Dietramszell:Einen Anstoß geben

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Georg Peiß berät Kunden in seinem Wohnzimmer. Mit seiner Tochter Claudia demonstriert er, wie er dabei auch Hilfsmittel wie Pendel einsetzt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Georg Peiß hat der Genossenschaftsbank Adieu gesagt und arbeitet nun als Mentaltrainer. Einmal pro Woche berät er Menschen bei Entscheidungen. Geld nimmt er dafür nicht.

Von Benjamin Engel, Dietramszell

Von der Terrasse blickt Georg Peiß in seinen Garten. Die Sonne taucht das zarte Frühlingsgrün in frische Farben. Kaum Geräusche sind zu hören. Der 58-Jährige scheint die Ruhe zu genießen. Ein zufriedenes Lächeln liegt auf seinen Lippen, während er sich in seinem Terrassenstuhl zurücklehnt. Er zieht an seiner Pfeife. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenbank Tölzer Land fühlt sich entspannt und befreit. "Ich bin jetzt drei Monate daheim. Ich kann mir nicht mehr vorstellen ins Büro zu gehen", sagt er.

Die Folgen der Finanzkrise brachten ihn zum Umdenken

Zum Jahreswechsel ist Peiß in den vorgezogenen Ruhestand gegangen. Nun ist er als Mentaltrainer aktiv, gibt Menschen Anstöße, um besser mit belastenden Situationen umzugehen oder sich zu verändern. Doch was hat den schlanken und sportlichen Dietramszeller dazu gebracht, sein berufliches Leben aufzugeben und auch finanzielle Einbußen hinzunehmen? Schließlich bestimmte die Raiffeisenbank fast sein ganzes Leben. Vor 42 Jahren begann Peiß die Lehre zum Bankkaufmann bei der Raiffeisenbank Dietramszell. Dort wurde er 1989 Vorstandsmitglied, machte in den Folgejahren zahlreiche Fusionen mit. Die Regulierungen im Bankensektor in Folge der Finanzkrise von 2008 brachten ihn zum Umdenken. "Ich konnte die Dinge nicht mehr so entwickeln, wie ich mir das als Vorstand einer Bank vorstelle", erklärt er.

Peiß sah sich als bloßer Erfüllungsgehilfe von Ministerien und Gesetzgebern mit ihren Verordnungen und Gesetzen. Dadurch sei eine grundsätzliche Kultur des Misstrauens entstanden. Kaum etwas sei aber für die Raiffeisenbank wichtiger als Vertrauen. Schließlich seien die Genossenschaftsbanken regional tätig. Enge persönliche Kontakte prägten den Beruf.

Zu Beginn des Vorjahres war für Peiß klar: So konnte und wollte er nicht weitermachen. Noch neben der Arbeit ließ er sich an den Wochenenden bei Mentaltrainer Thomas Baschab ausbilden. Schon als Vorstandsmitglied der Raiffeisenbank habe er sich viel mit Psychologie beschäftigt und damit, Menschen zu führen, sagt Peiß. Das habe ihm immer Spaß gemacht.

Seine Klienten empfängt Peiß im Wohnzimmer, Geld verlangt er nicht

Die Geldeinbußen für sein früheres Ausscheiden nahm er gerne in Kauf. Er habe genug, sagt er. Die Kinder seien erwachsen. Doch nur Freizeit haben wollte er nicht. "Ich habe so viel Glück im Leben gehabt, dass ich den Menschen etwas zurückgeben möchte." Ein kommerzieller Vollzeitjob soll die Arbeit als Mentaltrainer dennoch nicht werden. Deshalb berät Peiß Menschen nur einmal pro Woche. Er hat weder eine Praxis, Büroräume noch eine Internetseite eingerichtet. Mit seinen Klienten spricht er in der Küche oder im Wohnzimmer. Geld verlangt er dafür nicht. Er empfehle seinen Klienten lieber für gemeinnützige Zwecke zu spenden.

Mit den Menschen, die ihn um Rat bitten, erarbeitet Peiß Methoden und Techniken, wie sie mit Krisensituationen besser umgehen oder Entscheidungen treffen können. Wer sich beispielsweise in einer belastenden Situation ein Ereignis absoluten Glücks in Erinnerung rufe, finde oft die Kraft, einer Sache wieder positiv gegenüberzustehen. Auch das Unterbewusstsein spiele eine große Rolle. Der Mensch bestehe zu etwa 70 Prozent aus Flüssigkeiten. Es sei erwiesen, dass Worte oder Bilder diese in Schwingungen versetzten und beeinflussten. Wer sein Unterbewusstsein kenne, könne seine Entscheidungen besser verstehen. Und das ist für Peiß wichtig.

Seine Frau hat vor ihm gemerkt, dass etwas nicht mehr stimmte

Denn im Leben gehe es darum, Entscheidungen zu treffen. Seine Rolle sieht Peiß darin, den Menschen zu helfen den ersten Schritt zu tun, etwa wenn sie sich beruflich verändern wollten. Viele Menschen schwimmen seiner Ansicht nach im Leben irgendwo in der Mitte. "Energie kommt so nicht ins Fließen." Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihm und seinen Klienten solle sich nicht entwickeln.

Aufgewachsen ist Peiß in Dietramszell. Dort hat sich sein späterer Berufsweg durch das Wetter entschieden. Denn eigentlich wollte er Polizist werden genauso wie sein Freund aus dem Ort. Die Aufnahmeprüfung hatten sie bereits, mussten noch zum Sporttest nach München. Doch an dem Tag sei das Wetter sehr schön gewesen, erzählt Peiß. "Da haben wir das sausen lassen und sind zum Baden."

Daraufhin sprach ihn sein Onkel an. Er war ehrenamtlicher Vorstand der Dietramszeller Raiffeisenbank und suchte einen Lehrling. Das fand Peiß ungeheuer praktisch. Schließlich war der Arbeitsplatz nur rund 50 Meter von zu Hause entfernt und mittags konnte er bei seiner Mutter essen. Doch er wollte auch Karriere machen, besuchte unter anderem die Akademie der Genossenschaften in Montabaur und stieg auf. Der Beruf habe ihm immer Spaß gemacht bis auf die Jahre nach der Finanzkrise, sagt er. Seine Frau habe das vor ihm gemerkt - er habe nur noch geschimpft.

Nun hat Peiß den Spaß zurückgewonnen. Er fühlt sich wieder so, wie er ganz früher war. Seine Frau und er haben sich vorgenommen, einmal im Monat etwas zu tun, was sie sonst nicht machen. Unlängst fuhren sie zum American Football nach Bad Tölz. "Das war spannend."

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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