Denkmal in Berg:Das Kreuz mit dem König

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Bis heute pilgern Menschen an den Starnberger See, um an Ludwig II. zu erinnern. Aufgestellt wurde das Denkmal, als es mit der bayerischen Monarchie zu Ende ging.

Von Astrid Becker, Starnberg/Berg

Wenn am 13. Juni, wie jedes Jahr, an die tausend Menschen nach Berg pilgern, um am Todestag Ludwigs II. des früheren bayerischen Königs zu gedenken, wird wieder vieles zur Sprache kommen. Die Mordtheorie, deren schärfste Verfechter die Guglmänner sind; die Frage, ob eine Monarchie für den Freistaat nicht doch das bessere Herrschaftssystem wäre; ob Prinzregent Luitpold einst womöglich selbst scharf auf die Krone war; und ob nicht heute eigentlich der Chef der Kaltenberg-Brauerei, Luitpold Prinz von Bayern, ein Anrecht auf den Thron hätte. Natürlich wird es auch um bayerisches Brauchtum gehen und um die Faszination, die der Märchenkönig wegen seiner Schlösser und seines rätselhaften Todes noch heute weltweit weckt.

Um eines wird es an diesem 13. Juni aber wohl kaum gehen - um die Zeit, in der das Kreuz aufgestellt wurde, die einen Wendepunkt in der Geschichte Europas, aber auch Bayerns markierte.

Es ist hundert Jahre her, dass ein paar Männer den Weg von einem Sägewerk in Hohenschäftlarn zum Ostufer des Starnberger Sees auf sich nehmen. Es ist eine kalte Novembernacht 1918 oder 1919, da scheiden sich die Angaben in den Quellen. Schwere Eichenstämme schleppen die Männer mit sich, die als Fundament für ein gusseisernes Kreuz dienen sollen, das sie dort im See, unweit der Todesstelle Ludwigs II., errichten wollen. Die Männer gehören zur Vereinigung "König Ludwig II. - Deine Treuen", die sich 1913 gegründet hat und der auch heute noch die Pflege des Kreuzes sowie die Organisation der Gedenkfeiern am Starnberger See für den Wittelsbacher Monarchen obliegen.

Ihr Gründer, der Münchner Schuhmachermeister Johann Streb, hatte schon 1913 ein erstes, recht kleines Kreuz dort aufgestellt, das von seinem Elterngrab am Münchner Ostfriedhof gestammt haben soll. Streb war offenbar kein Unbekannter im Hause Wittelsbach: 1912 soll er bereits vom Prinzregenten Luitpold für seine Verdienste belobigt worden sein, kurz vor dessen Tod. 1918 zeichnet dann auch König Ludwig III. Streb für "Verdienste um die Heimatpflege" aus.

Zu diesen Verdiensten gehört sicherlich auch das Gedenkkreuz im Starnberger See, das damals wohl nicht nur als Hommage an ein bedeutendes Familienmitglied der Wittelsbacher aufgestellt wird. Vielmehr besitzt es enorme Symbolkraft - man kann es als Versuch einer Art Gegenrevolution verstehen, als ein Wehren gegen die politischen, gesellschaftlichen Umwälzungen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg, ausgehend vom Deutschen Kaiserreich, auch im Königreich Bayern begonnen haben.

Jahrhundert-Themen im Münchner Umland. SZ-Serie. (Foto: N/A)

Sehr gegensätzliche Kräfte prallen zu dieser Zeit aufeinander: Da sind die einen, die auf Biegen und Brechen an der konstitutionellen Monarchie festhalten wollen und die mit Sorge auf die anderen blicken, den erstarkenden Parlamentarismus im Königreich.

Der Landtag in Bayern besteht in den Jahren 1912 bis 1918 aus zwei Kammern. Die der Reichsräte wird nicht vom Volk gewählt, sondern setzt sich zusammen aus volljährigen Prinzen, zwei Kronenwürdenträgern, zwei Erzbischöfen, den Oberhäuptern der 18 mediatisierten Adelshäuser, 29 weiteren Erb-Mitgliedern, einem von der Krone ernannten katholischen Bischof, dem Präsidenten des protestantischen Oberkonsistoriums sowie zu maximal einem Drittel aus von der Krone auf Lebenszeit ernannten Personen. In der Kammer der Abgeordneten bilden die Sozialdemokraten die zweitstärkste Fraktion hinter der wertekonservativen, katholisch orientierten Bayerischen Zentrumspartei. Schließen die unterschiedlichen Ausrichtungen im Landtag bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 anfangs noch eine Art Burgfrieden, wird dieser im Lauf der Zeit immer brüchiger. Der Landtag verliert mehr und mehr an Bedeutung zugunsten der eher parlamentarischen geprägten preußischen Reichspolitik.

