Landkreispolitker und Facebook:Mixed Reality

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Auch Kommunalpolitiker zeigen auf dem sozialen Netzwerk Facebook Präsenz. Ihre Seiten werden so Plattform für den Diskurs, der auch unter die Gürtellinie gehen kann. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Soziale Medien werden auch für Politiker immer wichtiger. Vor allem für jene mit größeren Ambitionen. Auf Facebook saugen sie Stimmungen auf, kommunizieren, machen Wahlkampf - und begegnen verstärkt kruden und hasserfüllten Ansichten.

Von Martin Mühlfenzl

Es gibt da die private Kerstin Schreyer-Stäblein. Die ihre Freunde schon mal mit einem geposteten Foto wissen lässt, dass Lindenblütentee offenbar gegen ihre Erkältung hilft. Oder sie ihre kränkelnde Tochter aus der Schule abholen musste - und ihr das Ave Maria von Helene Fischer einen Schauer über den Rücken jagt. Gut, der Begriff privat trifft es möglicherweise nicht ganz - denn Schreyer-Stäbleins Posts auf Facebook können ihre mehr als 4000 "Freunde" einsehen.

Die Landtagsabgeordnete aus Unterhaching hat noch ein zweites Profil. Ihr offizielles - öffentliches. Mehr als 1000 Menschen haben das schon geliked. Als Hintergrundbild verwendet sie eine Ansicht des verschneiten Wildbad Kreuth, auf dem Profilbild ist derzeit ein Spruch abgebildet: "Die Bürger im Blick." Und in den Posts wird es politisch, die Abgeordnete äußert sich teils direkt, manchmal verlinkt sie Artikel und Meinungen anderer. Und es wird diskutiert, kommentiert, geantwortet. Es geht teils heftig zur Sache - oft mit einer Tendenz. Dazu aber später.

Eine Kluft zwischen Realität und Virtualität tut sich auf

Es gibt natürlich auch die reale Politikerin Kerstin Schreyer-Stäblein. Die sitzt nicht nur im Landtag, sondern auch im Kreistag des Landkreises München. Und genau an diesem Punkt beginnt, sich eine Kluft zwischen Realität und Virtualität aufzutun. Aus der aktiven Userin Schreyer-Stäblein wird - paradoxerweise - eine verbal mitunter etwas ungerührt wirkende Kreisrätin.

Als selbstbewusste stellvertretende Fraktionssprecherin im Landtag - und somit einer der Lautsprecher der selbst ernannten Herzkammer der CSU - tritt sie in Sitzungen des Kreistags eher unauffällig auf. Wie übrigens auch ihr Parteigänger, der CSU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Florian Hahn. Den Ton im Kreis geben andere an.

Bela Bach im "Dialog" mit einem Kommentator auf ihrer Seite. (Foto: screenshots/Facebook)

Mehr noch: Der Ton, der aus der CSU im Landkreis zu hören ist, unterscheidet sich deutlich von jenem Schreyer-Stäbleins im Landtag - und dem, den sie als Facebook-Nutzerin pflegt.

Nun wäre es mehr als übertrieben zu behaupten, Kerstin Schreyer-Stäblein sei eine Frau der drei Identitäten. Politiker aber schlüpfen in Rollen - und passen sich ihrer Umgebung, den Kollegen und der Klientel an, die sie zu bedienen haben. Auch darf der Landtagsabgeordneten sicher kein ausgewiesener Hang zu rechten Thesen unterstellt werden; die Unterhachingerin ist Sozialpädagogin und als solche qua Ausbildung ein kommunikativer Mensch, der es gewohnt ist, mit unterschiedlichen Ansichten umzugehen.

"Dafür ist Facebook gedacht, und ich nutze es so. Zum einen als Privatmensch, der hier auch mal Fotos postet, die meine Tochter von mir gemacht hat", sagt sie. "Aber auch, um mit Menschen in Kontakt zu treten. Ja, es ist wichtig, auch über dieses Forum mit einem Ohr bei den Bürgern zu sein." Und deren Meinungen und Bilder wahrzunehmen - ohne sie inhaltlich teilen zu müssen, sagt Schreyer-Stäblein.

Die kritische Linie Schreyer-Stäbleins beim Thema Asyl wird von vielen Kommentatoren auf ihrer Facebook-Seite bei weitem übertroffen

Ein Post der Abgeordneten vom 10. Januar diesen Jahres, 13.38 Uhr, auf ihrer Seite: Ein Link einer Facebook-Freundin, ebenfalls CSU-Mitglied, allerdings aus dem Bezirk Schwaben. Es handelt sich um einen Artikel der mehr als fragwürdigen "Newsseite" Netzplanet.net, die deutlich am rechten Rand zu verorten und auch Verschwörungstheorien nicht abgeneigt ist. Der von Schreyer-Stäblein verlinkte Artikel handelt von der grünen Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und deren vermeintlichem Versuch, die Übergriffe auf Frauen klein zu reden.

Schreyer-Stäblein hat diesen Bericht nicht geschrieben, sie kommentiert auf ihrer Seite auch, sie mache sich dessen Meinung nicht gemein. Warum sie teils hasserfüllte Kommentare dennoch stehen lässt? "Sie zu löschen bedeutet ja nicht, dass es die Meinungen nicht gibt", sagt Schreyer-Stäblein. "Wenn auf meiner Seite ein extremer Kommentar auftaucht, ist es meist so, dass sehr schnell sehr viele darauf antworten und ihn auch widerlegen." Dieser Diskurs sei wichtig.

