Machtwechsel im Freistaat:Was ein Ministerpräsident Söder für München bedeutet

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Der designierte CSU-Ministerpräsident Markus Söder vor den Wappenfarben der Landeshauptstadt München (Foto: Collage: Dennis Schmidt/Foto: dpa)

OB Reiter von der SPD konnte gut mit dem CSU-Mann Horst Seehofer. Jetzt kommt dessen langjähriger Erzfeind im Freistaat an die Macht. Kann das funktionieren? Es muss.

Von Heiner Effern, München

Von einem geplanten gemeinsamen Spaziergang ist bisher nichts bekannt, telefoniert haben sie aber schon. Und dabei auch ein längeres Treffen vereinbart. Der künftig mächtigste Mann im Land und der mächtigste Mann in der größten Stadt dieses Landes gelten zwar nicht gerade als Freunde, wollen aber professionell zusammenarbeiten. So betonen es der designierte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in diesen Tagen.

Ein erstes Signal dafür sendet Söder in einem lateinischen Satz: "Pacta sunt servanda", sagt er. Verträge sind einzuhalten. Übertragen heißt das: Die von Noch-Ministerpräsident Horst Seehofer gegen die Münchner CSU durchgesetzte Tramlinie durch den Englischen Garten wird Söder nicht verhindern. Und auch die Zuschusszusagen des Freistaats für den Bau des Park-Tunnels am Mittleren Ring stehen.

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So mancher in der Münchner Politik wird da erleichtert aufatmen, so mancher aber auch die Faust in der Tasche ballen. Und viele werden auch nicht schlauer sein als zuvor. Doch gerade jetzt, da der Machtwechsel in der Staatsregierung feststeht, wird jedes Wort, jede Geste der Mächtigen genau verfolgt. Jeder will wissen: Was bedeutet der Wechsel von Seehofer auf Söder für die Landeshauptstadt?

Das ist zum einen die Sachebene: Das Wachstum der Stadt ist längst nicht mehr alleine mit den Mitteln einer Kommune zu bewältigen. München benötigt die Hilfe des Freistaats und auch des Bundes. Da wird es darauf ankommen, ob sich Söder und Reiter arrangieren. Im Hintergrund schwingt aber auch Emotionales mit: Das Verhältnis von Seehofer zu OB Reiter und zur Münchner CSU entwickelte zuletzt das Potenzial eines großen Beziehungsdramas.

Seehofer ließ nichts aus, um den lautstarken Söder-Fanklub in der Münchner CSU zu piesacken, wo es nur ging. Den Höhepunkt bildete eben ein Spaziergang mit Reiter durch den Englischen Garten. Mit ein paar Schritten kassierte Seehofer symbolisch die jahrzehntelang fest betonierte Haltung der Münchner CSU ein, keinesfalls eine Tram durch den Park zuzulassen. Nicht nur nebenbei brüskierte er damit auch seinen Rivalen Söder, der als für den Park zuständiger Minister die Position seiner Münchner Freunde teilte. Da Seehofer und Reiter auch sonst pragmatisch kooperierten und sich dabei SMS schickten, entstand die Mär von der Männerfreundschaft. Seehofers Freund ist Söders Feind, wird reflexhaft in der Politik geurteilt.

Deshalb steckt hinter Söders lateinischem Satz mehr als nur die Tram-Frage - er demonstriert Verlässlichkeit. Im Übrigen weiß man, dass Reiter und Söder bei vielen politischen Themen wie etwa Flüchtlingsfragen weit auseinander liegen. Weiter als Seehofer und Reiter. So klingen denn auch Söders erste direkte Worte zum Münchner Oberbürgermeister sehr zurückhaltend. "Ich werde versuchen, mit OB Reiter eine vernünftige Zusammenarbeit zu finden. Wir kennen uns ja bereits aus dem Aufsichtsrat des Flughafens." Der Satz hat es in sich wie der lateinische Spruch zur Tram: Wenn sich zwei Politiker kennen und gemeinsam in einem Gremium sitzen, nun aber erst versuchen, eine vernünftige Zusammenarbeit zu finden, dann stehen sie am Anfang eines Weges.

Doch beide sind nicht nur machtbewusst, sondern auch Pragmatiker. So betont Reiter, dass "mir an einer vernünftigen Zusammenarbeit liegt". Er sei sicher, das mit Söder so hinzubekommen wie mit Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann oder eben Seehofer. Auch zu Letzterem pflegte Reiter ein Arbeitsverhältnis. Von gemeinsamen Kaffeerunden oder trauten Gesprächen am Wirtshaustisch zur Lage der Welt ist aus gutem Grund niemals etwas bekannt geworden: Es hat sie nie gegeben.

Tatsächlich brachten die beiden politische Themen zusammen, die auch Reiter und Söder zu einer so engen Kooperation verpflichten, wie es sich die beiden vielleicht niemals vorstellen konnten: das massive Wachstum der Ballungsräume in München, Nürnberg oder Regensburg. Die Wohnungsnot dort und die am Limit befindlichen Verkehrssysteme sprengen die Grenzen zwischen den politischen Ebenen.

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Deshalb hat Söder die Themen Mobilität und Wohnen längst in sein politisches Standardrepertoire aufgenommen. "Wir brauchen ein langfristiges Verkehrskonzept für den Großraum weit über München hinaus. Denn München und Oberbayern dürfen nicht am Verkehr ersticken", sagt er. Wachstum und Lebensqualität müssten sich gleich entwickeln. "Dabei sollten wir uns in der Welt umschauen, was andere Metropolen besser oder intelligenter machen." Auch die hohen Mieten und Preise für Eigenheime will er angehen. "Größere Wohnungsbauprogramme sind nötig, die Bauzyklen dauern zu lange und Wohneigentum muss auch für Normalverdiener wieder möglich sein."

Reiter wird gerne hören, dass seine brennendsten Sorgen auf Landesebene wahrgenommen werden. Nun hofft er auf Taten. Gerade bei Verhandlungen mit dem Bund und der Deutschen Bahn über Investitionen ins Nahverkehrsnetz brauche die Stadt Hilfe, sagt der OB. Zudem habe das Land eigene Grundstücke in der Stadt, darauf dürfe es gerne für seine Beamten Wohnungen bauen. Beim Thema Wohnen wird es ohnehin spannend, ob die beiden aneinandergeraten.

Reiter packt heute noch die Wut auf Söder, den er für den Verkauf der 30 000 GBW-Wohnungen aus dem Besitz der Bayerischen Landesbank an einen privaten Investor verantwortlich macht. Für Hunderte Millionen Euro hat die Stadt bereits Gebäude zurückgekauft, um die Bewohner vor steigenden Mieten zu schützen. Söder verweist stets darauf, dass die EU den Verkauf bei der Sanierung der Bank verlangt habe. Doch auch diese Kontroverse soll die Suche nach einer vernünftigen Kooperation nicht stören. "Was die Menschen nicht brauchen können, ist Streit", sagt Reiter.

Deshalb passt es gut, dass über die dritte Startbahn am Flughafen noch Seehofer und Reiter verhandeln werden. Sollte die Zahl der Starts und der Landungen hoch genug sein, könnten die Münchner Mitte 2018 darüber in einem Bürgerentscheid abstimmen. Wenn nicht, könnte der Freistaat veranlassen, dass die Flughafen-Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und damit ein Münchner Veto bedeutungslos wird. Das würde das Verhältnis von Reiter und Söder schon früh auf eine harte Probe stellen.

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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