TSV 1860 München:Warum München das Grünwalder Stadion braucht

Löwen-Stürmer Sascha Mölders im Grünwalder Stadion

Torjubel vor Münchner Kulisse: Löwen-Stürmer Sascha Mölders im Grünwalder Stadion.

(Foto: Bernd Feil/M.i.S.)

Gerade wurde das Stadion der Sechzger in Giesing auf 15 000 Plätze erweitert. Es ist nicht nur die optimale Bühne für die Dramen dieses Fußballvereins, sondern ein Segen für die Stadt.

Von Sebastian Beck

Man muss weder Fußballanhänger noch Fan der Sechzger sein, um diesen Momenten vor dem Spiel etwas Magisches abzugewinnen. Wenn das Flutlicht in die Nacht leuchtet, wenn die Fans sich vorm Wienerwald oder Trepperlwirt versammeln und sich in den Straßenbahnen drängen, wenn sich Vorfreude und Spannung übers ganze Viertel legen, dann erwacht die Stadt zum Leben.

Ausgerechnet da draußen in Giesing, an einer der lautesten Kreuzungen Münchens. Eingezwängt zwischen Isarhochufer, Wohnhäusern und Ausfallstraßen empfängt das Grünwalder Stadion seine Partygäste. Aber was heißt da schon Stadion? Es ist ein zusammengestückeltes Etwas aus Beton und Stahl, so hässlich wie ein räudiger Straßenköter.

Seit mehr als hundert Jahren wird hier schon Fußball gespielt, längst ist die Stadt darüber hinweg gewuchert. Wer auf der ehrwürdigen Haupttribüne mit ihren Glasfassaden Platz nimmt, der sieht die Kirchtürme übers Dach der Stehhalle spitzen, und er versteht, warum die Fans der Sechzger sich all die Jahre so gesehnt haben nach diesem einen Ort, der in keinem Reiseführer über München steht.

Seit Juli 2017 sind sie wieder daheim in Giesing, nach zwölf Jahren Exil draußen in der Allianz Arena. Ausgerechnet in der dunkelsten Stunde des Abstiegs hat sich der Weg zurück ins alte Paradies eröffnet, auch wenn es hier nun gegen Pipinsried und nicht mehr gegen St. Pauli ging. Fußball war bei den Sechzgern immer schon mehr als nur ein Rasensport, bei dem es auf das Ergebnis ankommt.

Der TSV 1860 München ist ein bayerisches Gesamtkunstwerk aus Komik, Wahnsinn und Leidenschaft. Für die Dramen, die hier geschrieben werden, gibt es nur eine geeignete Bühne: das Grünwalder Stadion, das in seiner Konstruktion so marode und zugleich unverwüstlich wirkt wie der ganze Verein.

Die Fans wissen das schon immer, inzwischen haben es aber endlich auch einige Löwenfunktionäre und Stadträte kapiert: Beim Stadion geht es nicht nur um eine Spielstätte, die man hinter den Containerbahnhof oder sonstwo an die Autobahn verpflanzen kann. Es geht auch nicht bloß um dritt- oder gar viertklassigen Fußball. Es geht vielmehr um die Stadt München und speziell um die Frage, ob hier wenigstens noch ein paar Underdogs Platz haben oder bloß noch Besserverdiener und der FC Bayern.

Heimspieldebut nach Rückkehr des TSV 1860 München ins Grünwalder Stadion, 2017

Vor und nach dem Spiel verwandeln die Fans Giesing in einen irgendwie magischen Ort.

(Foto: Florian Peljak)

Neuerdings wird sogar laut darüber nachgedacht, ob die Sechzger auch im Falle eines Aufstiegs in die zweite Bundesliga in ihrer geliebten Bruchbude bleiben könnten. Wer solche Überlegungen vor fünf Jahren angestellt hätte, der wäre ausgelacht worden: Das Ziel des Investors Hasan Ismaik war schließlich Champions League samt Stadionneubau.