Natürlich kocht derzeit immer wieder das Thema Asyl hoch; Facebook ist gewissermaßen für jedermann das eine Forum, auf dem er seine Meinung kundtun kann. Die kritische Haltung Schreyer-Stäbleins gegenüber der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin, die übrigens voll auf Linie der Landespartei liegt, wird von sehr vielen Kommentatoren auf ihrer Seite bei weitem übertroffen. "Angela kapier es endlich, dass es mit diesen unkontrollierten Einreisen nicht mehr gehen kann", schreibt eine Nutzerin. Ein anderer: "Die Kanzlerin feiert schon mit den Profiteuren in Davos nach dem lästigen Abstecher in Kreuth." Darüber ein Bild der Kanzlerin während ihrer Rede bei der Klausur der Landtagsfraktion - daneben die sehr kritisch dreinblickende Besitzerin der Facebook-Seite. Wer etwas weiter runter scrollt, findet diesen Post: "Merkel verwandelt Deutschland - flächendeckend - in ein dichtes Netz von '. . . . . . . . lagern'." Den Rest kann sich jeder denken.

Facebook ist für Politiker heute wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit

Und angelehnt an einen Artikel des Tagesspiegels über Sigmar Gabriel und dessen vermeintliche Pläne "große Kontingente" an Flüchtlingen nach Europa zu holen kommentiert ein User: "Ich glaube bevor man nicht mit einer im Anschlag vorhaltenden Waffe denen entgegentretet und bei einem Versuch illegal die Grenze zu übertreten einmal in die Luft schießt und Laut halt und stop ruft und wenn der dann nicht stehen bleibt dann ins Bein schießt wird unserm Land kein Respekt mehr Erlangen."

Reaktionen von Usern auf Schreyer-Stäbleins Seite nach einem Post über die Grüne Claudia Roth. (Foto: Screenshot)

Die Präsenz auf Facebook ist für Politiker mittlerweile wichtiger Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit. Bela Bach, die Kreisvorsitzende der SPD, ist dort ebenfalls mit zwei Seiten vertreten. Gerade im Bundestagswahlkampf 2013 habe sie gemerkt, sagt Bach, dass sich vor allem eine Zielgruppe via Internet deutlich effektiver und schneller erreichen lasse: die Jungen. "Man kommt so besser an Leute ran, die vielleicht nicht jeden Tag ein Printmedium lesen", sagt Bach.

Mehr als 1100 Nutzern gefällt Bela Bachs Seite - das sind sogar ein paar mehr als bei der politischen Konkurrentin Kerstin Schreyer-Stäblein. Das mag freilich daran liegen, dass die 24-jährige Bach altersmäßig ein wenig näher am durchschnittlichen Facebook-Nutzer liegt. Die Art und Weise, wie die Planeggerin das Medium nutzt, unterscheidet sich indes kaum von der ihrer politischen Gegner. Auch Bach versucht, ihre eigenen politischen Ansichten zu verbreiten und mit passenden Links zu untermauern - und auch auf ihrer Seite bleibt Gegenwind nicht aus.

Nach den Übergriffen in Köln verlinkte Bach einen Artikel des Bundesrichters Thomas Fischer in der Onlineausgabe der Zeit; ein Essay, in dem Fischer die "Opferschutz"-Parolen aus den Lautsprechern kritisierte, die derzeit das "Mindestmaß an intellektueller Redlichkeit" unterschritten. Ein Link und weit über hundert Reaktionen darauf binnen weniger Stunden waren das Resultat auf Bachs Facebook-Seite. "Und darunter einige, die unter die Gürtellinie gingen. "Mir gegenüber, auch Frauen gegenüber", sagt Bach. "Da musste ich dann anfangen zu löschen, obwohl ich das nur in Ausnahmefällen mache."

Facebook spielt mittlerweile auch in der Kommunalpolitik eine Rolle

Wie auch Schreyer-Stäblein lässt Bach andere Meinungen bewusst zu. "Das gehört sich so, das gehört zum Diskurs", sagt Bach. "Wenn ich dann doch einmal eingreife, gebe ich demjenigen aber per Nachricht Bescheid." Schreyer-Stäblein und Bach bedienen ihre Kanäle selbst. Nur in Wahlkampfzeiten, sagt Bach, unterstütze sie auch ihr Team und greife auf der Seite ein.

Auch Schreyer-Stäblein will es sich nicht nehmen lassen, selbst zu agieren, schafft dies aber nicht immer: "Es kommt schon vor, dass meine Mitarbeiter mal ein Bild von einer Veranstaltung hochladen. Das kennzeichnen wir dann aber auch." Authentizität sei wichtig, - und Offenheit. Mittlerweile, sagt die Abgeordnete, erreichten sie via Facebook mehr Bürgeranfragen als per E-Mail. "Aber dafür ist Facebook eigentlich nicht da und ich kann hier auch nicht auf sehr lange Anfragen antworten."

Facebook ist das Medium der schnellen, stakkatoartigen Auseinandersetzung. Und mittlerweile auch in der Kommunalpolitik ein Forum, in dem lebhafter und dadurch auch extremer diskutiert wird. Diesen Wandel nehmen die Politiker durch ihre Präsenz ganz natürlich in Kauf. Nur auf gegenseitige Angriffe auf der Seite des jeweils anderen verzichten sie gänzlich. "Wir begegnen und streiten uns schon in den Kreisgremien und im Parlament ständig", sagt Schreyer-Stäblein. Im sogenannten echten Leben also.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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