Stadtwerke:So teuer wird die Abschaltung des Kohlekraftwerks

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In Block 2 des Heizkraftwerks Nord wird Kohle verfeuert. Den Brennstoff liefern im Schnitt ein bis zwei Züge pro Tag an. Noch. Denn die Münchner haben beschlossen, den Block bis Ende 2022 stillzulegen. (Foto: Florian Peljak)
  • Die vorzeitige Abschaltung des Kohlekraftwerks im Münchner Norden kostet die Stadtwerke mindestens 217 Millionen Euro.
  • Im schlimmsten Fall könnten die Kosten auf 358 Millionen Euro steigen.
  • Auch der Zeitrahmen bis 2022 könnte noch zum Problem werden.

Von Dominik Hutter

Ihr Kohlekraftwerk im Münchner Norden vorzeitig stillzulegen, kostet die Stadtwerke zwischen 217 und 279 Millionen Euro. Dazu kommen, sollten interimsweise kleine Heizwerke in den Stadtvierteln errichtet werden, die Kosten für den Kauf geeigneter Grundstücke. Das haben neue Berechnungen der Stadtwerke ergeben, die am Dienstag dem Stadtrat vorgestellt werden. Um den wirtschaftlichen Schaden möglichst gering zu halten, will das kommunale Unternehmen zunächst nicht das komplette Fernwärmenetz auf Heißwasser umstellen, sondern eine Art Dampfnetz-Insel in der östlichen Innenstadt weiterbetreiben. Deren Versorgung sollen vorerst das mit Gas betriebene Kraftwerk Süd sowie die beiden Müllblöcke im Kraftwerk Nord übernehmen - die Temperaturen der umweltfreundlichen Geothermie reichen für ein Dampfnetz nicht aus.

Im November hatten die Münchner per Bürgerentscheid beschlossen, der Kohleblock müsse bis Ende 2022 abgeschaltet werden - das legen die Stadtwerke ihren Szenarien zugrunde. Für die dann entstehende Lücke bei der Fernwärmeversorgung, daran besteht für die Experten kein Zweifel, werden Ersatz-Kapazitäten benötigt: entweder mehrere provisorische Heizwerke oder aber eine neue Gasanlage auf dem angestammten Kraftwerks-Areal in Unterföhring.

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Der Neubau in Unterföhring, in dem auch Strom erzeugt würde, wäre für die Stadtwerke die günstigste Variante; der Schaden durch die vorzeitige Stilllegung des Kohleblocks betrüge nach ihren Berechnungen dann 217 Millionen Euro. Allerdings gilt dies nur, wenn das neue Kraftwerk spätestens Ende 2022 in Betrieb geht. Können die Gasturbinen erst zu einem späteren Termin anlaufen, verlören die Stadtwerke den kompletten Förderbeitrag durch das dann auslaufende Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz - und der Schaden erhöhte sich auf rund 358 Millionen Euro. Dies wäre für das städtische Unternehmen das Worst-Case-Szenario. Komplett unwahrscheinlich ist es nicht: Denn es gilt als äußerst ehrgeizig, in dem kurzen Zeitraum bis Ende 2022 ein komplett neues Gaskraftwerk zu planen und zu bauen. Gespräche mit der Gemeinde Unterföhring gibt es bereits.

Auch das Szenario Heizwerke, die nur Wärme, aber keinen Strom liefern, ist nicht unproblematisch. Seit die Stadtwerke elf Standorte in den Stadtvierteln vorgeschlagen haben, stehen Anwohner und Bezirksausschüsse auf den Barrikaden. Benötigt werden fünf bis sieben Gasanlagen, die Fernwärme ins Netz einspeisen, bis die Umstellung auf Geothermie vollzogen ist. Bis Ende 2022, davon sind die Stadtwerke überzeugt, ist das nicht möglich, da bislang nicht ausreichend Heißwasserwellen erschlossen sind und da das Fernwärmenetz erst für die niedrigeren Temperaturen umgebaut werden muss.

Das ist sehr aufwendig und hat einen nervigen Baustellenmarathon auf offener Straße zur Folge. Derzeit gibt es noch 130 Kilometer Dampfnetz, vor allem in der Innenstadt. 110 Kilometer wurden bereits von 2003 bis 2011 auf Heißwasser umgebaut. Frühestens 2022 können laut Stadtwerken weitere Teile umgestellt werden. Die Dampfnetz-Insel in der östlichen Innenstadt bliebe hingegen noch viele Jahre erhalten, sie käme erst an die Reihe, wenn die beiden Müllverbrennungsblöcke im Kraftwerk Nord das Ende ihrer Lebensdauer erreichen.

Ob der dritte, mit Kohle befeuerte Block tatsächlich 2022 vom Netz geht, ist trotz des Bürgerentscheids weiter unklar. Denn die letzte Entscheidung trifft die Bundesnetzagentur, die für die Versorgungssicherheit verantwortlich ist. Die Stadtwerke haben die Stilllegung bereits bei der Behörde angemeldet und rechnen frühestens 2019 mit einer Antwort. Bleibt der Meiler einige Jahre länger in Betrieb, werden auch die Verluste für die Stadtwerke kleiner. Bei einer Stilllegung 2027 entgehen ihnen Gewinne von 161 Millionen Euro, 2029 sinkt diese Summe auf 115 Millionen (immer verglichen mit einer Abschaltung im Jahr 2035, dem Ende der sogenannten technischen Lebensdauer). Die durch die Abschaltung fehlenden Gewinne hängen stark von den künftigen Energiepreisen ab. Im Jahr 2015 wurde der jeweilige Schaden noch deutlich höher eingeschätzt.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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