Sicherlich, eine Mehrheit in der damals recht ländlich-konservativen Bevölkerung am Starnberger See begegnet diesen Entwicklungen mit tiefem Misstrauen. Ihr dürfte das Kreuz im See gefallen haben, verleiht es doch dem Bedürfnis nach Stabilität der Verhältnisse Ausdruck. Doch die Menschen sehnen sich auch hier am Ende des Weltkriegs nach Frieden - beeinflusst wird die Stimmung auch von der schlechten Lebensmittelversorgungslage, von den vielen Toten und einer Materialschlacht, die einfach nicht zu gewinnen ist.

Ein Beispiel für die Not an Rohstoffen ist die Kampagne des Roten Kreuzes, die in Starnberg und Umgebung am 12./13. Januar 1918 veröffentlicht wird und in den Inninger Geschichtsblättern von 2015 nachzulesen ist: "Sammelt ausgekämmtes Frauenhaar". Der Grund: Die Industrie brauchte dieses für Treibriemen. Wenige Tage später folgt eine Aufforderung, Brennnesseln zu sammeln. Die Pflanze, so heißt es am 21. Januar 1918, komme der Baumwolle am nächsten, deren Zufuhr wegen der Kriegserklärung Amerikas abgeschnitten sei: "Wir Deutschen müssen unseren Stolz dareinsetzen, genügend Nesselfasermengen herbeizuschaffen, denn, genau so wenig uns der Engländer auszuhungern vermochte, darf uns der Amerikaner mit Gespinstfasern kaltstellen."

Zu dieser Zeit hatte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson bereits seinen 14-Punkte-Friedensplan vorgelegt, der unter anderem eine Umgestaltung der politischen Verhältnisse im Deutschen Reich verlangte. Gegen den Frieden hätte wohl auch in Bayern kaum jemand etwas eingewandt, nur nicht um jeden Preis. Denn für den Krieg und den Kriegsverlauf wird die Monarchie verantwortlich gemacht, die man mehr und mehr für entbehrlich hält. Im November 1918 kommt es daher zur Revolution. König Ludwig III. flieht in der Nacht vom 7. auf den 8. November aus München an den Chiemsee und dann weiter nach Anif bei Salzburg. Fünf Tage nach seinem Aufbruch entbindet er dort die bayerischen Beamten, Offiziere und Soldaten von dem auf ihn geleisteten Treueeid. Obwohl er weder abdankt noch auf den Thron verzichtet, markiert dieser Schritt das Ende der Monarchie in Bayern.

Unter den Königstreuen vertreten die Guglmänner am schärfsten die Mordtheorie. Immer wieder – wie hier 1999 – sorgen sie mit ihren Aktionen für mediale Aufmerksamkeit. (Foto: DPA)

Wenige Tage später warnt der Land- und Seebote, das einzige Presseorgan dieser Zeit in Starnberg, "dass nicht der gewalttätige Terror der deutschen Bolschewisten die Oberhand" gewinnen dürfe. Der Monarchie trauert die Heimatzeitung nicht nach, dennoch äußert sie "Mitgefühl für den greisen Fürsten". Das ist insofern bemerkenswert, weil der Land- und Seebote viele Jahre das amtliche Organ des Königlichen Amtsgerichts Starnberg und damit auch den Wittelsbachern verpflichtet war. Das Blatt, für das der Friedinger Heimatdichter Georg Queri schreibt und es auch leitet, unterstützt fortan mehr oder weniger die katholisch geprägte Bayerische Volkspartei (BVP) - und wird im November 1918 trotzdem unfreiwillig, per Beschluss, zum Veröffentlichungsorgan des Starnberger Arbeiter- und Bauernrats. Queri selbst wird Sozialdemokrat und arbeitet sogar kurzzeitig im Starnberger Arbeiterrat mit. Am 1. und 2. März 1919 fordert er in einem großen Artikel die Bevölkerung auf: "Seid Republikaner!" Die Ausrufung der Räterepublik, die auch in Starnberg zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führt, enttäuscht ihn aber. Er tritt aus der Partei aus und stirbt noch im selben Jahr im Alter von 40 Jahren an den Folgen eines jahrelangen Leidens.

Queri bekommt nicht mehr mit, dass die Königstreuen in den Zwanzigerjahren ein neues Kreuz im See aufstellen - als Ausdruck bayerischen und monarchischen Souveränitätsstrebens. Zum 75. Todestag Ludwigs II. wird es 1961 erneuert. Doch 25 Jahre später, am Morgen des 19. April 1986, wird es plötzlich ans Ufer geschwemmt. Es war in der Nacht zuvor abgesägt worden. Die Nachricht geht durch die Weltpresse. Der oder die Täter sind bis heute nicht ermittelt.

Längst ragt wieder ein Kreuz aus dem See - und ist eine der touristischen Hauptattraktionen in dieser Gegend.

In der neunten Folge geht es am Freitag um Kurt Eisner, den ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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