Freiwilligen-Messe:Wo kann man helfen?

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Nicht nur als Vorleser tätig: Martin Brög hilft Flüchtlingen bei der Wohnungssuche. (Foto: Catherina Hess)

Viele Münchner wollen sich ehrenamtlich engagieren, doch die Suche nach dem richtigen Projekt ist manchmal schwierig.

Von Franziska Gerlach (Text) und Catherina Hess (Fotos)

Der gute Vorsatz gehört zum Jahreswechsel. Gerlinde Wouters weiß das nicht nur, sie kann das sogar belegen. "Unsere Besucherzahlen haben sich zwischen 5000 und 6000 eingependelt", sagt die Leiterin der "Föbe", der Förderstelle für bürgerschaftliches Engagement. Es gibt also jede Menge Münchner, die sich ehrenamtlich einbringen wollen. Und damit sich der Vorsatz nicht wieder verflüchtigt, findet die "Münchner Freiwilligen Messe", die die "Föbe" mit der Stadt München organisiert, auch 2017 früh im Jahr statt, an diesem Sonntag, 22. Januar.

Wie groß der Wille zum ehrenamtlichen Engagement ist, zeigte sich eindrucksvoll, als die Münchner im September 2015 so zahlreich am Hauptbahnhof Flüchtlinge willkommen hießen. Doch wie finden in München Interessenten und Organisationen zusammen? Ein gutes Drittel der Bevölkerung engagiere sich ehrenamtlich, sagt Wouters. "Und ein Drittel möchte sich engagieren, weiß aber nicht, wo." Deshalb gibt es die Freiwilligen-Messe im Gasteig.

Bereits zum elften Mal können sich Interessenten auf der Messe informieren und Kontakte knüpfen. Da geht es dann oft darum, auszuloten, wie die Idee gut umgesetzt werden kann. Wer sich durch das Programm der Freiwilligen-Messe blättert, wird schnell merken, wie vielfältig das Betätigungsfeld der Freiwilligen mittlerweile ist. Organisationen aus Gesundheit, Umwelt, Migration, Kultur und auch Sport präsentieren sich im Gasteig.

Anruf beim Vermieter: Martin Brög sucht Wohnungen für Flüchtlinge

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(Foto: Catherina Hess)

Martin Brög macht freiwillig etwas, wovor es vielen Münchnern graut. Der Theologiestudent, 41, durchkämmt das Internet nach geeigneten Immobilienanzeigen und spricht mit Vermietern - damit Flüchtlinge mit abgeschlossenem Asylverfahren in München eine Wohnung finden. Und siehe da: Es reagieren Vermieter auf seine Anfragen, und auch zu Hausverwaltungen sind Kontakte entstanden. "Es ist eine mühsame Arbeit, aber es kommt etwas zurück", sagt Brög. Seit Oktober 2016 konnte er acht Wohnungen vermitteln, zum Beispiel an die Familie Kamal Khalaf aus dem Nordirak. Langfristig möchte Brög ein Team aufbauen, das sich die Suche aufteilt und die Belange der Flüchtlinge gegenüber den Vermietern vertritt. Das Leben in der Unterkunft gleiche "einer Warteschleife", sagt Brög. Sich zurückzuziehen, sei es, um Hausaufgaben zu machen oder einfach mal seine Ruhe zu haben, ist in Sammelunterkünften schwierig. Zur Flüchtlingsarbeit kam Brög im Herbst 2015 als Helfer am Hauptbahnhof, später engagierte er sich in der Unterkunft an der Hofmannstraße. "Hilfe zur Selbsthilfe" nennt er sein Angebot. Denn wenn er den Flüchtlingen auch gerne erklärt, wie man einen Wohnsitz anmeldet: Die Begleitung "bis in alle Lebenslagen" überlässt er anderen, etwa den Ehrenamtlichen des Patenprojektes der Stadt.

Trauern und toben: Stefan Kaaden begleitet Kinder, die ihre Mutter oder ihren Vater verloren haben

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(Foto: Catherina Hess)

Manchmal bleibt die Trauer draußen. Dann toben oder basteln die Kinder in der Gruppenstunde bei "Lacrima", einer Stiftung der Johanniter, die trauernde Kinder begleitet. In anderen Momenten sitzen die Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren zusammen mit Stefan Kaaden, 39, und seinen Kollegen auf dem Boden und zünden im Gedenken an ihre Mutter oder ihren Vater Kerzen an, manchmal gedenken sie eines verstorbenen Geschwisterchens. Sie nennen den Namen, und wenn sie es schaffen, sagen sie auch, woran die Person gestorben ist. Das Kerzenritual soll helfen, die Trauer "sprachfähig" zu machen, wie Kaaden das nennt. Wie man mit trauernden Kindern umgeht, hat er in eigens von Lacrima angebotenen Schulungen gelernt. Denn eigentlich arbeitet Kaaden im Marketing. Weil er einen Ausgleich "mit Wert" suchte, besuchte er 2014 die Münchner Freiwilligen Messe. Am Stand von Lacrima kam er ins Gespräch, weil er sich gut vorstellen konnte, eine Tätigkeit mit Kindern aufzunehmen. Anfangs war er sich zwar nicht sicher, ob er dieser Aufgabe auch gewachsen ist. Doch es zeigte sich: Er ist es. Einfühlungsvermögen erfordert seine Ehrenamt zweifelsohne, ein perfekter Pädagoge müsse man dafür aber nicht sein. "Man muss es einfach machen wollen."

