Prozess:Weggeworfen wie Müll

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Der Bundesgerichtshof hat das Urteil der Jugendstrafkammer aufgehoben, nun wird in Hamburg neu verhandelt. (Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Vor knapp zwei Jahren haben mehrere Jugendliche eine 14-Jährige gemeinschaftlich missbraucht, vergewaltigt und das Opfer später fast nackt in einem Hinterhof abgelegt.
  • In Hamburg wird der Prozess nun erneut verhandelt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
  • Die fünf Angeklagten waren im Oktober 2016 von einer anderen Strafkammer verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte die Urteile im Juli 2017 teilweise aufgehoben.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Bald zwei Jahre liegt jene schaurige Winternacht nun zurück, jetzt beginnt alles vor dem Hamburger Landgericht von Neuem. Wieder geht es um dieses 14-jährige Mädchen, das an einem eiskalten Morgen des 11. Februar 2016 schwer missbraucht und kaum bekleidet in einem Hinterhof des Stadtteils Harburg südlich der Elbe gefunden wurde.

Vier junge Männer hatten sich in einer Wohnung an ihm vergangen, eine 15-Jährige sah zu. Der Anlass: das Geburtstagsgelage eines 14-Jährigen. Als um 6.53 Uhr die Rettungskräfte eintrafen, weil ein Nachbar Schreie gehört hatte, betrug die Körpertemperatur des Opfers nur noch 35,4 Grad Celsius.

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Verfahren ist wieder aufgenommen worden

Im Saal 378 des Strafjustizgebäudes ist es an diesem Mittwochvormittag dagegen recht warm, es herrscht Gedränge. Allerhand Zuschauer und Reporter wollen zunächst dabei sein - Kamerateams werden mit Absperrungen vor der Tür 15 Meter auf Distanz gehalten. Außer einem jungen Erwachsenen sitzen vier Minderjährige auf der Anklagebank, daher der Andrang und der unübliche Zwangsabstand. Es handelt sich schon um den zweiten Versuch, in diesem Fall angemessen Recht zu sprechen, denn der erste Versuch gilt als misslungen.

Am 20. Oktober 2016 wurden die fünf Beschuldigten der Gruppenvergewaltigung bereits von einer anderen Jugendstrafkammer desselben Landgerichts verurteilt. Der heute 23-jährige Bosko P. sollte wegen schweren sexuellen Missbrauchs und Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung für vier Jahre in Haft; die Jugendstrafen der vier Mittäter im Alter von seinerzeit 14 bis 16 Jahren wurden zur Bewährung ausgesetzt. Bei Angehörigen oder Freunden löste das milde Urteil Jubel aus, der Clan war während des Verfahrens mit eigenwilligen Gesten aufgefallen. Bei anderen folgte ein Aufschrei der Empörung.

Zehntausende Menschen schlossen sich einer Online-Petition an und verlangten härtere Strafen. Hamburgs Staatsanwaltschaft, die Bewährungsstrafen von Anfang an abgelehnt hatte, legte derweil Revision ein - und versicherte, dass das mit dieser Unterschriftenliste nichts zu tun habe. Der Einspruch wirkte: Am 12. Juni 2017 hob der Bundesgerichtshof die umstrittene Entscheidung des Landgerichts auf. Schuldschwere und Strafmaß müssten zusammenpassen, hatte die Bundesanwaltschaft gemahnt. Also wird erneut verhandelt.

Sie filmten die Tat mit dem Handy

Was genau geschah vor 23 Monaten? Wie lässt sich dieses Verbrechen fair sühnen? Laut der Anklage war die 14-Jährige mit ihrer 15-jährigen Bekannten bei der Feier eines 14-Jährigen und wurde mit viel Alkohol gefügig gemacht, noch nach ihrer Bergung vor Sonnenaufgang war von 1,9 Promille im Blut die Rede gewesen. Der erste Geschlechtsverkehr mit einem 16-Jährigen soll noch einvernehmlich gewesen sein. Nachher hatte der 21-Jährige ungeschützten Geschlechtsverkehr mit der wehrlosen Betrunkenen. Sie erbrach sich mehrfach. Dann wurden ihr Flaschen vaginal eingeführt, was vier der Angeklagten mit ihren Mobiltelefonen filmten. Schließlich ließen sie das fast nackte, schreiende Opfer vor dem Haus zurück, bei knapp über null Grad.

Vor allem letztere Vergehen hatten die Richter der Hansestadt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht ernst genug genommen. So muss geprüft werden, ob die Aufnahmen mit den Smartphones auch für jugendpornografische Zwecke genützt werden konnten, was ein weiterer Strafbestand wäre. Zweitens soll genauer betrachtet werden, ob es nicht sogar akut lebensgefährdende Körperverletzung war, als die geschundene 14-Jährige draußen entsorgt wurde wie Müll. Sie war der Unterkühlung nahe. Auch bestand angesichts ihrer Trunkenheit die Gefahr, dass sie einschlief und Erbrochenes in die Lunge geriet.

Opfer tritt im Prozess als Zeugin auf

Diesmal soll die Geschädigte selbst vor Gericht auftreten. Sie ist Nebenklägerin und für den nächsten Termin dieser Verhandlung als Zeugin vorgesehen - beim ersten Durchgang vor 15 Monaten galt sie nach ihrem Wegzug aus Hamburg als unauffindbar. Allerdings wird kein Unbeteiligter diese und andere Aussagen erleben. Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring schließt Berichterstatter und Publikum nach kurzer Beratung rasch wieder aus. Das Jugendstrafrecht ist ein sensibles Feld, auch der einzige Erwachsene unter den fünf Angeklagten fällt in dieser Sache unter diese Kategorie.

Der Schutz der Jugendlichen und ihrer Erziehung habe Vorrang vor dem öffentlichen Interesse, erläutert Meier-Göring resolut. Es gehe um sehr persönliche Lebensbereiche wie Sexualverhalten und sexuelle Selbstbestimmung. Bloßstellung und Stigmatisierung sollten gerade im Pubertätsalter vermieden werden. Auch wollen die Richter "die persönliche und familiäre Entwicklung der vergangenen Jahre" einbeziehen. Anne Meier-Göring verweist gleich mehrfach darauf, dass "die bloße Sensation" nicht im Vordergrund stehen dürfe, was jedoch etwas penetrant nach Medienschelte klingt.

Fünf Sitzungen hat die Große Strafkammer 17 angesetzt. Vor dem abgeschotteten Saal 378 murmelt ein Freund der Angeklagten: "Es war der größte Fehler ihres Lebens. Sie hatten nur Scheiß im Kopf. Aber sie haben sich geändert." Ein neues Urteil wird voraussichtlich am 25. Januar gesprochen. Dann mit oder vielleicht auch ohne Zuschauer und Journalisten.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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