Nockherberg:Mama Bavaria hat ausgedient

Luise Kinseher als Mama Bavaria beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg

Luise Kinseher als Mama Bavaria beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg.

(Foto: dpa)

Im Fernsehen und im Internet werden permanent Politiker durch den Kakao gezogen. In diesem Umfeld ist die Salvatorrede auf dem Nockherberg nicht mehr zeitgemäß.

Kommentar von Wolfgang Görl

Es gab Momente in Luise Kinsehers Salvatorrede, in denen man eine richtig zündende Pointe förmlich herbeisehnte, um die langen Phasen der Stille im Saal zu beenden. Es war keine andächtige Stille, sondern eine, die Ernüchterung signalisierte. Übel nehmen kann man es den versammelten Freibiertrinkern nicht, denn es war eine fade Rede. Fad war sie zum einen, weil Kinseher fast durchweg sehr milde mit den Politikern umgegangen ist.

Hätte sie also den Holzhammer auspacken müssen, um hemmungslos draufzuschlagen? Nein, gewiss nicht. Derblecken erfordert Humor und Esprit, statt auf derbe Sprüche setzt der versierte Derblecker auf subtile Hinterfotzigkeiten, die so witzig sind, dass es sich das Opfer nicht erlauben kann, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Diese Art des feinsinnigen Spotts, den Bruno Jonas bei seinen Salvatorpredigten so virtuos zelebriert hatte, kam bei Kinseher zu wenig zum Einsatz.

Wahr ist aber auch, dass der Nockherberg-Redner, egal, wie er heißt, mittlerweile ein armes Schwein ist. Schuld daran sind vordergründig Marcus H. Rosenmüller und Thomas Lienenlüke, die das Singspiel auf ein derart hohes Niveau getrieben haben, dass die Rede beinahe zwangsläufig abfällt.

Aber die Schwierigkeiten reichen noch tiefer. Das Ritual der Starkbierrede entstammt einer Zeit, in der Politiker noch als Autoritäten galten, die man, wenn überhaupt, nur sehr behutsam kritisieren sollte. Auf dem Nockherberg aber, so hat es sich in den späten 1950er-Jahren eingebürgert, herrschte so etwas wie Narrenfreiheit, da durften Redner und Gstanzlsänger ausnahmsweise mal richtig Dampf ablassen.

Unter dem Deckmantel der Tradition - Derblecken als uralter Wirtshausbrauch - konnten sie den Politikern die Leviten lesen, sehr zur Genugtuung der Untertanen, die per Radio und später vor dem Fernsehen daran teilnahmen. Nicht selten verstanden sich die Salvatorredner als Volkes Stimme, und als solche wurden sie auch von den Politikern begriffen.

Heute äußert sich Volkes Stimme in wüster Kakofonie auf Internetforen, zudem gibt es zig mehr oder weniger geistreiche Satiresendungen im Fernsehen, in denen die Politiker permanent durch den Kakao gezogen werden. Der Salvatorredner ist da nur eine Stimme von vielen, er geht unter in der Masse. Hinzu kommt, dass die Netz-Community dazu tendiert, Hasstiraden, Beleidigungen und Beschimpfungen als Ausweis kritischer Politkompetenz zu betrachten. Derartige Unflätigkeiten erwarten die Trolle dann auch von anderen.

Dass Luise Kinseher dabei nicht mitmacht, muss man ihr zugute halten. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Salvatorrede noch zeitgemäß ist. Als einzigartiges Instrument, Politiker mit satirischen Mitteln bloßzustellen, hat sie ausgedient. Eigentlich könnte man sie abschaffen - und die dabei gewonnene Zeit dem Singspiel überlassen, das viel besser geeignet ist, die Zumutungen der Gegenwart kritisch und witzig vorzuführen.

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