Mit Puppe im Gepäck: Eva-Maria Rattenhuber passt auf kranke Kinder auf

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(Foto: Catherina Hess)

Wenn Eva-Maria Rattenhuber ihre Tasche aufmacht, werden Kinderaugen groß: Pixie-Bücher, Spiele, eine Handpuppe in Gestalt einer kleinen Ente. Das lenkt natürlich ab, denn die Kinder müssen sich erst daran gewöhnen, dass eine fremde Person für sie zuständig ist, sagt Rattenhuber. Und nicht die Eltern. Die 54-Jährige engagiert sich für "Zu Hause gesund werden". Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des häuslichen Betreuungsdienstes springen ein, wenn Kinder krank werden, die Eltern aber nicht von der Arbeit fern bleiben können. Rattenhuber und ihre Kollegen bekommen für die Betreuung eines Kindes eine Aufwandsentschädigung von 6,50 Euro in der Stunde sowie eine Erstattung der Fahrkosten. Für Eltern mit geringem Einkommen gibt es besondere Möglichkeiten der Finanzierung. Im Winter übernimmt Rattenhuber im Durchschnitt zwei Einsätze pro Woche. Die gelernte Zahnarzthelferin ist selbst Oma. Früher arbeitete sie bereits einmal für eine Mittagsbetreuung. Als sie dann eine neue Aufgabe suchte, drückte ihr eine Bekannte den Flyer von "Zu Hause gesund werden" in die Hand.

One, two, three: Marius Cziriak bringt geistig Behinderten Englisch bei

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(Foto: Catherina Hess)

Marius Cziriak, 23, studiert Volkswirtschaftslehre an der LMU, da muss man sich oft in kürzester Zeit viel Wissen aneignen. "Effizienz" ist das Wort, das ihm dazu einfällt. Wenn er aber gemeinsam mit einer anderen Pädagogin geistig Behinderten Englischunterricht gibt, verfolgt der Student einen völlig anderen Ansatz. Sie singen und spielen dann, schauen Filme oder lernen von eins bis zehn zu zählen. "Das ist sehr interaktiv", sagt er. Und damit nicht genug: Einmal im Jahr begleitet er geistig behinderte Menschen außerdem auf eine Freizeit, die die offene Behindertenarbeit (OBA) in der Begegnungsstätte Amalienhof im Chiemgau veranstaltet. Diese Reisen seien für die Leute ein tolles Erlebnis, sagt Cziriak, der über ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zum Ehrenamt gekommen ist. Da bekomme man definitiv etwas zurück - nämlich ganz viel Freude und Lachen. Dass er sich trotz seines jungen Alters für andere einsetzt, überrasche viele Gleichaltrige zwar. Auch könnten sie sich kaum vorstellen, was die Arbeit mit geistig behinderten Menschen bedeutet, sagt Cziriak. Dennoch seien die Reaktionen durchweg positiv.

Ganz nah dran: Ines Wiesner berät verschuldete Familien in Krisen

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(Foto: Catherina Hess)

Seit 18 Jahren übt Ines Wiesner ihr Ehrenamt nun schon aus. Trotzdem lerne sie immer noch dazu, sagt sie. "Jede Familie ist neu, weil jeder Mensch anders ist." Die Münchnerin, 73, arbeitet für die Hauswirtschaftliche Beratung für verschuldete Familien, ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt München und des Vereins für Fraueninteressen. Das klingt nach einem Schreibtischjob, ist es aber nicht: Meistens besucht Wiesner die Familien nämlich zu Hause, manche begleitet sie über Jahre hinweg. Ihre Aufgaben sind so unterschiedlich wie die Probleme, auf die sie trifft. Da geht es nicht nur um das Ordnen von Unterlagen, sondern um ganz konkrete Lebensberatung: Wiesner, früher in der Modebranche tätig, hat sich bereits um schwangere Teenager gekümmert. Aber auch verschuldeten Familien hat sie durch die Insolvenz geholfen. "Ich mag gern schwierige, aussichtslose Fälle", sagt sie. Erfolg hat sie trotzdem oft. Dazu ist Vertrauen notwendig. Und das muss erst geschaffen werden. Wenn sie das erste Mal in eine neue Familie kommt, lässt sie die Leute oft erst einmal erzählen und hört geduldig zu.

