Derblecken:Fack ju Nockherberg

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2017 mit Polonaise: Rosetta Pedone (Sahra Wagenknecht), Wowo Habdank (Anton Hofreiter), Stefan Murr (Florian Pronold), Stephan Zinner (Markus Söder), Michael Vogtmann (Joachim Herrmann), Christoph Zrenner (Horst Seehofer), Thomas Wenke (Martin Schulz) und Antonia von Romatowski (Angela Merkel). (Foto: dpa)
  • Seit 2013 gestalten Regisseur Marcus H. Rosenmüller, Thomas Lienenlüke als Autor und Gerd Baumann als Komponist und Autor das Singspiel am Nockherberg.
  • Das Trio hob die Veranstaltung auf ein neues Niveau.
  • Rosenmüller und Baumann hören nun aus Zeitgründen auf. Die Nachfolge steht noch nicht fest.

Von Philipp Crone

Kurz bevor das Singspiel auf dem Nockherberg beginnt, legt sich Marcus H. Rosenmüler noch einmal hin. Nebenan im Saal sitzen die Gäste schon, die Politiker in Reihe eins haben sich an ihren Parteitischen versammelt und seelisch auf die kommenden gut zwei Stunden vorbereitet, mit etwas zittrigen Fingern ein paar Salamisteckerl vom Brotzeitbrett verspeist. Es ist bereits warm, stickig und laut im Saal, gleich tritt Luise Kinseher als Mama Bavaria zur Fastenpredigt an.

Wenn Kinseher hochsteigt auf die Bühne, liegt Rosenmüller, auf einer hölzernen Sitzbank, ganz hinten bei den Biertischgarnituren im Nebenraum, und schließt die Augen. Einmal kurz Luft holen, zur Ruhe kommen, bis es gleich losgeht, sein Singspiel. Und im Kopf die Frage: Funktioniert es auch diesmal wieder? Die Musik, die Idee, die Gags, die Botschaft?

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Wahrscheinlich muss ein Regisseur wie Rosenmüller so etwas können, sich inmitten von Hunderten Komparsen, Tänzern, Musikern und Rednern einfach auf eine Holzbank legen und kurz abschalten. Der Mann ist in der Branche ja für mehrere Eigenschaften bekannt. Zum einen kann er mitreißen wie nur wenige. Und zum anderen hat er immer mehrere Projekte gleichzeitig in Arbeit. Derzeit ist das die Nachbearbeitung seines Films "Trautmann" über einen Fußballtorwart, die Vorbereitung des übernächsten Films und dann käme nun eben noch die Vorbereitung auf den Nockherberg dazu.

Von Oktober an sitzen sie da regelmäßig zusammen, Rosenmüller, Thomas Lienenlüke als Autor und Gerd Baumann als Komponist und Autor. Diesmal wurde es zu viel. Am Donnerstag gab Paulaner bekannt, dass die Crew im kommenden Jahr das Singspiel nicht bestreiten kann. "Leider schaffen wir es nicht, den geliebten Nockherberg zu machen", sagt Rosenmüller am Freitag.

"Es war schon länger klar, dass es eigentlich unmöglich wird im kommenden Jahr", sagt Baumann, "aber wir haben es bis zum letzten Moment irgendwie versucht." Dann habe sich ein Film noch verschoben, und es wäre nur noch Stress für alle gewesen. "Denn es ist mehr Aufwand, als man denkt", sagt Baumann. Vier Wochen vor dem Derblecken beginnen die Proben, zwei Wochen vorher kommen die Musiker dazu. Bis sich Rosenmüller dann auf die Bierbank legt und nur noch hoffen kann, dass es wieder funktioniert, sind die Beteiligten einen ganzen Monat nur mit diesem einen Abend beschäftigt. Ein Abend mit einem Singspiel, den dieses Trio auf ein neues Niveau gehoben hat.

