TV-Kritik: Beckmann:Freie Fahrt für Grube

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Bahnchef Grube muss sich bei Beckmann nach dem Zugunglück in Sachsen-Anhalt erstaunlich wenig rechtfertigen. Unterdessen sind die Ermittler bei der Suche nach der Unglücksursache offenbar vorangekommen.

Marlene Weiss

Am Samstagabend ist es in Sachsen-Anhalt zu einem katastrophalen Zugunglück gekommen. TV-Moderator Reinhold Beckmann machte den Unfall spontan zum Thema seiner Sendung - die Diskutanten hatte die Redaktion zum Teil ohnehin schon eingeladen, der Auftritt von Bahnchef Rüdiger Grube war bereits vor dem Unglück vereinbart worden.

Nach der Bahnkatastrophe von Hordorf: Bei Talkmaster Beckmann musste sich Bahnchef Rüdiger Grube (Foto) erstaunlich wenig rechtfertigen. (Foto: dapd)

Statt des ursprünglich geplanten Kreuzverhörs über die Unfähigkeit der Bahn, mit der hiesigen Witterung zurechtzukommen, sollte es nun jedoch zunächst um den Unfall bei Hordorf gehen.

Bei dem Zusammenstoß zweier Züge waren am Samstagabend zehn Menschen gestorben, 23 weitere wurden teils schwer verletzt. Inzwischen sind die Ermittler bei der Suche nach der Ursache für das Unglück offenbar einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die Bild-Zeitung zitiert aus einem Bericht des Verkehrsministeriums, wonach der Zugführer des Güterzugs vor der Kollision mit dem Regionalzug zwei Haltesignale übersehen haben soll.

Der Unfall bei Hordorf ist eines der schwersten Zugunglücke in der Geschichte Deutschlands. Dennoch: Bei Beckmann war Bahnchef Grube weniger Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, als wenn er sich wegen Klimaanlagen oder Verspätungsdurchsagen erklären muss.

Schon bei der Eröffnung der Sendung stellt Moderator Reinhold Beckmann klar, dass die beiden betroffenen Züge nicht zur Deutschen Bahn gehören, sondern von Wettbewerbern betrieben wurden - der Personenzug von der Veolia Verkehr GmbH, der Güterzug von den Verkehrsbetrieben Peine-Salzgitter. Die Deutsche Bahn betreibt zwar über ihre Tochter DB Netz AG das Gleis, auf dem die beiden Züge aufeinanderprallten, aber diese Beteiligung spielt Grube schnell herunter und beeilt sich lieber, die Solidarität in der Not mit den Konkurrenten zu betonen.

"Ob Wettbewerber oder nicht, wir halten alle zusammen", sagt Grube mit gefasster Miene, und bedankt sich, auch wenn er nicht unmittelbar betroffen sei, bei allen Mitarbeitern für die Aufräumarbeiten. Mit seiner Ankündigung, dass die Bahn jetzt schleunigst auf eigene Kosten Sicherungssysteme auf eingleisigen Strecken nachrüsten und nicht auf Bundesministerien warten werde, schafft Grube es sogar in die Tagesthemen vor der Ausstrahlung der Talkshow.

Weniger leicht hat es Andreas Trillmich, Regionalleiter Nord-Ost der Veolia Verkehr - von der Peine-Salzgitter AG wollte sich niemand der Kamera stellen. Trillmich wird aus Dresden zugeschaltet, und seine Mimik bewegt sich kaum. Was soll er auch sagen? Die Aufräumarbeiten sind soweit abgeschlossen, berichtet er und wiederholt es gleich, weil es so gut klingt. Die spontan angebotene Hilfe der Bahn bei der psychologischen Betreuung der Opfer habe man gerne angenommen, zu Spekulationen über den genauen Unfallhergang will er sich nicht äußern.

Indusi und PZB: Fachmann Beckmann

Das übernimmt Moderator Beckmann gern. Er hat sich vorbereitet, diverse relevante Zahlen griffbereit, und mit PZB, der "punktförmigen Zugbeeinflussung", in Fachkreisen auch als Indusi bekannt, kennt er sich aus. Der Zuschauer indes noch nicht, also fragt Lehrer Beckmann ermunternd in die Runde: "Wer kann das erklären?" Und Karl-Peter Naumann, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, führt aus, wie Warntöne, automatische Bremssysteme und Schutzweichen Zugzusammenstöße verhindern - dort, wo die Gleise entsprechend ausgerüstet sind, aber gesetzlich vorgeschrieben ist das nicht, so dass noch etwa 350 eingleisige Schienenkilometer ohne das Sicherungssystem befahren werden. Das soll sich jetzt ändern, beteuert Grube, die Untersuchungen hätten bereits begonnen. Und wieder sind sich alle einig.

Nach zwanzig Minuten des quälend harmonischen Einvernehmens erinnert Beckmann den Bahnexperten Christian Böttger an seine Kritik an der Sparpolitik der Bahn. Allein, es ist vergebens. "Ich stehe zu der Kritik, dass die DB falsche Investitionsschwerpunkte gesetzt hat", räumt Böttger ein, aber darin die Ursache für das Unglück zu suchen, sei vermessen. Immerhin sei die Bahn nach wie vor viel sicherer als der Straßenverkehr. Grube nickt anerkennend. Und Fahrgastvertreter Naumann stimmt ein: "Der Ton bei der Bahn hat sich deutlich geändert", lobt er, das Verhalten der Bahn etwa bei den Hitzeopfern des vergangenen Sommers sei vorbildlich gewesen. Bei Temperaturen von mehr als 40 Grad in den Zügen waren Fahrgäste scharenweise kollabiert. Naumann greift zum Wasserglas.