Austausch der Kulturen: Assiel Mahmoud leitet eine sudanesische Jugendgruppe

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(Foto: Catherina Hess)

Mit zwei Kulturen aufzuwachsen, kann sehr bereichernd sein, ist aber nicht immer leicht. Für junge Münchner mit sudanesischen Wurzeln gibt es nun zumindest eine Gelegenheit, sich auszutauschen. Assiel Mahmoud hat eine Jugendgruppe des sudanesischen Verein gegründet. Letzteren gibt es schon viele Jahre, Mahmouds Vater ist ihr Vorsitzender. Nun engagiert sich auch die 18 Jahre alte Münchnerin ehrenamtlich. "Ich supporte", sagt Mahmoud, die sich gerade zur Veranstaltungskauffrau ausbilden lässt. Genauer bedeutet das: Sie hält die Gruppe zusammen, verschickt E-Mails und organisiert Treffen, damit die jungen Sudanesen in München ihre Kultur pflegen können. Aber eben so, wie sie es gut finden. Ein Beispiel: Während die Eltern eher die sudanesischen Gerichte bevorzugen, dürfen es bei der Jugendgruppe gerne Burger sein. Beziehungen und Freundschaften sind wichtige Themen, aber natürlich auch Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern. Sich in ihrer Freizeit für den Verein einzubringen, ist für Mahmoud aber selbstverständlich. "Das ist wie eine Familie für mich."

Die Messe

Die "Münchner Freiwilligen Messe" ist kostenlos und findet am Sonntag, 22. Januar, von 10 bis 17 Uhr im Gasteig statt. 85 Organisationen stellen sich vor, damit sich die Besucher besser zurechtfinden, weisen Lotsen mit gelben Schärpen den Weg. Organisiert wird die Messe von der Stadt und der Förderstelle für bürgerschaftliches Engagement. Diese erreicht mehr als 800 Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten. Texte: Franziska Gerlach

Die Münchner Freiwilligen-Agenturen "Tatendrang", "Gute Tat" und "Caritas f-net" werden ebenfalls vertreten sein, Neuzugänge sind die Organisationen "Boxt euch durch München" oder "Vinty's", ein Secondhand-Shop, den die Hilfsorganisation "Aktion Hoffnung" betreibt. Zur Eröffnung der Freiwilligen-Messe wird der syrische Friedenschor singen, es gibt eine Modenschau von "La Silhouette", einem Arbeitsmarktprojekt für junge Mädchen.

Es ist ein regelrechter Markt für bürgerschaftliches Engagement entstanden, und freilich lassen sich hier auch Trends ablesen. Große Bereitschaft zum Engagement zeige zum Beispiel die Gruppe der über 60-Jährigen, erläutert Wouters. Die meisten Ehrenamtlichen sind aber zwischen 30 und 49 Jahre alt, also oftmals berufstätig. Danach folgten die Gruppe der 14- bis 25-Jährigen. Anders als früher wollten die Leute heute gerne eigene Ideen verwirklichen. "Sie haben oft konkrete Vorstellung, was fehlt in der Stadt", sagt Wouters. Eine weitere Beobachtung: "Viele sind in die Flüchtlingsarbeit gegangen."

Hilfe wird aber auch in der Arbeit mit behinderten Menschen und Senioren nach wie vor benötigt. "Neue Entwicklungen aufzeigen, aber auch Bewährtes stärken", lautet daher das Motto der diesjährigen Freiwilligen-Messe. Sandra Bauer zum Beispiel wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für alte Menschen. Bei "Föbe" hilft sie, die Messe zu organisieren. Sie ist aber auch die Leiterin des Projektes "Altern im Alltag", bei dem Ehrenamtliche Münchner Senioren bei Behördengängen oder beim Einkauf begleiten. "Oder sie einfach aus der Einsamkeit rausholen", wie Bauer erzählt. Denn diese Menschen seien ein wenig in Vergessenheit geraten.

Bürgerschaftliches Engagement in ein Schema zu pressen, ist kaum möglich. Auch lasse es sich nicht von der Politik verordnen, sagt Wouters. Damit es sich entfalten kann, braucht es Begleitung und Vernetzung. Viele Organisationen leisten sich inzwischen hauptberufliche Ehrenamtskoordinatorinnen. Eine von ihnen ist Conny Bliemel, die für die offene Behindertenarbeit (OBA) tätig ist. Die Sozialpädagogin empfiehlt auch für das Ehrenamt eine "Probezeit". Es sei nämlich immer gut, sich eine Gruppe oder Tätigkeit mehrmals anzusehen. Dass etwas nicht optimal laufe, könne schließlich immer vorkommen.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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