TV-Kritik: "Unser Song für Deutschland":Bömbchen in der Bridgerunde

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"Vielleicht ist es die Angst vor Stefan": Jurymitglied Barbara Schöneberger und Moderator Matthias Opdenhövel versuchen mit Widerworten, Stefan Raabs zähe Liveshow aufzulockern. Ach ja, am Ende steht auch ein Lied.

Rupert Sommer

Mit den leider gar nicht prophetischen Worten "... den werdet Ihr noch so oft hören" bedankte sich Lena beim Fernsehpublikum des Finales von Unser Song für Deutschland (USFD). Die Zuschauer hatten den Siegertitel "Taken by a Stranger" gewählt, mit dem Lena nun beim Eurovision Song Contest antreten wird. Die Dauerberieselung kann beginnen.

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Moderator, Jurymitglied und Lena-Entdecker Stefan Raab muss nicht mehr im Kameralicht knallrot werden, wenn er sich für seine Geschäftsinteressen rhetorisch in die eigene Tasche schwindelt. Moderator Matthias Opdenhövel ist dank schlagfertiger Sprüche - und einigen Schienbeintritten gegen seinen Ziehvater Raab - in einer auch ohne Werbepausen, dafür mit 15 Minuten Überziehungszeit erneut zähen Liveshow einer öffentlich-rechtlichen Familienshow-Karriere noch ein Schrittchen näher gekommen.

Und Jurymitglied Barbara Schöneberger, die im Auftrag der ARD ein wenig die kratzbürstige Raab-Kritikerin spielen durfte, hat die allzu boshaften Spitzen heruntergeschluckt - und sich letztlich sogar für die Düsseldorfer Background-Tanztruppe angeboten. Wenn es um Aufgaben von nationaler Tragweite geht, muss man eben zusammenhalten: "Vorne schießt man die Tore", zitierte Raab aus seinem privaten Sport-Wörterbuch der Ehrgeizlinge.

Dem frisch gekürten USFD-Gewinner, den er gebetsmühlenartig als "seinen Favoriten" angekündigt hatte, rechnet er gute Chancen aus. Drei Mal war das geheimnisvoll anmutende Lied des Produzententrios Nicole Morier, Gus Seyffert und Monica Birkenes in der Finalfassung zu hören. Jedes Mal wurde das Publikum zu rhythmischem Beifallklatschen animiert. Jetzt ist sich Raab sicher, dass der Song einschlagen wird - "wie wenn man eine Wasserbombe in eine Oma-Bridge-Runde wirft". Recht klar ließ die Wortwahl durchblicken, wie tief gefühlt seine Sympathie für das etwas reifere Publikum auf dem öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsdampfer ist, dessen Bühne der ProSieben-Mann betreten hat und nun nicht mehr freigeben will.

Zu verlieren hatte Raab - trotz viel Kritik an der über drei Sendungen gestreckten Dauerwerbeveranstaltung für Lenas neues Album - diesmal ohnehin nichts. Zur Auswahl standen für den cleveren Selbstvermarkter zwei Szenarien, die ihn beide unter Garantie ins Düsseldorfer Rampenlicht - vor erwarteten 120 Millionen Zuschauern europaweit - führen: Entweder würde er sich mit einem seiner beiden eigenen Lena-Songs dem lahmen "What Happened to Me" oder dem nur geringfügig schmissigeren "Mama Told Me" obsiegen. Oder aber ein Nicht-Raab-Song wie "Taken by a Stranger" würde gewinnen, was ihm den direkten Durchmarsch sichert. Nun kann Stefan Raab wie geplant die Moderation der Show übernehmen und muss nicht getreu der Grand-Prix-Regeln zurückstecken, weil er selbst am Kandidaten-Song mitgeschrieben hat. Da Lena mit der etwas zu getragenen Ballade "Push Forward" (vom Berliner Songschreiber-Duo Daniel Schau und Pär Lammers) gegen "Taken by a Stranger" ins Rennen geschickt wurde, konnte Raab schon in der Schlussrunde entspannen.

