Großhadern:Drogenrausch als Honorar

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  • Weil dem Student auf Dauer das Geld für Kokain nicht reichte, bot er Internet-Dealern seine Dienste als Gutachter für Drogen an.
  • Zwei Dealer sprachen prompt darauf an - ein Mann aus Berlin und ein erst 21-Jähriger aus Leipzig.
  • Sein Können musste der 28-Jährige zunächst anhand zweier Heroin-Proben beweisen.

Von Christian Rost

Ein Chemiestudent hat in den Laboren der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in Großhadern im Auftrag von Dealern Rauschgift auf dessen Qualität hin untersucht. Im Gegenzug erhielt Michael W. Drogen, mit denen er sich aufputschte, um seine Master-Arbeit zu schaffen. Dies gestand der 28-Jährige am Montag am Landgericht München I. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Handel und Erwerb von Betäubungsmitteln in 15 Fällen vor.

Als Michael W. im August 2014 an der LMU mit der Arbeit an seinem Master begann, habe er habe er unter starkem Leistungsdruck gestanden. "Nicht nur wegen des Studiums", wie er sagt, ohne die private Gründe auszuführen. Jedenfalls suchte er nach Hilfsmitteln, um den Stress bewältigen zu können, und bestellte sich online - im von Kriminellen benutzten Dark-Net - Amphetamine. Damit habe er zwar arbeiten können, aber auch an Schlaflosigkeit gelitten, sagt W.

Schließlich nahm er zusätzlich Psychopharmaka, um die Wirkung der Drogen zu dämpfen. Damit sei er in einen "Teufelkreis" geraten. In einer schlaflosen Nacht kam ihm dann die vermeintlich rettende Idee: "Ich hielt Kokain für die perfekte Übergangslösung." Wieder bestellte er über das Darknet, musste aber bald feststellen, dass ihm für Kokain auf Dauer das Geld nicht reichte. Deshalb bot er Internet-Dealern seine Dienste als Gutachter für Drogen an.

Zwei Dealer sprachen prompt darauf an - ein Mann aus Berlin und ein erst 21-Jähriger aus Leipzig, der übers Internet vom Kinderzimmer in seinem Elternhaus aus Monat für Monat kiloweise Betäubungsmittel verkaufte. Insgesamt waren es laut Staatsanwaltschaft von Dezember 2013 bis Februar 2015 rund 9,5 Kilo Kokain, 85 Kilo Haschisch, 325 Kilo Speed, mehr als 320 000 Ecstasy-Tabletten und noch einiges andere.

Rauschgiftkonsum
:Zahl der Drogentoten steigt um fast 20 Prozent

Das geht einem Medienbericht zufolge aus einer Statistik des Bundeskriminalamtes hervor. Am stärksten war der Anstieg demnach in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland.

Er und sein Berliner Kollege, der allerdings in wesentlich kleinerem Rahmen dealte, beauftragten den Münchner Studenten mit der Qualitätsprüfung ihrer Ware. Immer wieder schickten sie ihm Kokainproben oder Ecstasy-Tabletten, um den Wirkstoffgehalt zu analysieren. Als Lohn für seine Arbeit erhielt W. Drogen gratis, meist zwei bis sechs Gramm Kokain zum Eigenkonsum. Sein Können beweisen musste er zunächst anhand zweier Heroin-Proben, bei deren Analyse der Student feststellte, dass es sich bei einer Probe lediglich um Streckmittel handelte.

Gutachten mit Fantasiewerten

Den Dealern war das ein ausreichender Nachweis, um W. dauerhaft mit Analysen zu beauftragen. "Ich habe mir eingeredet, dass das nicht strafbar ist", erklärt W. vor der 9. Strafkammer. Schließlich habe er gar keine richtigen Analysen durchführen können. Tatsächlich konnte er zwar Heroin von Schmerzmittelpulver unterscheiden, nicht aber mit den begrenzten Möglichkeiten in den Uni-Laboren und seinem unzureichenden Fachwissen beispielsweise den Wirkstoffgehalt von Kokain bestimmen.

"Bei den Tests kam ich immer auf über 100 Prozent", berichtet W., "ich hatte ja keine Ahnung". Also verfiel er darauf, den Wirkstoffgehalt einfach zu schätzen. Er probierte das Kokain und gab je nach Wirkung einen Fantasiewert in seinem Gutachten für die Dealer an. Die ahnten den Betrug nicht und hinterfragten das Ergebnis auch nicht weiter, sondern warben damit in ihren Online-Shops für die Qualität ihrer Drogen.

Der 21-jährige Leipziger, der wegen seiner Rauschgiftgeschäfte eine siebeneinhalbjährige Jugendstrafe absitzt, wird als Zeuge im Fall W. gehört und legt einen "rotzigen" Auftritt hin, wie einer der Richter bemerkt. Immerhin bestätigt der Zeuge nach langem Herumeiern, dass die Qualitäts-Gutachten seine Kunden überzeugten. Das Geschäft brummte, zuletzt machte er einen monatlichen Umsatz von bis zu "einer Million Euro". Das Geschäft riss jedoch jäh ab, als er und auch der Berliner Dealer festgenommen wurden, der zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Michael W. kommt etwas günstiger davon. Das Gericht sagte ihm in einem Deal im Gegenzug für sein Geständnis eine Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren und vier Monaten zu. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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