Fußgänger und Radler statt Autos:Für immer Sommerstraße - Anwohner in Haidhausen uneinig

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Viel Platz zum Spielen: Seit drei Jahren weist die Stadt Sommerstraßen aus - hier etwa in der Südlichen Auffahrtsallee in Neuhausen. (Foto: Fabian Norden)

Die Stadt hat von Juli bis September 32 verkehrsberuhigte Zonen eingerichtet, die bei vielen gut angekommen sind. In Haidhausen fordern Anwohnerinnen und Anwohner nun sogar eine dauerhafte Spielstraße - doch es gibt auch Gegner.

Von Patrik Stäbler

Demokratie kann bisweilen ermüdend sein. So ist der vierjährige Bub, der mit seinen Eltern zur Einwohnerversammlung ins Kirchliche Zentrum in Haidhausen gekommen ist, inzwischen auf dem Schoß seiner Mutter eingeschlafen - ungeachtet der hitzigen Debatten um ihn herum. Doch der Abend ist schon lang, die 120 Anwesenden haben ganze 25 Anträge gestellt, über die nun abgestimmt wird. Sie alle drehen sich um die Schneckenburgerstraße - eine 400 Meter lange Straße im Norden Haidhausens - und ob und wie diese verkehrsberuhigt werden soll. Oder anders ausgedrückt: ob hier, östlich des Klinikums rechts der Isar, gewissermaßen der ewige Sommer Einzug hält. Denn der Abschnitt in der Schneckenburgerstraße war schon einmal eine autofreie Spielstraße - als sogenannte Sommerstraße.

Deren Konzept sieht vor, Fußgängern in den warmen Monaten mehr Platz zu gewähren - meist zulasten der Autos. Insgesamt 32 Straßenabschnitte hat die Stadt seit der Einführung 2020 jeweils von Juli bis September zur Sommerstraße umfunktioniert, davon 23 als verkehrsberuhigte Bereiche und neun als echte Spielstraßen. Die Idee dahinter sei es, "an ganz verschiedenen Orten in der Stadt zusätzliche Aufenthaltsmöglichkeiten zu schaffen und das gleich vor der eigenen Haustür", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

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Bei vielen Münchnerinnen und Münchnern ist das gut angekommen, wie die Auswertungen des Rathauses zeigen. "Die Sommerstraßen 2021 waren insgesamt ein Erfolg", teilt eine Sprecherin des Mobilitätsreferats mit. Besonders positiv seien die Maßnahmen am Kosttor in der Altstadt, in der Mittersendlinger Schöttlstraße und am Holzplatz in der Isarvorstadt angekommen. Letzterer solle nun dauerhaft umgestaltet werden.

Die Gegner fürchten den Lärm spielender Kinder und den Wegfall von Parkplätzen

Gleiches wünschen sich viele Anwohnerinnen und Anwohner in der Schneckenburgerstraße, auf deren Initiative der Bezirksausschuss Au-Haidhausen (BA) die dortige Sommerstraße überhaupt erst vorgeschlagen hatte. Sie argumentieren, dass die Straße auch wegen der eng parkenden Autos eine Gefahr darstelle, nicht zuletzt für Kinder. Überdies gebe es dort einen großen Bedarf an Spielflächen, was sich am oft überfüllten Spielplatz zeige. Dagegen fürchten die Gegner einer Dauer-Sommerstraße, die ebenfalls Unterschriften für ihr Ansinnen gesammelt haben, den Lärm spielender Kinder und lehnen den drohenden Wegfall von circa 15 Parkplätzen ab.

Im Dezember hatte die SPD-Fraktion im BA einen Prüfantrag auf eine Verstetigung der Sommerstraße eingereicht. Demnach sollte das Rathaus untersuchen, ob ein Teil der Schneckenburgerstraße zur Spielstraße und in einem weiteren Abschnitt eine Einbahnstraße ausgewiesen werden könne. Da sich damals in der Sitzung sowohl Bürger für als auch gegen diese Idee aussprachen, vertagte der BA den Antrag. Zudem beschloss das Gremium, eine Einwohnerversammlung einzuberufen, um ein Meinungsbild zu erlangen.

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Nun könnte man die Diskussion um die Schneckenburgerstraße leicht als Nachbarschaftsstreit abtun. Doch tatsächlich spiegeln sich darin mehrere Fragen, die seit einigen Jahren an vielen Stellen in München zu Konflikten führen. Etwa: Wie soll in der deutschlandweit am dichtesten besiedelten Stadt, die zudem stetig wächst, der knappe Raum verteilt werden? Oder: Wie viel Lärm können und müssen die Menschen in ihrer Nachbarschaft erdulden angesichts der beengten Verhältnisse? Und natürlich - man denke nur an Schanigärten, Radwege und Parklets: Wie viel Platz muss das Auto nach Jahrzehnten der Dominanz künftig für andere Verkehrsteilnehmer aufgeben?

Eine klare Mehrheit befürwortet die Spielstraße

In der Einwohnerversammlung in Haidhausen zeigt sich bei den Abstimmungen jedenfalls schnell ein klares Bild: Jenen Antrag, der sich für eine dauerhafte Spielstraße am Spielplatz sowie einen verkehrsberuhigten Bereich in einem größeren Straßenabschnitt ausspricht, befürwortet eine große Mehrheit der Anwesenden. Sämtliche Forderungen, aufgrund des drohenden Lärms und der wegfallenden Parkplätze keine dauerhafte Sommerstraße einzurichten, werden dagegen abgelehnt. Ob es dazu tatsächlich kommt, ist freilich noch unklar. In einem nächsten Schritt wird nun der BA beschließen müssen, welchen Antrag er ans Rathaus richtet. Und erst dort wird dann nach eingehender Prüfung eine Entscheidung fallen.

Und dennoch sind die Gegner eines ewigen Sommers in der Schneckenburgerstraße hörbar und sichtlich enttäuscht, als sich nach den ersten Abstimmungen die Kräfteverhältnisse im Raum abzeichnen. Es könne nicht sein, klagt eine Frau, dass die Stimmen ihrer weiter entfernt wohnenden Nachbarn das gleiche Gewicht hätten wie ihre - da sie als direkte Anwohnerin des Spielplatzes doch viel stärker unter dem Lärm leide. Noch ehe alle Anträge behandelt worden sind, verlassen sie sowie viele ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter erzürnt den Saal - vorbei an dem immer noch schlummernden Buben. Demokratie kann bisweilen eben nicht nur ermüdend sind - sondern auch frustrierend.

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