Wenngleich er den Song-Contest abschätzig als "unglaubliches musikalisches Gemetzel" bezeichnete, ist seine große Genugtuung jetzt schon zu erahnen, wenn er beim wichtigsten und teuersten ARD-Ereignis des Jahres als Moderator nach dem Mikro greift - und nicht am Ende vielleicht sogar noch Opdenhövel.

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Der eröffnete den Songsuch-Abend so nonchalant, als wäre er längst ARD-Programmplaners Liebling. "Immer schön", sagte er eingangs brav, "nach der Tagesschau Hallo sagen zu dürfen." Die Zeit der Berührungsängste ist jedenfalls vorbei: Im Trailer-Block nach der Show wurde bereits dafür getrommelt, dass der spitzzüngige Ostwestfale bei der ARD-Sendung Frag doch mal die Maus wiederkehrt - an der Seite von Barbara Schöneberger übrigens.

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Mit der hatte Opdenhövel in der Sendung eine Allianz der Spötter gebildet. Während die ARD-Repräsentantin, Co-Moderatorin Sabine Heinrich, eingenordet wirkte, keine Kritik an den Songs hören wollte und in der totalen Raab-Show als Stichwortgeberin fungierte, parierten die beiden Routiniers wenigsten gelegentlich mit Widerworten.

Schöneberger deutete etwa dem Fernsehpublikum an, wie perfekt kontrolliert die Gefühlsaufwallungen in dem Brainpool-Studio wirkten. Den Applaus für den Raab-Song "It Happened to Me" führte sie nämlich auf pure Einschüchterung im Saal zurück. "Vielleicht ist es ja nur die Angst vor Stefan", scherzte sie. Getreut der Devise "Lieber klatschen, bevor Sie hier rausfliegen."

Ähnlich respektlos ging Opdenhövel mit seinem Meister um. Als Raab, der es als ehemaliger Grand-Prix-Teilnehmer eigentlich besser wissen müsste, davor warnte, dass es angeblich geltungssüchtige Chinesen gibt, die beim europäischen Singwettbewerb unbedingt gewinnen wollen und deshalb "ihre eigenen Sprengkörper mitbringen", bot ihm Opdenhövel spontan einen Weltatlas zum Geschenk an.

Später legte er sogar noch eine Schippe nach und lobte den Jurypräsident Raab spitzbübisch, aber herablassend: "Wenn Stefan auf seine Mama gehört hätte", so der USFD-Moderator, "dann wäre er heute noch Metzger - und jetzt sitzt er hier." Und als Raab die Lobhudelei für den Siegersong "Taken by a Stranger" zu dick auftrug ("modernes 'Peter und der Wolf'", "wie ein Krimi", "Wasserbombe"), erlaubte es sich Opdenhövel trocken zusammenzufassen und dem Pathos Paroli zu bieten: "Vielleicht hat Stefan den Song ja auch schon zu oft gehört."

Wie wahr. Und wie wohltuend, dass es zum "Finale des Finales" (O-Ton der um Haltung bemühten Moderatoren) mit zwölf Liedern, die mittlerweile jeder Zuschauer mitsingen kann, ohne allzu tief berührt zu werden, sogar doch noch einen Überraschungssong gab. Und der hob sich endlich angenehm von der lauen Lena-Phonie ab: Ausgerechnet Jury-Mitglied Adel Tawil von der Band Ich + Ich, der ansonsten brav in den säuselnden Lobeskanon eingestimmt hatte, lieferte so den subversiven Schlusskommentar zur Sendung.

Als er zum Zeitüberbrücken auch noch auf die Bühne gerufen wurde, gab er seinen aktuellen Hit "Hilf mir" zum Besten. Der wirkte poppig, schmissig und deutsch, riss das Publikum mit - und wiederholte eine Liedzeile, die Lena lieber nicht auf sich beziehen sollte. "Siehst Du nicht, ich gehe schon unter", sang Tawil. Das war nun definitiv kein Raab-Song für Deutschland.

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