Flughafen München:Alle Startbahn geht vom Volke aus

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SZ-Grafik: Lisa Bucher (Foto: N/A)

Der CSU-interne Streit über den Ausbau des Münchner Flughafens zeigt: Nur in Phasen eigener Schwäche erinnert sich Politik daran, wer in einer Demokratie das Sagen hat.

Von Heribert Prantl

Das Volk ist Träger der Staatsgewalt; so steht es ganz vorne in der bayerischen Verfassung. Und das Grundgesetz schreibt, beinah lyrisch, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. "Bloß - wo geht sie denn dann hin?", hat Bert Brecht gefragt, als er über dieses "Ausgehen" der Staatsgewalt nachgedacht hat. In Bayern war und ist die Antwort einfach: Sie geht in der Regel hin zur CSU und kommt von dort nur selten zurück. Das war und ist ein ziemlich unkompliziertes und bisweilen sogar erfolgreiches Modell - funktioniert aber nur dann, wenn klar ist, wer die CSU ist, wer also dort den Ton angibt. Wenn die CSU uneins ist, wenn sie sich in einer wichtigen Frage partout nicht einigen kann, wenn sie gespalten ist - dann herrscht staatsgewaltiger Stillstand.

So war und ist das beim großen Streit über die dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Die CSU-Landtagsfraktion will diese Startbahn; der Finanzminister, der dem Aufsichtsrat der Flughafen München AG vorsitzt, will sie auch. Aber der Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer weiß es nicht so genau oder sagt es zumindest nicht. Er entscheidet vorerst nicht, weil er die Startbahn für unpopulär hält - und das wird von Vielen als Absage an die Startbahn empfunden.

Seehofer propagiert die "Koalition mit dem Bürger" - nur mit welchem?

51 Prozent hält der Freistaat Bayern an der Flughafen GmbH; aber diese Mehrheit findet zu keiner Entscheidung. Die Beteiligten spreizen sich ein, aber es rührt sich nichts, weil Seehofer sich nicht bewegt. Alle Planungen sind fertig, alle Einsprüche sind entschieden, alle Gerichte bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht haben für die Startbahn entschieden. Aber der Widerstand gegen das Projekt hält an.

In dieser Situation sucht Horst Seehofer Hilfe und Verstärkung beim Volk. Die Situation rund um den Flughafenausbau ist aber so vertrackt, dass dabei gleich zwei Instrumentarien genutzt werden könnten, um Volkes Wille zu erfragen. Die erste Variante: Seehofer könnte darauf setzen, dass noch einmal, wie schon 2012, ein Bürgerentscheid in München initiiert wird. Der Entscheid ging damals negativ für die Startbahn aus. Weil die Stadt 23 Prozent an der Flughafen GmbH besitzt, widersetzt sie sich mit Verweis auf das Votum dem Ausbau, auch wenn dessen juristische Bindungswirkung im Jahr 2013 schon abgelaufen ist. Sollten die Münchner diesmal pro Ausbau stimmen, wäre das der einfachste Weg zur Startbahn. Doch wenig spricht dafür, dass sich die Stimmung im Münchner Volk seit 2012 gravierend geändert hat.

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Seehofer erinnert sich aber auch daran, dass er gern die "Koalition mit dem Bürger" propagiert und deshalb ein Gesetz zur Einführung von bayernweiten Volksbefragungen hat schreiben lassen. Das wäre eine zweite Variante. Diese bayernweiten Volksbefragungen sind, anders als Volksbegehren und Volksentscheid, keine Initiativen von unten, sondern Initiativen von oben: Staatsregierung und Landtag können durch übereinstimmende Beschlüsse eine Volksbefragung über Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung initiieren. Demokratie von oben, nennen das die Juristen. Die Möglichkeit einer solchen Volksbefragung steht seit einem Jahr (nein, nicht in der Bayerischen Verfassung, sondern, was etwas seltsam ist) im Landeswahlgesetz. Bayerns Grüne und SPD haben gegen die Einführung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt, demnächst dürften die Richter entscheiden. Wenn Seehofer das bayerische Volk über den Münchner Flughafen abstimmen ließe, würde das neue Gesetz zum ersten Mal genutzt.

Dabei ist "abstimmen" genau genommen das falsche Wort. Denn eine solche "Volksbefragung" hat keine rechtliche Bindungswirkung, sie ist nicht auf eine Entscheidung angelegt, sondern ist eine Art Meinungsforschung per Urne. Sie ist, schrieb Mario Martini, Professor für Verwaltungsrecht in Speyer, in der Zeitschrift für öffentliches Recht, ein "informelles Stethoskop der Demokratie, das den Herzschlag des Volkes abhört, bevor es zu einem Infarkt im politischen System kommt". So eine Beschreibung dürfte Seehofer gefallen.

Eine rechtliche Bindungswirkung hat das Ergebnis dieser Volksbefragung für niemanden - aber die faktische Bindungswirkung ist stark. Kaum ein Politiker wird es sich leisten können, sich über das Ergebnis der Befragung hinwegzusetzen. Und wenn die Volksbefragung gegen die Startbahn ausfällt, wie das Seehofer wohl glaubt, dann wäre dies das endgültige Ende der Pläne für eine dritte Startbahn. Aber auch die Befürworter der Startbahn könnten sich womöglich für eine Volksbefragung erwärmen: Haben die Baden-Württemberger, als sie zu den Urnen gerufen wurden, nicht für das dortige Bahngroßprojekt, für Stuttgart 21, gestimmt?

