Starnberg:"Wahnsinnig belastend"

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Den 73-jährige Mann, der von drei Polizisten auf der Starnberger Wache erschossen worden ist, wurde von sieben bis acht Kugeln getroffen. Zu den Schützen zählte offenbar auch Inspektionsleiter Norbert Reller.

Christian Deussing und Sabine Bader

Eingang zur Polizei-Inspektion Starnberg Polizei-Inspektion Eingang zur Polizeidienststelle in Starnberg Vorraum (Foto: STA Franz X. Fuchs)

Starnberg Der 73-jährige Mann, der am Freitag mit einem langen Küchenmesser auf Polizisten losgegangen ist und dabei in der Starnberger Wache erschossen wurde, litt offenbar unter Verfolgungswahn. Der Rentner soll öfter schon aggressiv aufgetreten und auch mit einer Machete in Starnberg herumgelaufen sein. Nach SZ-Informationen wurde Heinrich W. von sieben bis acht Kugeln getroffen, die die drei Polizisten abfeuerten, weil das Pfefferspray bei dem tobenden Angreifer keine Wirkung zeigte. Geschossen wurde auch auf die Beine des psychisch kranken Starnbergers. Polizeichef Norbert Reller soll die Seitentür zum Gang der Inspektion als Erster geöffnet haben. Zuvor soll er den Mann mehrfach vergebens aufgefordert haben, sein Messer fallen zu lassen. Dann fielen die Schüsse.

Es habe eine "Bedrohungssituation" bestanden, sagte Hans-Peter Kammerer, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. Der Fall sei seines Wissens einzigartig in Bayern. Eingeschaltet ist das Landeskriminalamt (LKA), das nun den Tatablauf akribisch rekonstruieren soll. Dabei müssen die Ermittler klären, ob die Beamten sich richtig verhalten und tatsächlich in Notwehr gehandelt haben. Der Tatort ist bereits mit einer 3-D-Kamera abgescannt worden. Zudem wurde die Leiche des 73-Jährigen obduziert; das Ergebnis teilt die Staatsanwaltschaft München II am heutigen Montag mit.

Nach bisherigen Erkenntnissen hatten Polizisten am Freitag gegen 14 Uhr hinter ihrem Panzerglas bemerkt, dass der 73-jährige Heinrich W. den Vorraum mit einem Messer in der Hand betreten hatte. Um zu verhindern, dass er wieder auf die Straße läuft oder andere Leute im Vorraum auf ihn treffen, sollte der Starnberger im Polizeirevier festgehalten werden. Die Beamten standen deshalb unter Druck und mussten schnell eine Lösung finden - die für den Mann jedoch tödlich endete. Zuvor konnte ein Besucher der Wache, der gerade den Gang betreten wollte, noch in ein Zimmer gezogen werden.

Zum Ablauf des Geschehens dürfe er sich nicht äußern, hatte Inspektionsleiter Reller auf Anfrage wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen auf den Rentner gesagt. Der 64-jährige Polizeichef leitet die Starnberger Dienststelle seit zehn Jahren. Reller ist der älteste Inspektionschef in Oberbayern. Er wurde mit der Bayerischen Rettungsmedaille ausgezeichnet, nachdem er vor drei Jahren in Tutzing einen suizidalen Bauarbeiter zu Boden geworfen hatte. Der Mann hatte sich auf einer Tankstelle mit Benzin übergossen und wollte sich selbst in Brand stecken. Zu Rellers Erfolgen gehört auch die Festnahme des sogenannten "Besenstiel-Bankräubers" 1998 in Percha, auf dessen Konto eine ganze Serie von Bankenüberfällen gegangen war.

Der Starnberger Landrat Karl Roth war vor seiner politischen Karriere selbst Polizist und viele Jahre bei der Kriminalpolizei tätig gewesen. Er beschreibt den Starnberger Inspektionsleiter als einen "sehr verdienstvollen Polizeibeamten mit Leib und Seele". Die Wache sei Rellers "Heimat". In wenigen Monaten geht der 64-Jährige in den Ruhestand. Eine solche Situation kurz vor der Pensionierung erleben zu müssen, sei für Reller sicher "wahnsinnig belastend", glaubt Roth.

Der Tote war in seinem Starnberger Wohnviertel kein Unbekannter. Die Nachbarn beschreiben ihn übereinstimmend als einen zurückgezogenen und etwas eigentümlich wirkenden Menschen. Er soll längere Zeit in Kliniken verbracht haben, erzählt eine Nachbarin. Eine andere, die Heinrich W. bereits als Kind gekannt hat, kann sich an einen Vorfall erinnern, der schon etliche Jahre zurückliegt. "Da rief der Heini aus: Jetzt geh' ich nach Starnberg und stech' jemanden ab", berichtet sie. Der 73-Jährige hatte zuletzt allein in seinem kleinen Häuschen im Norden der Stadt gelebt. Er stand unter Betreuung. Seine Mutter war bereits vor vielen Jahren gestorben, eine Ehefrau und Kinder hatte er nie gehabt.

© SZ vom 10.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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