war stets gegen eine Angleichung. Allerdings hatte sich die große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, zu diesem Thema bis zum Ende der Legislaturperiode keine neuen Beschlüsse zu fassen. Die SPD hat sich bis Anfang dieser Woche an die Abmachung gehalten.

Dass insbesondere die Linke und die Grünen sich immer wieder bemühten, die Ehe für alle zum Thema zu machen, zeigt die Grafik unten. Zusammen initiierten sie in den letzten elf Jahren 70 Vorgänge zum Thema, darunter Gesetzentwürfe, aber auch kleine Anfragen oder Befragungen der Bundesregierung. Im Bundestag liegen seit längerer Zeit insgesamt drei Gesetzesentwürfe vor, alle wurden bereits in erster Lesung diskutiert und versandeten später im Rechtsausschuss. Denn sobald sie dort ankamen, weigerte sich die Koalition beharrlich, sie auf die Tagesordnung des Ausschusses zu setzen. Allein eine Vorlage der Grünen wurde von der großen Koalition im Rechtsausschuss seit 2015 30 Mal blockiert.

Mit der Blockade ist es nun vorbei: Am Mittwochvormittag debattierte der Rechtsausschuss den seit 2015 vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrats. Die SPD stimmte - gegen ihren Koalitionspartner - mit Grünen und Linken dafür. Damit wurde eine Abstimmung im Plenum ermöglicht. Diese soll am Freitag stattfinden.

War Merkel die Tragweite ihrer Äußerungen klar?

Das ist unklar. In der SPD spekuliert man, sie könnten eine Art Betriebsunfall gewesen sein. Die Kanzlerin habe einfach laut darüber nachgedacht, die Fraktionsdisziplin aufzuheben. Ihr sei womöglich nicht bewusst gewesen, dass der Bundestag noch in dieser Woche entscheiden könne, bevor er am Freitag in die Sommerpause geht. SPD-Fraktionschef Oppermann sah darin eine Vorlage, die nicht ungenutzt bleiben könnte: "Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt. Und der Torwart ist nicht mal drin. Da muss man ihn reinmachen."

Wie stehen die Chancen, dass die Ehe für alle eine Mehrheit bekommt?

Nicht schlecht. Grüne, Linke und SPD unterstützen geschlossen die Ehe für alle. Mit insgesamt 320 Sitzen haben sie sogar eine absolute Mehrheit im Bundestag - allerdings nur mit zehn Sitzen. Die absolute Mehrheit ist allerdings gar nicht nötig. Eine einfache Mehrheit reicht, um das Gesetz zu verabschieden. Gefährlich könnte es nur werden, wenn die Union alle 309 Abgeordneten für die Abstimmung mobilisiert. Und aus den anderen Fraktionen Abgeordnete fehlen. Allein in der Fraktion der Grünen sind zwei Abgeordnete krank. Ein großes Thema wie die Ehe für alle könnte also auch an vermeintlichen Banalitäten wie einem Fieber scheitern.

Fraglich wäre dann aber immer noch, ob die Abgeordneten der Union geschlossen gegen die "Ehe für alle" stimmen würden. Seit Jahren gibt es Konservative, die argumentieren: "Wer die Ehe bejaht, bejaht konservative Werte" - egal, ob sie zwischen Mann und Frau geschlossen wird, oder zwei Partnern gleichen Geschlechts. Andererseits sind viele in der Union verärgert darüber, dass der Koalitionspartner nun auf den allerletzten Metern eine Einigung bricht, um sich damit im Wahlkampf zu profilieren.

