TV total: Quotenschwund:Stefan Raab - der Maulheld hat Probleme

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Stefan Raab soll der ARD junges Publikum verschaffen. Dabei kämpft er selbst bei TV total auf Pro Sieben mit schwindenden Quoten.

Rupert Sommer

Unter Trümmerfrauen oder unter Träumern? Diese Frage muss sich Volker Herres stellen lassen. Der ARD-Programmdirektor ist mit der Verpflichtung von Stefan Raab für die bislang unerhörte Affäre von ARD und Pro Sieben weit über den Gremien-Schatten gesprungen.

"Wir sind Trümmerfrauen" - Stefan Raab soll den Eurovision Song Contest retten. (Foto: Foto: AP)

"Eine Liebesheirat", spottet Raab über die halbseidene Alliance, die erst nach langem Gezicke zustande kam. Traut geeint geht es nun mit Unser Star für Oslo in die Flitterwochen, die am 2. Februar auf Pro Sieben anlaufen.

Spaßmacher Raab bringt als Mitgift patriotischen Furor mit: Für seine vollmundige Mission, Deutschland in der Länderwertung der Eurovisions-Fans aus dem Tal der Tränen zu holen, bemühte er wuchtiges Vokabular: "Wir sind Trümmerfrauen,", sagte er auf einer Pressekonferenz in Berlin. "Für uns gilt es, den Eurovision Song Contest wieder aufzubauen und blühende Landschaften zu schaffen." Volker Herres saß im Hintergrund. Ob er errötete, ist nicht überliefert.

Noch im Frühjahr 2009 hatte sich Raab, wie es sich für wählerische Bräute gehört, durch Widerspenstigkeit für seinen ARD-Galan interessant gemacht. "Die Entscheidungswege in der ARD sind derart kompliziert, dass sie mit unserer Arbeitsweise nicht vereinbar sind", blaffte er - und wies so erste Annäherungsversuche aus der schmachtenden ARD-Unterhaltungsabteilung zurück.

Profane Produzentennöte

Mit einem koketten "Na also, geht doch", kommentierte Raab die Verlobungsankündigung Ende Juli, als Brautwerber wie ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber alle Heiratsformalitäten unter Dach und Fach gebracht hatten. Wie vor jedem großen Familienfest, einer "Liebesheirat" im Besonderen, flattern nun die Nerven - oder sollten es zumindest.

Was ist, wenn die ARD vielleicht doch den völlig falschen Mann für Oslo erwählt haben sollte? Was, wenn sich der Traum vom Wiederauferstehen aus rauchenden Eurovisions-Ruinen in einen Albtraum verwandeln könnte?

Legt man die rosarote Brille kurz zur Seite, steht Raab derzeit im Licht unerbittlicher Quoten-Tatsachen alles andere als strahlend da. Der ausgebildete Metzger, der seit 1999 mit seiner lange erfolgsverwöhnten Pro-Sieben-Show TV total Fernsehgeschichte schreibt, muss sich derzeit mit sehr profanen Produzentennöten herumschlagen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Stefan Raab in der ARD gelobt wird.

Stefan Raab und seine Ideen
:Der Tausendsassa

Peinlichkeiten als Methode: Stefan Raab kennt keine Grenzen - und sieht sich doch immer wieder selbst als Sieger.

Seine immerhin mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Unterhaltungssendung, vier Mal werktags auf Sendung, erweist sich aktuell als recht schwindsüchtig. Die am Montag auf 22:10 Uhr vorverlegte Sendung zum Wochenauftakt tut sich besonders schwer - am schwarzen Montag, dem 11. Januar 2010, sackte sie mit nur 670.000 für die Werbeindustrie interessanten 14- bis 49-jährigen Fans auf einen jämmerlichen Marktanteil von 6,5 Prozent ab. Zum Vergleich: Der aktuelle Senderschnitt von Pro Sieben liegt bei mehr als elf Prozent.

Auch auf der Sendeschiene ab 23:15 Uhr erzielt TV total derzeit nur rund neun Prozent bei den sogenannten Werberelevanten. Und ausgerechnet auf die Anerkennung dieser jüngeren Zuschauer hatte die ARD ja spekuliert.

In den acht Live-Sendungen Unser Mann für Oslo werden die Raab-Fans umgarnt, die der Pop-Zampano vor allem im Rahmen der Montagsausgabe von TV total einnorden sollte. Auch ohne Raab-Hilfe kommt die ARD derzeit schon auf einen Zielgruppen-Marktanteil (14 bis 49 Jahre) von 7,0 Prozent. Was also, wenn man sich in Raab getäuscht hat?