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:Täglich grüßt die Murmelrunde

Die ARD hat fleißig eingekauft in den vergangenen Monaten. Nun sind die Moderatoren da - aber wann sollen die eigentlich alle senden? Der Dienstplan steht fest und hat wohl Auswirkungen auf Sat 1.

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Endlich ist wenigstens das ersehnte Stichwort gefallen. "Hat sich die Bahn kaputtgespart?", fragt Beckmann eilends. Aber der Schuldige ist ja bekannt: Es sei der Kunde, erklärt Grube, der Kunde, der nach internationalen Mobilitätsketten frage und alles aus einer Hand haben wolle. Und trotzdem habe die Bahn 43 von 44 Milliarden Euro Investitionen über die kommenden Jahre in Deutschland verplant. Diese Zahl meißelt der Bahnchef mit der Hand in die Studioluft. Das Brot-und-Butter-Geschäft, darauf komme es an. Und Böttger pflichtet ihm bei, ja, internationale Mobilitätsketten findet er auch gut. Grube nickt wieder. Aber dann, endlich, doch noch etwas Konfliktpotential: Böttger weist darauf hin, dass die Bahn in der internationalen Logistik nicht einmal die Zinsen für ihre Investitionen verdiene, aber dafür die Gewinne aus dem Personenverkehr abschöpfe. Und Naumann erwähnt die umstrittenen Investitionen der Bahn in Großbritannien. Die passende Zahl hat Beckmann auf seinem Zettel stehen: 1,8 Milliarden Euro hat die Bahn in den britischen Konzern Arriva investiert, während in Deutschland Ersatzzüge fehlten.

Grube verweist kryptisch auf die Unfairness, die die Bahn daran hindere, überall an der Öffnung der Märkte teilzuhaben, und auf die Dividende, die die Bahn dem Bund überweise. Statt auf den Streit um eben diese Dividende einzugehen, sucht Beckmann Hilfe bei Böttger: "Sie schütteln die ganze Zeit mit dem Kopf, jetzt aber mal raus hier!" Der wiederholt stoisch seine Kritik: Mit den internationalen Investitionen verdiene die Bahn kein Geld, Punktum.

Leider wird der Vorwurf auch beim zweiten Mal nicht aufgegriffen. Für die technischen Probleme und den Zugmangel könne man nichts, beteuert Grube, daran seien die Hersteller schuld, mit ihren Konstruktionsmängeln und Lieferverzögerungen. Ja, da kann man nichts machen.

Angst im Stehen

Statt dieser Behauptung nachzugehen, verliert sich das Gespräch von da an in Belanglosigkeit. Jeder darf einmal erzählen, wie das früher war; man spricht von verfallenden Bahnhöfen, bei denen Ehrenamtliche die Hecken pflegen. Dann soll es eigentlich um die Witterungsprobleme der Bahn gehen, das lässt jedenfalls ein eingespielter Film vermuten. Stattdessen fragt Beckmann jedoch eine eigens eingeladene Bahnkundin, die die Fahrt von Hamburg nach Bonn trotz Reservierung stehend verbringen musste, ob sie sich dabei sicher gefühlt habe. Nein, antwortet diese drehbuchgemäß, unbeirrt von der absurden Frage. "Kein Einzelfall!", triumphiert Beckmann.

An dieser Stelle wird Joachim Hille hinzugebeten, seit 20 Jahren Zugchef bei der Deutschen Bahn und offensichtlich Bewerber um den Preis für den Mitarbeiter des Monats. Ach, wären nur alle Schaffner wie er! "Mit Liebe trägst du jede Last, du darfst nur die Mühe nicht scheuen", sei sein Wahlspruch, als Gastgeber fühle er sich verantwortlich für die Stimmung im Zug, und bei Bedarf mache er seine eigenen Durchsagentexte, statt sich nach den vielverspotteten "Sänk ju for trävelling"-Vorgaben zu richten. Man glaubt es dem netten Herrn sogar - aber er ist nun einmal nicht der einzige Schaffner bei der Bahn.

Daran erinnert Werner Bartens, SZ-Redakteur, Buchautor und Bahnopfer. Im vergangenen Juli wurde er erst aus einem überhitzten ICE befreit, als eine Zugbegleiterin kurzerhand mit dem Inbusschlüssel die Zugtür geöffnet habe, Haltegenehmigung hin oder her. Schaffner seien dagegen kaum auffindbar gewesen oder hätten sich auf Vorschriften berufen. Grube nutzt die Gelegenheit, um sich in einer eher eigenwilligen Interpretation von Bartens' Bericht wieder einmal bei seinen Mitarbeitern zu bedanken: "Sie haben das geschildert, die machen einen Superjob."

Zum Abschluss will Beckmann noch eines der Gedichte hören, die Zugbegleiter Hille in seiner Freizeit schreibt. Der ist dazu gerne bereit: "Der Zug des Lebens rollt und rollt, der Mann in Blau ist schon an Bord", lautet der erste Vers. Das Gedicht über das ewige Leid mit den Fahrgästen endet ähnlich holprig-versöhnlich wie die Sendung: "Und trotz allen Unmuts, sie sind unser Gast, wollen nicht nur von A nach B. Versuchs zu verstehen, und nimm ihre Last nicht zu persönlich, sonst tut's Dir weh."

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