Protestaktion:"Die Demonstranten sind sehr kooperativ"

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Bisher würden alle Auflagen eingehalten, bescheinigt das Kreisverwaltungsreferat. Das Protestlager lege den Betrieb am Sendlinger Tor nicht lahm. (Foto: Robert Haas)
  • Seit zwei Wochen demonstrieren Flüchtlinge am Sendlinger Tor für ein "Bleiberecht für alle". Ergebnisse gibt es bisher keine.
  • Wie es weitergeht, ist noch unklar, vielleicht mit einem Protestmarsch nach Nürnberg. Als äußerste Option wird ein Hungerstreik erwogen.

Von Christian Gschwendtner

Beige Trachtenschuhe aus Wildleder sind ein Teil des Problems, mit dem die Flüchtlinge am Sendlinger-Tor-Platz zu kämpfen haben. Adeel Ahmed, der Gruppensprecher, trägt sie an seinen Füßen. Sie stehen ihm gut. So gut, dass sich eine Frau an der Tramhaltestation darüber entrüstet. Warum so jemand denn überhaupt demonstrieren müsse. "Er hat doch alles", sagt die Frau aus Israel, die seit 40 Jahren in München wohnt.

Adeel Ahmed entgegnet, die Schuhe habe er am Montag nach dem Dauerregen geschenkt bekommen, die alten waren kaputt. Die Frau will davon nichts wissen. Sie spricht jetzt über die Grenzen der Gastfreundschaft. Und davon, dass genug wirklich genug ist. Es entwickelt sich ein verbaler Schlagabtausch. Über Diamantenhandel in Afrika, den Nahostkonflikt und das sogenannte Gutmenschentum. Die ganz großen Themen.

Als wirklich gar nichts mehr geht, die Traube aus herbeigeeilten Passanten immer größer wird, sich der Flüchtling aus Pakistan und die Münchnerin eigentlich nur noch anschreien, treibt Adeel Ahmed die Sache noch auf die Spitze: "In zwei Wochen heirate ich eine Frau aus Deutschland, dann dauert es nicht mehr lange, und ich habe sechs iPhones und eine Aufenthaltsgenehmigung. Im Grunde ist alles geritzt für mich." Für einen kurzen Moment fühlt sich die Frau bestätigt - dann merkt sie, dass sie da jemand verschaukeln will.

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Der Vorfall ist kein Einzelfall an diesem Mittwoch. Er beschreibt die Sprachlosigkeit, die seit zwei Wochen auf dem Sendlinger-Tor-Platz herrscht, ganz gut. So lange demonstrieren die Flüchtlinge schon für ein "Bleiberecht für alle". Ohne nennenswerte Ergebnisse. Man redet miteinander, ohne sich was zu sagen. Das drückt offenbar auch bei den Protestlern auf die Stimmung. Drei Flüchtlinge sind angeblich kurzzeitig in den Hungerstreik getreten. Keine zwei Stunden später soll sie das Kollektiv aber zurückgepfiffen haben.

Wie es weiter gehen soll, ist derzeit völlig unklar. Adeel Ahmed spricht von einem Protestmarsch nach Nürnberg, den man gegebenenfalls veranstalten wolle. Sieben Tage zu Fuß durch Bayern. Dann wieder zurück auf den Sendlinger-Tor-Platz, soweit ein Plan. Auch der Hungerstreik ist weiterhin eine Option. Allerdings nur die letzte, wenn gar nichts mehr geht, erklärt der Pakistani.

Die Flüchtlinge zeigen sich sehr kooperativ gegenüber dem KVR

Bis zum 30. September dürfen die "non-citizen", wie sich die Flüchtlingsgruppe selbst nennt, auf jeden Fall an ihrem Ort in der Münchner Innenstadt bleiben. Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) hat die Genehmigung zum dritten Mal verlängert. "Die Demonstranten sind sehr kooperativ", betont KVR-Sprecher Johannes Mayer ein ums andere Mal. Bisher würden alle Auflagen eingehalten, die Kooperation verlaufe einwandfrei.

Für alle jene, die sich fragen, warum die Flüchtlinge überhaupt so lange demonstrieren dürfen, haben die KVR-Juristen ein ganz einfaches Erklärbild parat: die Apothekerwaage. Auf der einen Seite die vom Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit, auf der anderen Seite das öffentliche Interesse. Momentan sei da noch alles im Lot, sagt KVR-Pressesprecher Mayer. Aus Behördensicht legt das recht überschaubare Protestlager den Betrieb am Sendlinger Tor jedenfalls nicht lahm.

Die Demonstranten bemühen sich indes weiter um Aufmerksamkeit. Jüngst gab es eine Solidaritätsadresse an die Flüchtlinge in Bautzen, wo es nach Ausschreitungen mit Rechtsextremen zu einer umstrittenen Ausgangssperre kam. Auch bei der Anti-TTIP-Kundgebung vom Wochenende wurden einige Flüchtlinge vom Sendlinger-Tor-Platz gesichtet.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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