Die Abstimmung über Stuttgart 21 hatte dort erstaunlich befriedende Kraft. Diese positive Erfahrung stand Pate für das Gesetz zur Einführung einer Volksbefragung in Bayern. Die Abstimmung in Baden-Württemberg war allerdings eine echte Abstimmung - ein Volksentscheid. Es war die Abstimmung über ein Gesetz, das S-21-Kündigungsgesetz. Soll das Land, so lautete die Frage, aus ihrer Beteiligung an der Finanzierung des Projekts aussteigen. Die Antwort des Volkes war klar: Nein!

In München geht es nicht um so ein Gesetz; niemand will, dass das Land Bayern die Beteiligung am Flughafen aufgibt. Es geht um eine exekutivische Maßnahme, um den Bau einer Startbahn und die Zustimmung dazu. Das Ergebnis einer Volksbefragung wäre juristisch noch keine definitive Entscheidung, es wäre nur Grundlage für die politische Entscheidung durch die Staatsregierung. Das unterscheidet Baden-Württemberg und den Volksentscheid über den Bahnhof dort von Bayern und die Volksbefragung über die Startbahn da.

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Aber der Volksentscheid dort hält eine Antwort parat für ein Problem, das in Bayern die Leute umtreibt: Welches Volk darf denn gegebenenfalls abstimmen? Nur das Volk der Münchner, weil die Stadt Anteile am Flughafen hält? Oder das Volk der Flughafenanlieger, die bislang gar nicht gefragt wurden? Und wer ist Anlieger? Oder darf ganz Bayern abstimmen? Und ist dann die Stimme des Aschaffenburgers, der ja vom Flughafen sehr weit weg wohnt, genauso gewichtig wie die des Einwohners im Freisinger Stadtteil Attaching, der ziemlich unbewohnbar wird, wenn die dritte Startbahn kommt? Sollte man hier nicht verschiedene Betroffenheiten unterscheiden und das Stimmrecht je nach Betroffenheit gewähren oder gewichten?

Politikern bleibt es nicht erspart, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen

Demokratietheoretisch sind solche Überlegungen hochspannend. Praktisch führen sie in Teufels Küche. In Baden-Württemberg waren deshalb alle Wahlbürger abstimmungsberechtigt - die in Stuttgart genauso wie die in Schwäbisch Hall und in Lörrach. In Stuttgart gingen freilich dann unter dem Eindruck der monatelangen Auseinandersetzungen weit mehr Wahlberechtigte zur Abstimmung als anderswo. Im Rheingraben haben prozentual nur halb so viele abgestimmt wie in Stuttgart - die wirklich Interessierten und die wirklich Engagierten. Das macht so eine landesweite Abstimmung unkalkulierbar. Vielleicht wäre die Volksbefragung im Fall der Münchner Startbahn so wenig kalkulierbar wie früher ein Gottesurteil.

Wenn es um die Startbahn geht, gibt es freilich gleich mehrere Götter. Da ist zum einen das göttliche bayerische Volk; da ist zum anderen das göttliche Volk von München. Das bayerische Volk könnte demnächst, wenn sich Seehofer und die CSU nicht mehr anders zu helfen wissen, in seiner Gesamtheit zu den Urnen gebeten werden. Das göttliche Münchner Volk hat, wie gesagt, diese Prozedur schon hinter sich - eben mit seinem Bürgerentscheid von 2012 und dem deutlichen Nein. Die Münchner Abstimmung bindet die Stimme Münchens im Aufsichtsrat der Flughafen GmbH; eine gesamtbayerische Befragung beträfe die Stimme Bayerns im Aufsichtsrat. Aber wenn ein neues Münchner Votum negativ ausfällt, wäre das auch für Seehofer ein guter Grund, ein bedauerndes "Kann man nichts machen" zu sagen.

Auch wenn die Stadt München wegen Ablauf der Bindungswirkung der Abstimmung von 2012 zur Blockade des Startbahnbaus nicht mehr verpflichtet ist: Eine gute Begründung dafür, bei der Ablehnung zu bleiben, ist die Abstimmung von 2012 natürlich trotzdem. Das Münchner Volk hat gesprochen - und der Spruch hallt noch nach; und der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter folgt diesem Hall. Eine nochmalige Münchner Abstimmung wäre daher eher Hilfe für den zaudernden Seehofer als für Reiter.

Wie man sieht: Man kann in Sachen Flughafen einen regelrechten Abstimmungskrieg inszenieren. Er erspart den Politikern aber nicht, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen. Plebiszite sind eine gute Sache, wenn sie Bürger frühzeitig in geplante Großprojekte einbinden und so Konflikte rechtzeitig entschärfen. Befragungen freilich, die nur aus politischer Schwäche durchgeführt werden, machen die Demokratie nicht stärker.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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