"Auf mich macht Stefan Raab einen sehr lebendigen und sehr kreativen Eindruck", stellt sich der ARD-Programmdirektor in seltener Fürsorge schützend vor den Mann, der sich vom Pro-Sieben-Flegel zur Lichtgestalt gewandelt hat. "Wer sich wie er als Trümmerfrau des Eurovision Song Contests bezeichnet, der krempelt die Ärmel hoch und packt die Sache richtig an", lobt Herres.

Ehrgeiziges Zirkeltraining

Die aktuell nicht gerade euphorisierenden TV-total-Quoten beunruhigen ihn dagegen nicht. "Stefan Raab soll ja keine tägliche Late Night im Ersten moderieren", sagt Herres, "sondern er sitzt der Jury von Unser Star für Oslo vor. Auch wenn der Begriff bisweilen überstrapaziert wird, würde ich die acht Shows guten Gewissens als ein Event bezeichnen. Events kann Stefan Raab bekanntlich besonders gut und besonders erfolgreich."

Tatsächlich entwickelte der umtriebige TV-Unternehmer aus seinem zunehmend erschlafften Kraftzentrum TV total erfolgreiche Einzel-Events. Doch Veranstaltungen wie das TV total Turmspringen, die TV total Stock Car Crash Challenge oder die Wok-WM - von Raab dreist als "Dauer-Werbesendung" etikettiert und entsprechend lukrativ vermarktet - zählten bislang nun nicht gerade zu dem, was man bei den Öffentlich-Rechtlichen als salonfähige TV-Unterhaltung ansah.

" TV total ist nach wie vor die Mutter aller großen Event-Shows von Stefan Raab auf Pro Sieben", sagt Christoph Körfer, einer der Pro-Sieben-Geschäftsführer und Sendersprecher. Aber täuscht die Freude über Raabs TV total-Derivate - der auch das ehrgeizige Zirkeltraining Schlag den Raab zugerechnet werden muss - nicht längst über die Schwächen des Ursprungsformats hinweg?

Lesen Sie auf der nächsten Seite über die Spekulationen von Raabs Heimatsender.

"Mit Sicherheit hat TV total den Zenit nicht mehr vor sich", bilanziert Petra Gnauert, Chief Operation Officer der Mediaagentur Zenithoptimedia, Raabs aktuelle Quotenmisere trocken. Im Auftrag der Markenartikel-Industrie muss sie für ihre Werbekunden die Attraktivität des Pro-Sieben-Klassikers stets im Auge behalten - und kommt zu einem eher ernüchternden Fazit.

Media-Expertin Gnauert erhofft sich allerdings durchaus eine Eurovisions-Belebung, die auch Pro Sieben und nicht nur der ARD zugutekommen könnte. "Ein Umfeld wie Unser Star für Oslo wird dem Format noch einen Reichweiten-Schub verleihen", sagt sie voraus, "auch wenn das Niveau nach dem Finale am 12. März nicht gehalten werden kann."

Quotenschwäche?

Darauf, dass nicht nur Raab der ARD weiterhilft, sondern die neue Dienstagssendung auch dem Sorgenkind TV total wenigstens zeitweise wieder auf die Sprünge hilft, spekuliert man allem Anschein nach auch bei Raabs Heimatsender.

"Die Verlegung von TV total am Montag und Dienstag auf den früheren Sendeplatz ist eine vorläufige Programmierung und hängt mit dem Start von Unser Star für Oslo zusammen", sagt Pro-Sieben-Mann Christian Körfer und versucht damit die durch die Umprogrammierung bedingte Quotenschwäche zu relativieren. "Mit dem Ende von Unser Star für Oslo rückt TV total auch montags und dienstags wieder auf den gewohnten Sendeplatz um 23:15 Uhr zurück", kündigt er jetzt schon an.

Grenzziehungen des guten Geschmacks verwischen

Dass zwischen öffentlich-rechtlichem Fernsehen und den Privatsendern gerade im Unterhaltungsbereich die gewohnten Grenzziehungen - auch jene des guten Geschmacks - verwischen, kommt immer öfter vor. Erst vor wenigen Tagen holte sich ZDF-Moderationsdino Thomas Gottschalk bei Wetten, dass..? die Pro-Sieben-Entertainerin Heidi Klum ins Boot - und merkte viel zu spät, dass die ihm eiskalt das Ruder aus der Hand nahm.

Im Falle der ARD-Musikkooperation ist nicht ganz eindeutig, wer stärker von der "Liebesheirat" profitieren könnte - die leidgeplagten ARD-Unterhalter oder Deutschlands zweitbekanntester Pop-Titan?

Wenigstens hat es Raab jetzt schwarz auf weiß, dass ihm die ARD-Chefetage fast alles zutraut - auch erfolgreiche Trümmerarbeit. Man weiß ja nie, wofür so ein Arbeitszeugnis noch einmal gut ist.

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