Selbst Befürworter der Ehe für alle bei CDU und CSU könnten sich von wahltaktischen Bewegungen dazu hinreißen lassen, gegen die Öffnung zu stimmen: Da es eine namentliche Abstimmung geben soll, kann jeder Wähler nachprüfen, wie jeder Abgeordnete gestimmt hat. Manch einer wird sich hüten, ausgerechnet im Wahlkampf seine konservative Klientel zu verärgern. Bei der Abstimmung im Rechtsausschuss haben die Konservativen geschlossen gegen die Gesetzesvorlage gestimmt.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Bundestag soll am Freitagmorgen über die völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare bei der Ehe entscheiden. Auf den zeitlichen Ablauf habe man sich fraktionsübergreifend auch mit der Union im Ältestenrat verständigt, hieß es in der SPD-Fraktion. Demnach soll der Bundestag zunächst um acht Uhr darüber abstimmen, ob das Thema auf die Tagesordnung kommt. Dies können SPD, Grüne und Linke auch ohne die Union durchsetzen. Direkt anschließend seien eine 38 Minuten lange Debatte und eine namentliche Abstimmung über die Gesetzesvorlage aus dem Bundesrat zur Ehe für alle vereinbart.

Schafft es das Thema auf die Tagesordnung und stimmt der Bundestag der Gesetzesvorlage zu, würde das Gesetz bereits in der Woche darauf, am 7. Juli, zum zweiten Durchgang in den Bundesrat gehen. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass dieser zustimmt. Dann wäre das Gesetz beschlossen und müsste nur noch vom Bundespräsidenten unterschrieben werden.

Es wird danach noch vom Justizministerium formal verkündet. In Kraft tritt es dann "am ersten Tag des dritten auf die Verkündung folgenden Monats", heißt es in dem Gesetzentwurf. Wenn das Justizministerium es noch im Juli verkündigt, könnte es also schon zum 1. Oktober in Kraft treten. Lebenspartnerschaften können dann übrigens nicht mehr eingegangen werden.

Kann die Union die Öffnung der Ehe dann noch verhindern?

Sobald das Gesetz in Kraft tritt, bleibt den Konservativen eigentlich nur noch eine Möglichkeit: Sie könnten in Karlsruhe dagegen klagen. Einige der Abgeordneten haben bereits angekündigt, eben das tun zu wollen. Dabei hilft ihnen, dass eine Frage bisher nicht abschließend geklärt ist: Braucht es für die Öffnung der Ehe eine Verfassungsänderung?

Experten sind sich in dieser Frage uneins. Laut Artikel 6 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie "unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung". Dieser Schutz sei nicht unmittelbar auf gleichgeschlechtliche Paare übertragbar, argumentieren jene, die eine Grundgesetzänderung für nötig halten. Schließlich gelte die Ehe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Verbindung zwischen Mann und Frau. Sollte also tatsächlich eine Verfassungsänderung nötig werden, wird es für die Unterstützer der gleichgeschlechtlichen Ehe noch schwieriger: Denn eine Verfassungsänderung bedarf einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Ob sie die bekommen, wird auch davon abhängen, wie die Sitzverteilung nach der Wahl aussieht.

Doch zumindest die Verfasser des Bundesratsantrags halten eine Grundgesetzänderung nicht für notwendig. Sie sind der Ansicht, die Frage lasse sich durch eine Ergänzung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) regeln: im Paragrafen 1353 zur "ehelichen Lebensgemeinschaft". Dort müsse demnach klargestellt werden, dass auch gleichgeschlechtliche Personen eine Ehe eingehen können. Bundesjustizminister Heiko Maas zumindest, der der SPD angehört, hat bereits kundgetan, er halte eine Grundgesetzänderung nicht für zwingend.

Welche Chance haben die Konservativen, mit einer Klage in Karlsruhe durchzukommen?

Das Verfassungsgericht hat die Angleichung der Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts an die Ehe zwischen Mann und Frau zwar energisch betrieben, hält in seiner Rechtsprechung aber bis heute daran fest, dass zu den "wesentlichen Strukturprinzipien der Ehe" die Vereinigung von Mann und Frau gehört. Wenn Karlsruhe in der Vergangenheit im Sinne von Schwulen und Lesben geurteilt hat, dann unter Berufung auf das Diskriminierungsverbot. Und die Frage, wie Schwule und Lesben zu behandeln sind, ist eben nicht ganz dieselbe wie die Frage, wie der Begriff "Ehe" zu definieren ist. Letzteres dürfte auch unter den Richtern für einige Diskussion sorgen.

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