Schon im ersten Jahr, 2013, waren die Kritiken überschwänglich. Zuvor hatte Rosenmüllers Vorgänger Alfons Biedermann drei Mal mit einem sehr zahmen Stück keine Gunstpunkte sammeln können. Das Singspiel war vor Rosenmüller mehr Konzert und Gesangsshow als ein Derblecken mit den Mitteln der Musik, Ironie und Inszenierung.

Rosenmüller schickte dann vor fünf Jahren die Politiker in den Wald. Söder alias Stephan Zinner gab seinen reinschleimenden Knecht so, dass er die folgenden Jahre allein schon bei seinem ersten Schritt auf die Bühne bejubelt wurde. Die Politiker wurden im Wald und in der Einsam- oder Zweisamkeit zu normalen Menschen. Aigner schmeißt sich an Seehofer ran, "wir zwei allein im Forst, Horst". Das alles im Nebel auf der Bühne und zu Melodien von Baumann, die ins Ohr gehen und dort bleiben, die modern und traditionell zugleich klingen. Musik, die auch ohne Text etwas zu sagen hat, die etwa Idylle nur suggeriert, eine ironische Grundstimmung erzeugt und manchmal sogar echte Gefühle, Pathos, Trauer, Angst.

Rosenmüller schafft es von Beginn an, eine Atmosphäre zu schaffen, in der er zwar teils beißend derbleckt, dabei aber immer seinen so einmaligen Rosenmüller-Charme behält, dass die echten Politiker in Reihe eins fast andächtig und lernbegierig hochblicken. Aus "Ein Prosit der Gemütlichkeit" wurde "Ein Vorsicht der Gemütlichkeit", mit der Eleganz eines Eiskunstläufers bewegt sich der 44-Jährige über das Glatteis der pointierten Politikkritik.

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2014 liegt Rosenmüller vor dem Singspiel wieder auf seiner Bank, zwei Stunden später stehen die Gäste im Saal und applaudieren mit rhythmischem Klatschen. Solch einen euphorischen Jubel hat es hier noch nicht gegeben. Auf der Bühne wird Faust gegeben, die Politiker zanken sich darum, in diesem Theater im Theaterstück die besten Rollen zu bekommen. 2015 dann ging es für die Politiker in den Weltraum, wo sie selbst auf einmal Flüchtlinge in einer völlig neuen Umgebung sind.

Rosenmüller schafft auf der Bühne, was er auch als Filmregisseur kann: Figuren zu erklären, ihre Motivationen, ihre Geschichte, ihre Ängste. Und wie er das auch bei Seehofer und Co hinbekommt, macht die Faszination dieses Singspiels aus. Die Zuhörer lachen und lernen, die Politiker auch. 2016 ging es ums Über-Ich, mit einem Blick ins Politiker-Gehirn, so umjubelt, dass viele sich fragten, ob man das Stück nicht häufiger als an diesem Abend aufführen könne. In diesem Jahr dann war der "Überbau", wie Baumann das nennt, die Frage: Was ist echt? Was ist Fake und was ist wahr in Zeiten von Trump. Geklonte Abgeordnete liefen über die Bühne, und Rosenmüller hätte sich auch diesmal wieder keine Sorgen machen müssen auf der Bierbank vor dem Auftritt.

Es habe sich zu einer Tradition entwickelt, dass bei der internen Feier nach dem Derblecken am späten Abend auf dem Brauereigelände einige der Derbleckten dazukommen, und die Lieder noch einmal gesungen werden, von Double und Original zusammen, berichtet Baumann.

Wer im Frühjahr das Singspiel inszeniert, ist noch nicht klar laut Paulaner, es werden Gespräche geführt. Vielleicht muss ein radikal anderer Ansatz her, Gerhard Polt allein auf der Bühne oder Christian Stückl mit Monumentalem? Der Einzige, der wohl ohne Weiteres einsteigen könnte, wäre Fack-ju-Göhte-Regisseur Boda Dagtekin. Er müsste die Politiker einfach nur in ein Klassenzimmer stecken, ein undisziplinierter Haufen, angeführt von einem Verbrecher - könnte gehen.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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