Er wollte aus seinem Sechzger-Spielzeug eine Art Mini-FC-Bayern machen, was bekanntlich nicht so gut funktioniert hat. Das alte Stadion an der Grünwalder Straße, und damit die Tradition des Vereins, standen da bloß im Weg - zu zentral in der Stadt gelegen, ohne Parkplätze, ohne Business-Logen, ohne Fan-Einkaufswelten. Weite Teile der Ränge sind nicht einmal überdacht.

Hier stehen tatsächlich die einfachen Leute

Doch genau diese vermeintlichen Mängel sind in Wirklichkeit die wahren Stärken des Stadions. Weil es dort eben keine Parkplätze gibt, kommen die Menschen lieber gleich zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Vor Beginn der Regionalligasaison wurde teilweise so getan, als ob in Giesing mit der Rückkehr der Sechzger das Chaos ausbrechen würde.

Doch in Wirklichkeit verkehrten Autos und Straßenbahnen nur eine Viertelstunde nach Spielende wieder ganz normal. Ein Stadion mitten in der Stadt, das zeigen Beispiele aus ganz Europa, ist keine Negativ-Einrichtung, sondern eine Bereicherung. Es gehört zum Gemeinwesen und zur städtischen Kultur - genauso wie ein Konzertsaal, ein Museum oder ein Open-Air am Königsplatz.

TSV 1860 München - Wacker Burghausen

Für Business-Logen, die sich teuer vermieten lassen, ist im Stadion kein Platz - dafür haben manche Anwohner beste Sicht auf den Rasen.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

In München und vielen anderen Städten gibt es freilich die Tendenz, alles, was irgendwie stören könnte, in die Peripherie zu verlagern: Betriebe, Sozialwohnungen- Stadien. Im Zentrum aber, mit seinen kleinen schicken Bars, kleinen schicken Edel-Italienern und kleinen schicken Läden für Wohndesign, hat sich in den vergangenen Jahren eine schwer zu überbietende grüne Spießigkeit breit gemacht.

Da kommen die Sechzger, diese ungewaschenen Vorstadtlackel, gerade recht. Man braucht sich nur mal unter den Fans in der Westkurve umzuhören, um zu kapieren: Hier stehen tatsächlich die einfachen Leute, nicht nur aus München, sondern aus ganz Bayern. Bierfahrer, Hilfsarbeiter, Rentner, Sozialhilfeempfänger, Lehrlinge, Handwerker - auch die gibt es noch in München. Für sie bedeutet das Grünwalder Stadion Heimat, und sie zelebrieren dort ein Freundschaftsritual, bei dem Fußball nicht immer die Hauptrolle spielt.

Die Sechzger und die Stadt München werden sich nun überlegen müssen, in welche Richtung es an der Grünwalder Straße gehen soll: Für eine Konsum-Arena mit Logen für Häppchengäste ist dort einfach kein Platz. Die Kapazität wird auf kaum mehr als 20 000 Zuschauer erhöht werden können, denn bei aller Begeisterung gibt es auch Sicherheitsgrenzen.

Dies bedeutet: Den Löwen wird das Geld fehlen, um ganz oben in der Ersten Bundesliga mitzuspielen - es sei denn, sie finden doch irgendwann einen anderen Investor, der zumindest ansatzweise etwas von Fußball und Personalplanung versteht. Sportlich gesehen wäre das Grünwalder Stadion zweite oder dritte Liga auf Lebenszeit.

Andererseits: Die Nachfrage nach echtem Fußball, bei dem man auf der Tribüne sogar noch nass werden kann, ist enorm. Gerade in München, einer Stadt, die in einigen Vierteln schon aseptisch herausgeputzt wirkt. Für ihre Heimspiele im Grünwalder Stadion könnten die Sechzger locker 30 000 Karten verkaufen. Doch es passen bloß 15 000 Zuschauer rein, auch in der neuen Saison.

Fußball bei den Sechzgern ist eben ein exklusives Vorstadtvergnügen. Hoffentlich bleibt es das noch lange.

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